Das Schulsystem ist ineffektiv: 10 Gründe

Wenn die Kinder fertig sind mit der Schule, werde ich Lehrerin, also würde ich Lehrerin werden können, weil ich den ganzen Stoff im effeff beherrsche, wäre ich nicht bereits Lehrerin geworden, weil ich wissen wollte, ob es hinter den Kulissen wirklich so schlimm ist, wie ich es mir immer vorgestellt habe*. Der Sohn war drei Tage nicht in der Schule und hat das will-future verpasst, das er in naher Zukunft (haha) brauchen wird, denn die nächste Klassenarbeit steht an. An dieser Stelle danke ich Sofatutor für die vielen kleinen Videos, die mich immer wieder daran erinnern, dass das Schulsystem ineffektiv ist, zumindest zeitlich gesehen.

Ich mixe mal meine Erfahrungen als Mutter und als Lehrerin zusammen:

Das Kind steht morgens um 6.30 Uhr auf, nachdem wir ihm mehrmals Peitschenhiebe angedroht es mehrmals daran erinnert haben. Der Schulbus fährt um 7.21 Uhr ab.

Grund 1 für ineffektiven Unterricht: Die Lehrkraft kommt. Zu spät.

Um kurz vor acht ist es in der Schule. Der Unterricht beginnt um 8.10 Uhr, weil der Lehrer wegen Papierstreiks des Kopierers zu spät kommt. Oder weil es nur zwei Kopierer für 23 Lehrkräfte gibt, die alle um kurz vor 8 Uhr noch 144 Klassensätze kopieren müssen.

Grund 2 für ineffektiven Unterricht: Die Klasse ist laut.

Die Lehrkraft kommt also zu spät und steht dann 10 Minuten vor der Klasse und wartet, bis es ruhig wird, weil – ich zitiere als Mutter meines Sohnes – „Ich sowieso bezahlt werde, egal, ob ihr aufpasst oder nicht.“

Nach gutmütig berechneten zehn Minuten Wartezeit, bis sich alle beruhigt und das erste Kind sich einen Klassenbucheintrag eingefangen hat, beginnt der Unterricht.

Grund 3 für ineffektiven Unterricht: Die Klassenzimmer sind nicht schallgedämpft.

Die Hälfte des Stoffes bekommt nur die Hälfte der Klasse mit, weil der Geräuschpegel im nicht schallgedämpften Klassenraum schon hoch ist, wenn nur eine Schülerin ihr Mäppchen auspackt, wie ich regelmäßig erfahre, wenn ich in einem Klassenzimmer ganz hinten im Eckchen sitze, während die Referendarin sich im Frontalunterricht abmüht. Man könnte Korkplatten oder (Wand-)Teppiche verlegen, man könnte kleine Stoffscheiben unter die Stuhlbeine kleben oder die Klassenzimmerdecken mit entsprechendem Material abhängen – vielleicht passiert dies ja im neuen Schulgebäude, aber zurzeit ist nichts schallgedämpft und die Folge ist, dass man tatsächlich nicht hört, was der Schüler zwei Reihen vor mir sagt.

Grund 4 für ineffektiven Unterricht: Man merkt sich nur 10% von dem, was gesagt wird. Wenn überhaupt.

Frontalunterricht halte ich auch deshalb für nicht effektiv, weil Menschen sich nur 10% von dem merken können, was jemand da vorne murmelt. Oder auch nichts, wie ich einem Experiment im eigenen Klassenzimmer entnommen habe. Von 24 Schülern und Schülerinnen hatten ganze 12 nicht wiederholen können, was ich soeben, vor der Tafel stehend, zusammengefasst hatte, und das war nicht viel.

Grund 5 für ineffektiven Unterricht: s. Grund 1 und 4

Zurück zu meinem Sohn. Der wartet inzwischen, es ist 8.50 Uhr, auf die nächste Lehrkraft, die 20 Minuten zu spät kommt. Es ist übrigens dieselbe Lehrkraft, die meinen Sohn und zehn weitere Schüler und Schülerinnen vor wenigen Wochen 15 Minuten (!) in der Ecke hat stehen lassen, weil sie einige Minuten zu spät zum Unterricht gekommen sind. Den Rest der 45 Minuten Stunde verbringt die Lehrkraft mit einem Monolog.

„Was hat er denn gesagt?“, frage ich den Sohn, der mir mit Handbewegungen signalisiert, dass das Gesagt zum einen Ohr hinein-, dann allerdings sofort zum anderen Ohr hinausgeflogen ist.

Grund 6 für ineffektiven Unterricht: Das Vertretungsmaterial kommt nicht an.

Die dritte Unterrichtsstunde naht. Es wird besser. Die nächste Lehrkraft ist fast pünktlich, allerdings handelt es sich um die Vertretungslehrerin, die kein Vertretungsmaterial bekommen hat. Die Gründe mögen vielfältig sein, ich weiß jedoch, dass mein Vertretungsmaterial, das ich schicke, wenn ich krank bin, selten bei der Vertretungskraft ankommt und entsprechend selten bei meinen Schülern und Schülerinnen. Nachdem ich dies bemerkt hatte, stellte ich das emailen von Vertretungsmaterial ein, woraufhin mein Chef mich darauf hinwies, dass ich Vertretungsmaterial schicke solle. Ich schicke also fröhlich weiter und tröste mich mit dem Wissen, dass ich es notfalls immer noch nutzen kann, wenn ich wieder gesund bin.

Grund 7 für ineffektiven Unterricht: Besser wären kleinere Lerngruppen. Oder mehrere LehrerInnen.

Der Sohn, der die dritte Stunde vielleicht mit dem Malen eines Bildes verbracht hat, vielleicht mit Hausaufgaben, im schlimmsten Fall mit dem Spielen am Handy, hat nun die vierte Stunde. Sagen wir mal, es ist Mathe. Der Mathelehrer hat den Dreh ‚raus: Er erklärt kurz, was Prozentrechnung ist, und lässt die Schüler und Schülerinnen dann selber rechnen. Es ist laut, aber die meisten Kinder arbeiten, wie ich während des Tags der offenen Tür beobachtet habe. Der Mathelehrer geht herum und erklärt oder weist Schüler und Schülerinnen an, diesem und jener zu helfen. Erfahrungsgemäß vergisst der beste Sohn von allen aber für gewöhnlich bis zum Nachmittag sämtliche Rechenwege, die ich ihm dann noch einmal erkläre. Außerdem schafft es der Mathelehrer nicht, allen Schülern und Schülerinnen zu helfen. Die Lerngruppe ist zu groß. Da der Mathelehrer weiß, dass ich selber Lehrerin bin, fragt er, ob ich auch einigen Schülern und Schülerinnen helfen kann. Zu zweit geht es echt gut!

Grund 8 für ineffektiven Unterricht: Mangelnde künstlerische Freiheit.

Sagen wir, der Sohn hat nun Sport oder Kunst. Nehmen wir Kunst. Da hat er gerade eine neue Lehrerin, die, seiner Aussage nach, keiner mag. Wenn die Klasse zu laut ist, lässt sie Texte abschreiben, obwohl Kollektivstrafen verboten sind. Wenn die Klasse nicht zu laut ist, lässt sie künstlerische Aufgaben erledigen, die, soweit ich bisher mitbekommen habe, vor allem darin bestehen, Zeichnungen abzuzeichnen. Eine 1 bekommt der oder die, der/die am besten abzeichnen kann. Das ist zwar bohlangweilig, der Sohn bekommt aber eine 1, weil er die Zeichnung einfach abpaust. Alternativ macht Sport übrigens auch wenig Spaß, weil zumindest mein Sohn den Sinn vom Auswendiglernen seltsamer Bewegungseinheiten noch nicht erfasst hat und es furchtbar peinlich findet, diese vor allen vorzuturnen.

Grund 9 für ineffektiven Unterricht: Entgegen dem Bio-Rhythmus.

Nach fünf Stunden Lärm, Verspätungen, Frontal- und unlustigem Unterricht ist der Sohn geistig erschöpft. Vielleicht liegt es auch daran, dass er nichts trinkt, damit er nicht das Klo benutzen muss, das so verdreckt ist, dass es ihn ekelt. Er isst nur begrenzt, dann bekommt er auch keinen Durst, so meine Vermutung. In Stunde 6 ist es auch Highnoon, die meisten Menschen sind um die Mittagszeit auch nicht mehr wirklich aufnahmebereit. Es ist also wirklich ein Wunder, wenn in Stunde 6 noch etwas in den Köpfen haften bleibt. Einige Lehrer und Lehrerinnen machen auch etwas früher Schluss, weil noch gefegt werden muss.

Grund 10 für ineffektiven Unterricht: Konfliktklärung!

Ungefähr die Hälfte meiner Arbeitszeit geht für Konfliktklärung drauf. Weil der oder die das oder jenes zu dem oder der gesagt, oder angeblich gesagt hat, oder der oder die dem oder der – Man stelle sich das vor! – Blicke zugeworfen hat! Ja, wo kommen wir denn dahin?

War ich am Anfang meiner Lehrerinnenlaufbahn noch der Meinung, mich da mehr oder weniger raushalten zu müssen, lege ich inzwischen großen Wert auf gelöste Konflikte oder zumindest Stillstandsabkommen, denn die Konflikte schlagen sich sofort auf die Gruppenatmosphäre nieder. Und wer kann schon gut lernen, wenn ihm das eine oder andere Bauchschmerzen bereitet. Umgekehrt bedeutet dies auch: Schüler und Schülerinnen mit Problemen, gleich welcher Art, können nicht so gut lernen, was das Schulsystem, wenn Konflikte ausgeblendet werden, auch wiederum ineffektiv macht.

Fazit: Das, was die Schule an einem Vormittag an Unterrichtsstoff vermittelt, kann man zu Hause, großzügig geschätzt, in ein bis zwei Stunden vermitteln. Aus dem Haus ist das Kind aber sieben Stunden. Wenn ich noch die Erholungszeit vom Stress dazurechne, noch mehr. So bleibt immer meine bescheidene Hoffnung, dass der Sohn seelisch nicht allzu viel Schaden erleidet, stresstolerant wird und lernt, wie man mit schrägen Typen umgeht, ohne selbst allzu schräg zu werden. Und dass er ein Leben lang von den Freundschaften profitiert, die er in den Pausen pflegen kann.

*Es ist schlimmer.


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