Klaus von Dohnanyi, Grandseigneur einer verlotterten Sozialdemokratie, die Thilo Sarrazin als einen ehrlichen Makler einstuft, saß kürzlich der Frankfurter Allgemeinen Zeitung zum Gespräch. Die Sozialdemokratie, so muß man Dohnanyis Bekenntnissen jedenfalls entnehmen, ist nurmehr eine Gemengenlage aus Revisionismus, Rassismus und laienhafter Wahrnehmung für bestimmte wissenschaftliche Felder.
Des schiefschnäuzige Stammlers Aussage bezüglich Judengenen, so weiß Dohnanyi, sei richtig gewesen. Studien, die er natürlich nicht benennt, besagen, dass Juden durch gemeinsame Gene bestimmt werden, weil sie eng und ausgiebig untereinander heiraten, weil sie also endogam sind, wie man das etwas wissenschaftlicher ausdrücken würde. Allerhand sticht dabei ins Auge:
Des schiefschnäuzige Stammlers Aussage bezüglich Judengenen, so weiß Dohnanyi, sei richtig gewesen. Studien, die er natürlich nicht benennt, besagen, dass Juden durch gemeinsame Gene bestimmt werden, weil sie eng und ausgiebig untereinander heiraten, weil sie also endogam sind, wie man das etwas wissenschaftlicher ausdrücken würde. Allerhand sticht dabei ins Auge:
- Dohnanyi outet sich als tiefgläubiger Jünger der Genetik, wenn er zu Protokoll gibt, dass "Juden durch gemeinsame Gene bestimmt werden". Bestimmt durch gemeinsame Gene? Juden oder Basken (Sarrazin sprach damals auch vom Baskengen) oder welche Völker auch immer, als von Genen bestimmte Gruppen? Verschweißt durch Gene, durch Blut gar, wenn man es etwas poetischer formulieren möchte? Ist das gar die Renaissance des Volkskörpers, der vereint ist in der genetischen Konstellation? Und überhaupt, lassen sich Menschen so sehr von Genen bestimmen, dass sie quasi willenlos sind im Angesicht ihrer Erbanlagen? Wer Genetik für ein so unkomplexes und übersichtliches Gebiet hält, der hat offenbar keinen Schimmer vom Fach.
- Der jüdische Kulturkreis war nie ein vollkommen abgeschotteter. Die Diaspora war international und von einer endogamen Ausrichtung über Jahrhunderte hinweg ist nicht auszugehen, wie deutsche Juden des letzten und vorletzten Jahrhunderts bewiesen, die durchaus mit Gojim verehelicht waren. Außerdem, als kurzer Einwurf nur der Gedanke, dass in einer endogamen Gesellschaft Kinder nicht nur in Ehen gezeugt werden - die "Vermischung" kulturell verschiedener Partner findet dort zuweilen außerehelich statt. Und einige weitere Fragen drängen sich auf: Sind der christliche und der muslimische Kulturkreis nicht Kinder des Judentums? Wurzeln Christen und Moslems damit nicht auch teilweise genetisch im Jüdischen? Eine genetische Isolation ist in Eurasien kaum umsetzbar - dergleichen mag für die Tasmanier gegolten haben, die über Jahrtausende von der übrigen Welt abgeschnitten waren, nicht aber für Juden, die unter Menschen aller Religionen, aller Kulturen lebten.
- Wer so redet, wie Dohnanyi es tut, der kann rassistische Thesen verbreiten, ohne im eigentlichen Sinne als Rassist durchgewinkt zu werden. Wer die Genetik als Variable zwischen Völkern, Nationen und Kulturen missbraucht, der ist Naturalist oder Biologist. Der nutzt nur "natürliche Vorgänge", um das Gegeneinander der Menschen und Völker zu rechtfertigen. Das ist kein Erklärungsansatz, es ist tatsächlich Rechtfertigung, denn wenn Völker "genetisch vorgefertigt" sind, dann sind sie willenlose Organismen innerhalb der Historie, dann können Völker und deren Führer nichts für ihre Affekte, die dann nicht kalkuliert und gewollt sind, sondern lediglich eine genetische Geschwulst.
- In diesem Sinne läßt sich die eigene Geschichte relativieren. Dohnanyi ist sich auch dazu nicht zu fein, attestiert zwar, dass die Deutschen mit dem Holocaust ein Verbrechen begangen haben, relativiert aber den Rassismus als "Errungenschaft aller Nationen". Wenn es Juden- und Baskengene gibt, so auch Briten- und Russengene beispielsweise. Wenn es nationale Gene gibt, so sind dessen Folge, der Chauvinismus und als gröbste aller Varianten, der Rassismus, dadurch bedingt. Wer nationalen Gen-Hokuspokus betreibt, der zerrt den Rassismus ins Licht der Natürlichkeit, der macht ihn zum natürlichen, biologischen und somit legitimen Produkt etwaiger Genprogramme. Und der kann den eigenen Rassismus, der in Geschichtsbüchern steht, als Fall unter Fällen bewerten, ihn abschwächen und relativieren. Fehlte nur noch, dass Dohnanyi von den ermordeten Indianern erzählte, um kühn zu folgern, dass jede Nation ihren Völkermord hätte - wofür aber freilich keine Nation etwas kann, denn wenn das Deutschen- oder Britengen einem diktiert (Dohnanyi würde sagen: "Wenn Deutsche durch gemeinsame Gene bestimmt werden..."), andere Völker mit anderen Genmodulationen zu dezimieren, dann ist das keine freie Entscheidung, sondern die "Vernunft der Genetik".
- Glaubt man an diese dohnanyisch-sarrzinistische Erblehre, die überdies schon zu den Zeiten der Weimarer Republik veraltet und überholt war, so ist der Brückenschlag zum Sozialdarwinismus nur logische Konsequenz. Vertritt man die simple Einsicht, dass Vererbung stets die Summe der Dummheit oder des Erfolgs der Eltern ist (was komplett falsch ist), so installiert man ein starres Kastensystem, das genetisch fixiert ist. Kinder weniger kluger Eltern sind demnach dumm; Kinder erfolgreicher Eltern werden erfolgreich. Familien werden, ganz im Sinne von Dohnanyis Satz, "durch gemeinsame Gene bestimmt". Äußere Einflüsse, wie beispielsweise Bildung, prägen nur marginal und sind deshalb eher unnütze, und leider auch kostenintensive Liebesmüh. Es wird tunlichst verschwiegen, dass a) die Humangenetik immer noch mehr im Trüben als im Klaren fischt, dass also immer noch die größte Zahl der Vererbungsprozesse unbekannt sind und b) selbst bekannte Vererbungsmechanismen immer wieder "außerhalb der Norm" ablaufen, womit c) augenscheinlich wird, dass die Humangenetik niemals zur exakten Wissenschaft erhoben werden wird. Mit Precht gesprochen: unser Wirbeltiergehirn kann solche komplexen Vorgänge womöglich niemals in Gänze erfassen.