Der Frauenflüsterer und sein Schatten

Guido steht im Halbdunkel des Partykellers in der Ecke, dort wo auch das kleine Buffet steht. Er fingert in den Kartonschälchen nach Chips und Nüssli. Das tut er so, als wäre er gut gelaunt und als ob es nichts Genüsslicheres gäbe, als sich Chips und Nüssli in den Mund zu stopfen. Neben dem Buffet steht ein Stuhl mit einem kleinen Lautsprecher darauf. Daraus scheppert laut Wig Wam Bam von The Sweet. Guido wippt zu der Musik von einem Bein auf das andere und versucht dabei, lässig zu wirken. Aber Guido fühlt sich überhaupt nicht lässig. Viel eher fühlt er sich unsicher und verkrampft. In diesem Augenblick interessieren ihn weder die Snacks, noch die Musik, noch die anderen im Raum. Tatsächlich kann Guido fast nichts hören vor lauter Hitze im Kopf und Klopfen im Herzen. Tatsächlich interessiert ihn in diesem Moment nichts anderes als Helga, die in der anderen Ecke des Partykellers am Boden sitzt. Und neben Helga sitzt Andy.

Guido füllt sich Sinalco in einen Kartonbecher. Dabei beobachtet er verstohlen, wie Andy einen Arm um Helgas Hals schlingt und seine Hand beim Herunterbaumeln auf Helgas Bluse zu liegen kommt. Unter der Bluse befindet sich Helgas Busen. Guido verschluckt sich mit Sinalco, als er sieht, wie Andys Hand Helgas Busen zu kneten beginnt. Unglaublich! Guido hat noch nie einen Busen berührt, aber er ist sich in diesem Moment absolut sicher, dass er Helgas Brust – falls überhaupt! – zärtlich gestreichelt hätte. Nicht so wie Andy, der die Brust richtiggehend und ungehobelt knetet. Wie kann sie das bloss zulassen? Das kann ihr doch nie im Himmel gefallen!

Zu viel wird es für Guido dann, als er mitansehen MUSS, wie Andys Hand unter dem atemberaubend kurzen Rock von Helga verschwindet und dort Helgas Schenkel knetet. Zu guter letzt fangen die beiden dann auch noch hemmungslos an zu schmoren. (Als Schmoren bezeichneten die Jugendlichen in den siebziger Jahren im Zürcher Unterland das lang andauernde Zungenküssen.) Guido explodiert beinahe vor Eifersucht und sein Herz rast wie wild. In seinem Kopf glüht es. Beim fluchtartigen Verlassen des Kellers fragt er sich, wie Helga dazu kommt, sich mit einem blöden Affen wie Andy einzulassen. Ausgerechnet Andy, der nun wirklich das allergrösste Macho-Arschloch in der Klasse ist. Darüber sind sich doch alle einig. Und Helga ist die absolute Prinzessin in der Klasse. Darüber sind doch auch alle einig.

Guido kann nicht einschlafen in dieser Nacht. Zu verrückt wütet die Szene im Partykeller noch in seinem Kopf umher. Kaum zu glauben, dass Guidos Welt am Nachmittag noch völlig in Ordnung war. Da trafen Helga und er sich vor dem Dorfbeck, um zusammen ein Glacé zu essen. Natürlich gefiel sich Guido darin, mit Helga vor dem Dorfbeck gesehen zu werden. Schliesslich hatte Helga ihm erst vor ein paar Tagen offen eingestanden, dass frau gut mit ihm reden könne. Darauf ist Guido stolz. Nie und nimmer wäre es ihm aber in den Sinn gekommen, Helga danach zu fragen, ob sie mit ihm gehen würde. Nicht in hundert Jahren; dafür war er viel zu schüchtern.

Es hatte eine zerbrochene Liebe und eine Scheidung gebraucht, bis Guido viele Jahre später begann, sich selber auf die Schliche zu kommen. Der Prozess des Erkennens, unter welchen Deckmänteln – zum Beispiel aus Schüchternheit oder Gefallenwollen -, er seine Machoenergie versteckt, dauert noch an. Und sich einzugestehen, dass er andere Männer für ihr Übertreiben, ihr Imponiergehabe und ihre Selbstverliebtheit lieber verurteilt, anstatt diese Aspekte bei sich selber mitfühlend zu erforschen, tut zuweilen weh.

Heute gilt Guido zwar immer noch als Frauenflüsterer, als ein Mann also, bei dem sich die Frauen verstanden fühlen. Daran ist nichts verkehrt, und über die Kehrseiten dieser Rolle kann er heute schmunzeln. Obwohl: So ganz will sich der diskriminierende Glaubenssatz aus dem Partykeller von damals, wonach eine Frau zwar gerne mit ihm redet, aber am Ende des Tages dann doch lieber mit einem blöden Affen ins Bett geht, so ganz hat er diesen Glaubenssatz noch nicht aufgegeben.

Zu sich zu stehen und bei sich zu bleiben, braucht Mut und Kraft. So oder so. Das gilt vor allem auch dann, wenn das offensive und draufgängerische Verhalten gegenüber einer Frau als unhöflich, überheblich und herablassend taxiert wird. Und egal, ob die Rückmeldung von einer Frau oder einem Mann stammt.


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