Der Führer, der war auch mal drollig

oder Die Bomben, die jetzt fliegen, beenden den Terror nicht - sie schaffen ihn.
Man wacht doch morgens nicht einfach auf und sagt: »Hass? Hm, das lässt sich sicher gut an. So mache ich es ab heute: Fanatismus.« Könnte man aber meinen, wenn man dem Presseecho folgt. Radikalismus ist einfach da. Woher er kommt? Ach, langweilig. Man schaltet ab. Wegbomben und nicht zu viel nachdenken. Aber wie macht man denn Radikale? Das sollte man sich schon mal fragen, denn der Westen ist gerade dabei, eine neue Generation radikalisierter junger Männer zu schaffen, die eiskalt Köpfe abschneidet.

Der Führer, der war auch mal drollig

Der Führer fing auch mal
niedlich an.

Niemand wird blutrünstig geboren. Auch Hitler begann mal als drolliger Hosenscheißer. Jeder Massenmord kroch mal in Windeln. Jeder Mörder fängt als Baby an. Er wird was er wird, weil er in seiner Welt lebt. Diese jungen Männer, die bereitwillig einer kriegerischen und mörderischen Idee nachrennen, die sie albernerweise mit dem Islam verwechseln, kennen nur die Welt, aus der sie kommen. Sie ist ein Chaos, ein ungerechtes Jammertal. Sie erlebten Armut und Ausbeutung, lebten in einem kulturellen Klima, in dem der Kolonialismus, die Sklaverei und mangelnde Selbstbestimmung als kollektives Trauma ihrer Völker vorkommen. Sie wandeln auf Bodenschätzen, die sie arm machen. Denn dass Bodenschätze das Kapital ihrer Volkswirtschaft sein könnten, haben sie nie erlebt. Immer war schon ein Konzern da, der diesen Wohlstand für sich gepachtet hatte. Versuche, diesen paradoxen Zustand zu ändern, wurden vom Fremdmächten gestoppt. Ach, Mossadegh, wie schön war dein Traum! Die Welt, die diese jungen Radikalen kennen, ist ein Trauerspiel. Sie haben ihre Wirklichkeit als Spielball westlicher Konzerne und der von ihr geschmierten Eliten wahrgenommen. Perspektiven kannten sie nicht. Ihre Zukunft malten sie sich als arme Schlucker aus, die als Tagelöhner hungern und aus der Weltpresse erfahren würden, dass die Industrieländer ihnen mal wieder mit moralischer Überheblichkeit sagen, wie gerecht diese Weltwirtschaft doch eigentlich sei.

Jede Unterdrückung gebiert Widerstand. Mancher ist edel, fast heilig. Man verweigert Gefolgschaft und hungert aus Protest. Oder man klärt auf und zeigt der Welt, wie brutal das Regime wütet. Andere radikalisieren sich nicht nur in der Theorie. Sie schreiten zur Tat. Die Zeloten mordeten jeden Römer. Auch die liberalen, auch die Kosmopoliten. Sie glaubten sich als die einzig richtigen Juden und jeder Römer sei ein Schwein. Manche Indianergruppen kultivierten den Hass auf die Weißen und skalpierten jede weiße Haut. Sie fragten nicht vorher, ob es sich vielleicht um jemanden handelt, der »Indianerversteher« war. Andere Indianer suchten den Ausgleich. Auch sie endeten als Minderheit, die heute ihr Dasein meist mit Sozialhilfe fristen muss. Die einen Schwarzen scharrten sich um Dr. King und waren friedlich, ächteten die Gewalt; die anderen wollten Waffen und lauschten den Worten Malcom X'. Unterdrückung entwirft verschiedene Reaktionen. Die einen wollen als Sozialreformer die Identität ihrer Völker sichern, die anderen entschließen sich zu Enthauptungen. Beide Seiten sind die Kinder derselben Fessel.
Das Bombardieren dieser an den Radikalismus verlorenen Kerle liegt doch da so nahe. Schließlich kann man mit Fanatikern nicht reden. Stimmt. Die Zeit des Redens, des Sichverständigens ist wohl vorbei. Aus reiner Wut heraus ist es vielleicht normal, dass man sagt: »Gut so. Lasst es Stahl regnen. Die haben es verdient.« Doch nüchtern betrachtet ist diese Idee ein Fiasko. Bomben ist schlimmer als Nichtstun. Gleichgültigkeit mag keine Lösung sein - ein Bombenteppich über Orte und Städte ist es aber noch viel weniger. So schafft man neue Generationen, die sich gegen diesen westlichen Way of Life wenden, die einsehen werden, dass radikale Ideen des Hasses ein probates Mittel sind, die eigene Identität vor den Zugriffen der Global Player und ihrer bestellten Staatsmänner zu bewahren. Man trifft ja nicht nur diese Scharfrichter des Islamischen Staates, wenn man Bomben wirft. In acht oder zehn Jahren stehen die Waisen, die in solchem Bombenregen ihre Eltern und Geschwister verloren haben, mit irgendeiner HK G36 in der Hand vor einer Kamera und giften ihren Hass gegen den Teil der Welt, der ihre Heimat seit Generationen destabilisiert, aussaugt, politisch zerrüttet, geheimdienstlich aufmischt und bei Bedarf mit Krieg unter Kontrolle hält - und der ihnen das Maschinengewehr geschickt hat.
Diese Bomben beenden den Terror dieser blutrünstigen Männer nicht. Sie schaffen neuen Terror. Ja, sie rechtfertigen ihn. Denn der Fanatismus kann dann Menschen fischen mit den Worten: »Seht ihr, wir hatten recht. Das sind die Teufel. Wir haben es immer gesagt. Sie haben eure Eltern getötet. Dein Familie ausgelöscht, aber ihre Geschäfte laufen rund. Sie entziehen der Region Erdöl, aber du hast nichts davon. Nur tote Eltern.« Menschenrechte und Partizipation predigen westliche Staaten in ihren Sonntagsreden. Aber beides ist nichts, was diese Waisen je erlebt hätten. Sie werden diesen Westen abermals als heuchlerische Bande von Krämerseelen wahrnehmen, die das Militär vorschicken, wenn es brenzlig wird, die Regierungen aushebeln, wenn die zu viel von der Teilhabe ihres Volkes an den Reichtümern ihres Bodens sprechen.
Das ist der »Himmel für Terrorismus«, von dem der iranische Präsident Rohani sprach. Und an diesem Himmel arbeitet der Westen mit seinem Bombardement weiter. Statt UN-Mandat und internationale Streitkräfte, die im Bodeneinsatz die Krieger des IS isolieren und im Laufe einiger Zeit entwaffnen, wählt man eine Methode, die keine Lösung ist, sondern Teil des ganzen Problems, das in dieser Weltregion entstanden ist. Mit jener Arroganz und moralischer Überheblichkeit, die jetzt aus den Äthern der westlichen Weltanschauung sickern, kommt man den Ursachen dieses Fanatismus' nicht auf die Spur. Man vertuscht sie. Man stabilisiert sie. Solange man nicht darüber redet, was der Westen und seine autochthonen Verbündeten dort über Jahrzehnte und länger angestellt haben, solange muss man nicht erwarten, dass dort Deeskalation eintritt. Wenn Generationen in einem latenten Kriegszustand leben, der selbst Friedensphasen als eine Art von wirtschaftlichem Beschuss definiert, dann ist es naiv anzunehmen, dass all diese Menschen aus so einem Milieu die Gelassenheit besitzen, ihren Zorn und ihre Sorgen gewaltlos zu untermauern. Das tun sicher viele. Aber wer hört sie? Die anderen - sicherlich nur eine Minderheit - werden gehört. Dazu mussten sie aber zu Mördern werden.
Nein, die Männer, die anderen Männern den Kopf abschneiden, sind jetzt nicht die armen Opfer. Sie haben sich selbst entschieden. Sie hatten trotz allem eine Wahl. Und auch wenn der westliche Mensch jetzt so tut, als sei die Enthauptung für einen Moslem ein leichter Schritt: Auch Moslems wissen, dass das Töten ein Frevel ist. Man tut es nicht einfach so. Dieser Schritt will genau durchdacht werden. Es kostet Überwindung. Sie wussten, was sie tun müssen, als sie sich entschieden haben, ihren Wortführern zu folgen. Sie sind also keine Opfer. Sind Täter. Aber tun wir nur nicht so, als habe sich das Böse einfach nur wie programmiert durchgesetzt. Sie hätten unter anderen Bedingungen einen anderen Weg eingeschlagen. Eric Hobsbawn schrieb mal passend dazu: »Wenn ich das Gedankenexperiment anstellen sollte, den Knaben, der ich damals (in den dreißiger Jahren) war, in eine andere Zeit und/oder ein andere Land zu versetzen - etwa in das England der fünfziger oder in die USA der achtziger Jahre -, dann kann ich mir nur schwer vorstellen, dass er sich mit demselben leidenschaftlichen Engagement wie ich damals der Weltrevolution verschrieben hätte.«
Niemand wird insofern als Scharfrichter geboren. Man wird vielleicht auch nicht zu ihm gemacht. Aber manchmal glauben Menschen, keine andere Wahl zu haben. Der Westen hat es in dieser Weltregion verpasst, den Menschen ihre eigene Wahl zu lassen. Und mit den derzeitigen Bomben lassen sie ihnen schon wieder keine andere Wahl.
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