Debatte: Wie legitim ist der Drohnenkrieg der USA gegen den Terror?

Von Stefan Sasse und Jan Falk

Debatte: Wie legitim ist der Drohnenkrieg der USA gegen den Terror?

Drohnenmacht USA (Bild: flickr.com/photos/madison_guy)


 
Jens Berger hat ein Streitgespräch mit Feynsinn über den Kapitalismus geführt und damit effektiv das getan, was der Oeffinger Freidenker sich mit seiner jüngsten Umwandlung zum Multi-Autoren-Blog auch zum Ziel gesetzt hat. Wir haben dieses Format nun aufgegriffen und über den Drohnenkrieg der USA im Rahmen des "War on Terror" gesprochen. Der Einsatz von bewaffneten Drohnen gegen mutmaßliche Terroristen ist in der letzten Zeit vermehrt in die Kritik geraten, gerade auch in den USA selbst. Angesichts der Pläne der Bundesregierung zur Anschaffung von Drohnen wird das Thema auch für uns immer relevanter.

Jan Falk: Ein Thema, das im US-Wahlkampf im vergangenen Jahr etwas untergegangen war, ist nun aus den Kellern des Department of Defense und der CIA an die Öffentlichkeit gelangt und hat der Obama-Administration in den letzten Wochen viel Kritik aus dem linken und dem libertären Lager eingebracht: der Drohnenkrieg gegen den islamistischen Terror. Die Kritik richtet sich gegen zwei wesentliche Facetten des Drohnenkriegs. Erstens die uneingeschränkte Macht, die die Exekutive ausübt - Stichwort “Kill-List” -, zudem mangelnde Intransparenz und der Mangel an rechtsstaatlichen Verfahren auch gegenüber verdächtigten US-Bürgern. Zweitens werden die Drohnenschläge als Werkzeug im Krieg gegen den Terror an sich kritisiert. Krieg werde so unsichtbar gemacht und gegen Individuen geführt, die in Staaten leben, mit denen sich die USA formal nicht im Kriegszustand befänden.
Was diese Kritik meiner Meinung nach oft nicht ausreichend erklären kann, ist, wo der prinzipielle Unterschied zwischen dem Drohnenkrieg und einem “herkömmlichen” Krieg liegen soll, bei dem die Exekutive ja ebenfalls beinahe ohne Kontrolle aus dem Kongress vorgehen kann und welche - besseren - Alternativen es zu diesen relativ präzisen Luftschlägen im Krieg gegen den Terror gibt. Ganze Armeen in Bewegung zu setzen, wie George W. Bush es im Irak und in Afghanistan getan hat, sicher nicht. 
Stefan Sasse: Bevor wir uns detailliert mit dieser Frage auseinandersetzen, müssen wir denke ich die grundsätzliche Legitimität des “War on Terror” erörtern, die gerade in linken und/oder pazifistischen Kreisen oft in Frage gestellt wird. Diese Frage wird oft mit der Argumentation vermischt, dass der islamistische Terror zu einem guten Teil von den USA selbst geschaffen oder zumindest provoziert ist, da deren “Kulturimperialismus” und die Förderung autokratischer Regime im Nahen Osten den Zorn der Islamisten auf sich ziehe. Ich will diese Argumentation gar nicht weiter erörtern sondern an dieser Stelle klar machen, dass sie mit der Frage wenig zu tun hat.
Dass die USA Extremisten jeder Art eine gute Reibungsfläche bieten, sei unbenommen (wenn sich Linksradikale, Rechtsradikale und Islamisten in einem Punkt einig sind, dann in ihrer Ablehnung der USA, wenngleich aus unterschiedlichen Motiven). Es ist aber Fakt, dass es den Vereinigten Staaten unmöglich ist, nicht auf die Terrorangriffe zu reagieren. In irgendeiner Form mussten sie gegen die Terroristen zurückschlagen, denn täten sie dies nicht, wäre es eine Einladung für weitere Angriffe. Tatsächlich hat es bislang keine weiteren Angriffe mehr gegen die USA selbst gegeben (wohl aber gegen ihre Einrichtungen im Ausland, siehe Bengazi). Die Frage ist also eher wie man gegen den Terrorismus zurückschlägt, nicht ob - denn Nichtstun ist keine Option.
"Strategische Abwägungen zwischen
schlechten Handlungsalternativen"

Jan Falk: Vielleicht ist Nichtstun langfristig übrigens doch eine Option - aber dazu gleich. Zunächst stimme ich dir darin zu, dass die Argumentation von linksaußen, die USA schaffe sich mit ihrem Verhalten ihre Feinde selbst, bei näherer Betrachtung schnell an Grenzen stößt. Nun kann sich eine Supermacht natürlich tatsächlich mehr oder weniger moralisch, bzw. mehr oder weniger scheinheilig verhalten. Die Debatten um Folter und Guantanamo sind ja legitim (zum Thema empfohlen: Kathryn Bigelows “Zero Dark Thrity”).
Aber letztendlich wird ein Staat mit überproportionaler Macht gegenüber anderen Staaten diese auch immer einsetzen müssen - was übrigens gerade auch Deutschland in der Eurokrise zu spüren bekommt. Und wer auf der globalen Bühne handelt, macht immer auch Fehler, muss immer strategische Abwägungen treffen zwischen oft beinahe gleich schlechten Handlungsalternativen. Insofern werden die USA sich natürlich nie so “gut” verhalten können, dass sie so die Quelle des Terrorismus quasi austrocknen könnten. Diese Debatte bring einen also tatsächlich nicht weit.
Die gleiche Argumentation führt uns aber eben auch zu einem moralischen Problem im Krieg gegen den Terror. Entfernen wir uns mal für einen Augenblick von der aktuellen Situation auf diesem Schlachtfeld: Bedeutet eben diese Einsicht, dass es wohl immer irgendwo Menschen geben wird, die terroristische Pläne gegen die USA schmieden, dass Amerika diesen auch für alle Zeiten militärisch entgegen treten soll? Oder müsste man nicht in dieser langfristigen Perspektive zu dem Ergebnis kommen, dass Drohnen als Mittel nicht vielleicht doch irgendwann unproportional werden, weil der Krieg ohnehin nie wirklich zu gewinnen ist? Wäre also Nichthandeln nicht doch eine Möglichkeit, solange keine wirklich akute Gefährdung vorliegt?
Stefan Sasse: Um eines klarzustellen: Ich sage nicht, dass es zwingend eine militärische Handlungsperspektive braucht. Die Reaktion auf den Terror muss nicht zwingend Tote beinhalten. Theoretisch wären polizeiliche Mittel vorstellbar (obgleich in Pakistan und Afghanistan eher unrealistisch). Die USA befinden sich tatsächlich in einem schweren Dilemma. Es gibt definitiv Menschen, die das Land angreifen und seine Bürger töten wollen, um dieses Fakt kommen wir nicht herum. Die Uraufgabe des Staates ist es, die Sicherheit seiner Bürger zu gewährleisten. Es kann keine absolute Sicherheit durch Maßnahmen im eigenen Land geben, daher kann die einzige dauerhafte Strategie darin bestehen, die Quelle der Terroristen auszuschalten. Die Frage ist also eher, wie dies geschehen soll.
Drohnenangriffe bieten aus Sicht der USA gleich mehrere Vorteile: sie gefährden kein amerikanisches Menschenleben, sie sind billiger als Luftangriffe und darüberhinaus exakter. Noch nie konnte mit so wenig Kollateralschaden getötet werden. Das mag einen überzeugten Pazifisten nicht gerade beruhigen, sollte aber in der Debatte nicht vergessen werden. Ich halte auch das Argument der Entmenschlichung des Krieges durch das Steuern der Drohnen tausende von Kilometern vom Einsatzgebiet entfernt für vergleichsweise unplausibel, denn durch die Überwachungssysteme der Drohne haben deren Piloten einen deutlicheren Blick als mancher Bomberpilot.
Wesentlich problematischer ist, akzeptiert man die Prämisse eines bewaffneten Kampfs gegen den Terror, die Verletzung der Souveränität anderer Staaten, in diesem Fall vor allem Pakistans. Die Drohnen scheinen einer generellen Entgrenzung militärischer Konflikte Vorschub zu leisten, und sie in fremden Luftraum eindringen zu lassen ist deutlich weniger problematisch für den jeweiligen Benutzer als Soldaten oder Flugzeuge zu schicken. 
Jan Falk: Deine Punkte gegen das Argument der "Entmenschlichung" teile ich. Fortschritte in der Militärtechniologie waren schon immer darauf ausgerichtet, möglichst großen Schaden in möglichst großer Distanz zu verursachen. Das hat bei der Steinschleuder angefangen und bislang bei Interkontinentalraketen aufgehört. Da sehe ich im Drohnenkrieg nur eine graduelle Entwicklung. Die Souveränität anderer Staaten ist tatsächlich der größere Schwachpunkt in der Argumentation der Drohnenkrieger.
Ich habe neulich die Frage gelesen: Was würde passieren, wenn die USA auch Drohnen nach Europa schickte, um von ihnen identifizierte Terroristen hier bei uns auszuschalten - das würde doch niemand akzeptieren. Das ist soweit richtig, allerdings ist der Einsatz von Drohnen natürlich in funktionierenden Rechtsstaaten gar nicht notwendig. Hier können terroristische Vereinigungen mit polizeilichen und geheimdienstlichen Mitteln zerschlagen werden - und werden es auch. Aber eine solche Kooperationsbereitschaft wird man von vielen Staaten im mittleren Osten oder Nordafrika zur Zeit nicht erwarten können. Selbst bei gutem Willen fehlen dort einfach oft die Strukturen und Voraussetzungen dazu.
Vielleicht sollten wir aber auch einmal über die politics des Drohnenkriegs in den USA reden. Der Einsatz von Drohnen gegen den Terror findet in der Bevölkerung eine äußerst breite Zustimmung (77 Prozent Befürwortung allein unter den sonst eher militärskeptischeren Demokraten). Mehrheiten legitimieren den Einsatz sicher nicht, aber ich halte eine Betrachtung der politischen Rahmenbedingungen und Anreize immer für hilfreich, um ein Phänomen zu erklären. Ob Obama noch Präsident wäre, hätte er in den letzten Jahren nicht neben Bin Laden eine Reihe weiterer hochrangiger Al Kaida-Offiziere (oft mit Drohnen) zur Strecke gebracht, kann bezweifelt werden. Und zuletzt mal eine kontrafaktische Frage: Welche politischen Konsequenzen hätte es, wenn ein Präsident den Krieg gegen den Terror einstellen würde und danach ein Anschlag auf Amerika gelänge? Wer die politische Rechte in den USA kennt, weiß die Antwort. 
"Politischer Fallout eines
Anschlages wäre verheerend"

Stefan Sasse: Es kann kein Zweifel darin bestehen, dass Obama auf den Krieg gegen den Terror festgelegt ist. Ein simples Einstellen dieses Kampfs kommt nicht in Frage, weil der politische Fallout für den Fall eines erfolgreichen Anschlags verheerend wäre, nicht nur für den Präsidenten, sondern auch für die Demokratische Partei, die ja ohnehin ständig gegen ihr Image ankämpfen muss, in außenpolitischen Dingen zu weich zu sein. Die Ausschaltung Osama bin Ladens durch ein Seal-Team war für Obama ein wichtiger Meilenstein in seiner Wiederwahlkampagne, da sie jeglichen Untätigkeitsvorwurf einfach neutralisierte.
Dies führt uns zum Souveränitätsargument zurück. Tatsächlich werden die Drohnen praktisch ausschließlich in Staaten eingesetzt, die nur auf dem Papier souverän sind. Länder wie Afghanistan und Pakistan haben überhaupt keine Kontrolle über ihr eigenes Herrschaftsgebiet. Selbst wenn sie wollten - und daran können ernsthafte Zweifel bestehen - wären sie gar nicht in der Lage, mit den USA auf polizeilicher Ebene zu kooperieren. Wie etwa hätte Pakistan Osama bin Laden festnehmen wollen, wenn sich Polizei und Militär dem effektiv verweigern? Wie sollte Afghanistan den Terroristen Zuflucht verweigern, wenn weite Teile des Landes keinerlei Kontrolle unterstehen und von Aufständischen besetzt sind, die die Unterstützung der Bevölkerung genießen, die Zentralregierung ablehnen und das Land besser kennen als jeder andere?
Solange man an der Prämisse festhält, dass die Terroristenanführer ausgeschaltet werden müssen, gibt es keine bessere Methode als die Drohnenangriffe (abgesehen von Angriffen mit einem Navy-Seal-Team, aber das ist zu aufwändig und gefährlich um es ständig zu tun). Damit entsteht automatisch meine nächste Frage an dich: Ist die Prämisse, die Terroristenanführer töten zu dürfen (selbst wenn sie beispielsweise die amerikanische Staatsbürgerschaft besitzen) und damit das Ausschalten von Menschen- und Völkerrecht grundsätzlich in Ordnung, oder verletzen die Drohnen die Menschenrechte zu sehr? 
Jan Falk: Ich denke wir können uns darauf einigen, dass der Drohenkrieg unter einem realistischen, pragmatischen Paradigma des globalen Machtgefüges eher positiv zu bewerten ist als in einer idealistischen Welt der Rechtsstaatlichkeit. Streng völkerrechtlich betrachtet ist der Einsatz von Drohnen nicht legitim, wobei ich jedoch das Gebot der Nichteinmischung als teils zynisch und insgesamt veraltet betrachte. Um den US-Drohnenkrieg zu akzeptieren, muss man zu einem gewissen Grad auch die Vormachtstellung der USA als “Weltpolizist” akzeptieren. Dass diese theoretisch in einer idealen Welt gleicher Nationen nicht wirklich akzeptabel sein dürfte, steht außer Frage. Aber eine funktionierende UN scheint heute ferner denn je.
Nun gibt es diese Vormachtstellung der USA nunmal und wir sollten bis auf weiteres die Thesen ihres (erst wirtschaftlichen, dann militärischen) “Niedergangs”auch nicht zu ernst nehmen. Den wird es noch lange nicht geben. Die Frage ist wohl letztlich, ob man den Weltpolizist USA als insgesamt eher hilfreich oder schädlich einschätzt. Und diese Frage haben wir hier in Deutschland, habe ich persönlich, innerhalb von nur wenigen Jahren ganz unterschiedlich beantwortet - erinnern wir uns an die Irak-Invasion unter Bush. Militärmacht und globaler Gestaltungswille der USA werden ambivalente Faktoren bleiben - unabhängig von der konkret eingesetzten Technologie.
"Fragen nach Verantwortung
für Entscheidungen berechtigt"

Stefan Sasse: Das in jedem Fall. Ich denke, dass es zwangsläufig jemanden braucht, der zu humanitären Interventionen in der Lage ist. Und das kann nach Lage der Dinge nur die USA sein. Ernsthaft, wer soll sonst eingreifen? China? Russland? Bitte. Und die EU hat in Libyen gezeigt, dass sie keinerlei Kapazitäten hat. Wir hängen an den USA, im Guten wie im Schlechten. Europa, ganz besonders aber Deutschland, hat sich effektiv jahrzehntelang hinter den USA versteckt. Wir haben keinerlei militärische Möglichkeiten, irgendetwas zu bewegen. Entsprechend kann Deutschland auch außer “wir intervenieren gar nicht” keinerlei Alternativen bieten.
Es ist diese faktische Alternativlosigkeit, die den Drohnenkrieg zu einer Realität macht. Die USA tun es, weil sie es können. Zwar werden sie dafür kritisiert, aber dagegen ist das Land wahrhaftig immunisiert, das interessiert dort niemanden. Wenn wir den Drohnenkrieg kritisieren - und es gibt, Stichwort Menschenrechte und Völkerrecht, genug Kritikpotenzial - dann müssen wir auch in der Lage sein, eine Alternative zu formulieren. Das ist derzeit nicht der Fall. 
Jan Falk: Diese Alternative können meiner Meinung nach übrigens auch die Kritiker in den USA - etwa Glenn Greenwald - bislang nicht überzeugend formulieren. Letztlich sind jedoch die Fragen berechtigt, wer entscheiden soll, ob ein potenzielles Ziel eine Gefahr darstellt und wie eminent diese sein muss. Und so scheint sich in dieser Frage gerade eine neue kritische Koalition zwischen Liberalen und Libertären zu formen. Es wird spannend zu beobachten sein, ob diese Koalition ernsthaft den Washingtoner "War on Terror"-Konsens attackieren oder zumindest eine Kontrollfunktion der Legislative über den Drohnenkrieg erreichen kann.
Stefan Sasse: Zustimmung.


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