Der Lohn der Abgehängten

Der Mindestlohn heißt in Deutschland Mindestlohn, weil er mindestens zwei bis drei Euro von der Summe entfernt ist, von der man ansatzweise ein würdiges Leben bestreiten könnte. Er ist also folglich mindenstens um zwei bis drei Euro zu niedrig angesetzt. Gut, zwei bis drei Euro abzüglich vierunddreißig Cent. Die kommen ab Beginn des nächsten Jahres drauf auf dieses unzureichend ausgeführte sozialpolitische Projekt. Langsam kommen wir der Menschenwürde also schon näher.

Zunächst muss man ja hervorheben, dass die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohnes durchaus ein gute Entwicklung ist. Ein Türöffner. Dass es ihn jetzt gibt, ist ein begrüßenswerter Fortschritt. Dass es ihn so, auf diese unzureichende Weise gibt, das hingegen ist eine Entwicklung, die vielen Arbeitnehmern keinen Fortschritt erlaubt. Bemessen hat man den Stundensatz Pi mal Daumen nach jenem Warenkorb, der ja zur Festlegung des Regelsatzes schon lächerlich wirkte. Wie der Warenkorb von 1971 oder 1977 vielleicht, aber nicht wie einer, den man heute auf Kassenbänder schmeißt. 2016 ist leider weniger günstig. Und 2017 wird, trotz ganzer vierunddreißig Cent mehr in der Stunde, auch nicht unbedingt preiswerter. Aber wir nähern uns an. Wenn also heute zwei bis drei Euro pro Stunde für ein würdiges Leben fehlen, es aber alle zwei Jahre Erhöhungen in der genannten Größenordnung gibt, dann könnte schon in 15 bis 20 Jahren ein Lohnniveau erreicht sein, von dem Menschen einigermaßen akzeptabel leben können.

Könnten. Konjunktiv. Im Jahr 2031 oder 2036 hätten sie dann 2016 davon leben können. Nicht üppig, aber wenigstens so, dass es manchmal auch Spaß macht. Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben. Der auf diesen bundesrepublikanischen Mindestlohn angewiesene Arbeitnehmer weiß das zu gut. Sein menschenwürdiger Lohn ist greifbar, sofern die gesamtwirtschaftliche Entwicklung nicht zu stark einbricht. Wenn er ihn dann irgendwann erlangt, dann kommt er um Jahre zu spät. Dann kann er davon träumen, wie es wohl gewesen wäre, hätte er schon vor zwei Jahrzehnten mit diesem Budget haushalten dürfen. Dieser Mindestlohn, das ist der Lohn der ewig Abgehängten, kein Fortschritt in seiner jetzigen Ausführung, sondern ein über Jahre angelegter Hohn für all jene, die schon im Hier und Jetzt von ihrer Hände Arbeit über die Runden kommen wollen.
Eine virtuelle Mittelschicht, könnte man die darauf angewiesenen Arbeiter und Angestellten nennen. Virtualität sind sie ja eh gewohnt. 41.000 Euro durchschnittliches jährliches Bruttogehalt beziehen sie, 83.000 Euro haben sie an durchschnittlichem Vermögen und alle zwei Jahre verreisen sie im Durchschnitt einmal für durchschnittlich fünf Tage. Virtuell ist das Leben der ökonomisch Abgehängten in Deutschland. Ein virtuelles Einkommen als Auskommen, das hat gerade noch zur Komplettierung gefehlt.

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