Das Märchen von der Vernunft

Das Märchen von der Vernunft
"Die Erde gehört nicht dem Menschen. Es ist der Mensch, der der Erde gehört. Alles, was der Erde geschieht, wird den Kindern der Erde geschehen."
Indianische Weisheit


Ihr Lieben,
heute möchte ich Euch eine Geschichte von Erich Kästner erzählen:
"Das Märchen von der Vernunft"
"Es war einmal ein netter alter Herr, der hatte die Unart, sich ab und zu vernünftige Dinge auszudenken. Das heißt: zur Unart wurde seine Gewohnheit eigentlich erst dadurch, dass er das, was er sich jeweils ausgedacht hatte, nicht für sich behielt, sondern den Fachleuten vorzutragen pflegte.
Da er reich und trotz seiner plausiblen Einfälle angesehen war, mussten sie ihm, wenn auch mit knirschenden Ohren, aufs Geduldigste zuhören. Und es gibt gewiß für Fachleute keine ärgere Qual als die, lächelnden Gesichts einem vernünftigen Vorschlag zu lauschen.
Denn die Vernunft, das weiß jeder, vereinfacht das Schwierige in einer Weise, die den Männern vom Fach nicht geheuer und somit ungeheuerlich erscheinen muss. Sie empfinden dergleichen zu Recht als einen unerlaubten Eingriff in ihre mühsam erworbenen und verteidigten Befugnisse. Was, fragt man sich mit ihnen, sollten die Ärmsten wirklich tun, wenn nicht sie herrschten, sondern statt ihrer die Vernunft regierte! Nun also.
Eines Tages wurde der nette alte Herr während einer Sitzung gemeldet, an der die wichtigsten Staatsmänner der Erde teilnahmen, um, wie verlautete, die irdischen Zwiste und Nöte aus der Welt zu schaffen. "Allmächtiger!" dachten sie. "Wer weiß, was er heute mit uns und seiner dummen Vernunft wieder vorhat!" Und dann ließen sie ihn hereinbitten. Er kam, verbeugte sich ein wenig altmodisch und nahm Platz. Er lächelte. Sie lächelten. Schließlich ergriff er das Wort.
"Meine Herren Staatshäupter und Staatsoberhäupter", sagte er, "ich habe, wie ich glaube, einen brauchbaren Gedanken gehabt; man hat ihn auf seine praktische Verwendbarkeit geprüft; ich möchte ihn in Ihrem Kreise vortragen. Hören Sie mir, bitte, zu. Sie sind es nicht mir, doch der Vernunft sind Sie's schuldig."
Sie nickten, gequält lächelnd, mit ihren Staatshäuptern, und er fuhr fort: "Sie haben sich vorgenommen, Ihren Völkern Ruhe und Frieden zu sichern, und das kann zunächst und vernünftigerweise, so verschieden Ihre ökonomischen Ansichten auch sein mögen, nur bedeuten, dass Ihnen an der Zufriedenheit aller Erdbewohner gelegen ist. Oder irre ich mich in diesem Punkte?"
"Bewahre!" riefen sie. "Keineswegs! Wo denken Sie hin, netter alter Herr!"
"Wie schön!" meinte er. "Dann ist Ihr Problem gelöst. Ich beglückwünsche Sie und Ihre Völker.
Fahren Sie heim und bewilligen Sie aus den Finanzen Ihrer Staaten, im Rahmen der jeweiligen Verfassung und geschlüsselt nach Vermögen, miteinander einen Betrag, den ich genauestens habe errechnen lassen und zum Schluß nennen werde! Mit dieser Summe wird Folgendes geschehen:
Jede Familie in jedem Ihrer Länder erhält eine kleine, hübsche Villa mit sechs Zimmern, einen Garten und einer Garage sowie ein Auto zum Geschenk. Und da hintendrein der gedachte Betrag noch immer nicht aufgebraucht sein wird, können Sie, auch das ist kalkuliert, in jedem Ort der Erde, der mehr als fünftausend Einwohner zählt, eine neue Schule und ein modernes Krankenhaus bauen lassen.
Ich beneide Sie. Denn obwohl ich nicht glaube, dass die materiellen Dinge die höchsten irdischen Güter verkörpern, bin ich vernünftig genug, um einzusehen, dass der Frieden zwischen den Völkern zuerst von der äußeren Zufriedenheit der Menschen abhängt. Wenn ich eben sagte, dass ich Sie beneide, habe ich gelogen. Ich bin glücklich." Der nette alte Herr griff in seine Brusttasche und zündete sich eine kleine Zigarre an.
Die übrigen Anwesenden lächelten verzerrt. Endlich gab sich das oberste der Staatsoberhäupter einen Ruck und fragte mit heiserer Stimme: "Wie hoch ist der für Ihre Zwecke vorgesehene Betrag?"
"Für meine Zwecke?" fragte der nette alte Herr zurück, und man konnte aus seinem Ton ein leichtes Befremden heraushören. "Nun reden Sie schon!" rief das zweihöchste Staatsoberhaupt unwillig. "Wieviel Geld würde für den kleinen Scherz gebraucht?"
"Eine Billion Dollar", antwortete der nette alte Herr ruhig. "Eine Milliarde hat tausend Millionen, und eine Billion hat tausend Milliarden. Es handelt sich um eine Eins mit zwölf Nullen." Dann rauchte er wieder an seiner kleinen Zigarre herum.
"Sie sind wohl vollkommen blödsinnig!" schrie jemand. Auch ein Staatsoberhaupt.
Der nette alte Herr setzte sich gerade und blickte den Schreier verwundert an. "Wie kommen Sie denn darauf?" fragte er. "Es handelt sich natürlich um viel Geld. Aber der letzte Krieg hat, wie die Statistik ausweist, ganz genau soviel gekostet!"
Da brachen die Staatshäupter und Staatsoberhäupter in tobendes Gelächter aus. Man brüllte geradezu. Man schlug sich und einander auf die Schenkel, krähte wie am Spieß und wischte sich die Lachtränen aus den Augen. Der nette alte Herr schaute ratlos von einem zum andern. "Ich begreife Ihre Heiterkeit nicht ganz", sagte er. "Wollen Sie mir gütigst erklären, was Ihnen solchen Spaß macht? Wenn ein langer Krieg eine Billion gekostet hat, warum sollte dann ein langer Frieden nicht dasselbe wert sein? Was, um alles in der Welt, ist denn daran komisch?"
Nun lachten sie alle noch lauter. Es war ein rechtes Höllengelächter. Einer konnte es im Sitzen nicht mehr aushalten. Er sprang auf, hielt sich die schmerzenden Seiten und rief mit der letzten ihm zu Gebote stehenden Kraft: "Sie alter Schafskopf! Ein Krieg - ein Krieg ist doch etwas ganz anderes!"
Die Staatshäupter, der nette alte Herr und ihre lustige Unterhaltung sind völlig frei erfunden. Dass der Krieg eine Billion Dollar gekostet hat und was man sonst für denselben Betrag leisten könnte, soll, versichert eine in der "Frankfurter Neuen Presse" zitierte amerikanische Statistik, hingegen zutreffen."

Ihr Lieben,
an diese Geschichte musste ich in diesen Tagen immer wieder denken. Ich meine damit weniger die Katastrophe in Japan als die Vorgänge in Lybien, die fast schon wieder in Vergessenheit geraten sind.

Ich finde es immer wieder so heuchlerisch, wenn deutsche Politiker zum Frieden um Nahen Osten aufrufen und die dortigen Herrscher ermahnen, auf die Demokratie-wünsche ihrer Untertanen einzugehen.
Dabei wird immer wieder verschwiegen, dass wir, das im Vergleich zur restlichen Welt doch recht kleine Deutschland nach den USA und Russland der drittgrößte (!) Waffenexporteur der Welt ist.
Wir sind also mitbeteiligt, wenn Menschen in den Ländern, in die wir Waffen exportieren, erschossen und mithilfe deutscher Technik umgebracht werden.
Besonders zynisch ist es, wenn der Waffenexport dann immer mit der Sicherung von Arbeitsplätzen in Deutschland begründet wird.
Ich persönlich könnte mir niemals vorstellen, einen Beruf auszuüben, in dem ich Wafen herstelle, mit denen andere Menschen umgebracht werden.
Ich bin ein Träumer, ich weiß und ich werde es selbst sicher nicht mehr erleben.
Aber mein Traum wäre, dass das Märchen von Erich Kästner Wirklichkeit würde und dass man endlich statt in Waffen und damit in den Tod in das Leben der Menschen investiert.

Das Wichtigste ist doch nicht, die eigenen Interessen durchzusetzen, sondern das Wichtigste ist, dass der Friede auf dieser Welt verwirklicht wird, dass wir in den anderen Menschen nicht unsere Feinde sehen, vor denen wir uns mit Waffengewalt schützen müssen, sondern dass wir in den anderen Menschen unsere Schwestern und Brüder sehen, an deren Wohnergehen uns gensuso viel liegt wie an dem eigenen.

Ihr Lieben,

ich wünsche Euch einen ruhigen Tag und dann einen guten Start ins Wochenende.

Seid ganz herzlich gegrüßt aus dem regnerischen Bremen

Euer zuversichtlicher und fröhlicher Werner

Das Märchen von der Vernunft

Das Foto wurde von Kerin Heringshausen zur Verfügung gestellt



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