Darum sterben Männer früher

Von  Corina Broßmann

Das starke Geschlecht macht sich von klein auf das Leben schwer und ist von Mutter und Partnerin abhängig. Männerforscher Dr. Matthias Stiehler erklärt news.de, warum das so ist und was Mann tun kann, um ein selbstbestimmtes Leben zu genießen.

Männer sehen dem Tod im Durchschnitt sechs Jahre früher ins Auge als Frauen. Verhielte es sich umgekehrt, würde das Thema weniger stoisch betrachtet. Eine geringere Lebenserwartung von Frauen wäre ein unwiderlegbarer Beweis, dass sie in der Gesellschaft benachteiligt werden.

Warum wird dies bei Männern anders gesehen? Zufall? Oder symptomatisch dafür, wie unsere Gesellschaft Männlichkeit und männliches Selbstbewusstsein bewertet? Das sind Fragen, die der Männerforscher Dr. Matthias Stiehler in seinem neuen Buch Der Männerversteher stellt.

Mit welchen Themenkomplexen befasst sich die akademische Männerforschung?

Dr. Stiehler: Das Themenspektrum ist breit, zentral aber ist die Frage: Auf welche Weise wird «Männlichkeit» gesellschaftlich konstruiert? Das heißt, welche Formen von Männlichkeit bilden sich in einer Gesellschaft heraus und bestimmen das Bild in der Bevölkerung. Das ist meist kein bewusster Prozess, sondern unterliegt unterschiedlichen Einflüssen. Das Problem, das ich dabei sehe: Es wird kaum noch nach dem biologischen Fundament gefragt. Damit wird der Maßstab für gelingendes Mannsein beliebig. Er kommt nicht aus den Männern selbst, sondern zumeist aus Ideologien.

Welchen Zusammenhang sehen Sie zwischen der niedrigeren Lebenserwartung
der Männer und gesellschaftlichen Bedingungen?

Stiehler: Die Soziologie geht schon lange davon aus, dass die Lebenserwartung einer gesellschaftlichen Gruppe deren Stellung in der Gesellschaft entspricht. Nehmen wir das ernst, müssen wir fragen, worin das gesellschaftliche Problem der Männer liegt. Die Antwort darauf ist komplex, aber: Offensichtlich ist die gesellschaftliche Position nicht nur vom Sozialstatus abhängig. Vielmehr spielen Fragen von Erwartungen und Zuschreibungen eine große Rolle. Männer lernen sehr früh, hart gegen sich zu sein, nicht so sehr auf sich zu achten und die an sie gestellten Erwartungen zu erfüllen. Interessant ist, dass es nicht nur den Männern selbst schwer fällt, sich eigene Schwächen und eben manchmal auch Versagen einzugestehen, sondern dass Partnerinnen oder Chefs ebenso den Anspruch an sie haben. Es ist also weniger ein Thema des schwachen Willens oder der falschen Einstellung als mehr ein Beziehungsthema. Der Unterschied in der Lebenserwartung zwischen Frauen und Männern entstand übrigens in der Zeit der Industrialisierung, als Männer Alleinernährer wurden.

Welchen Benachteiligungsstrukturen sind Männer heute ausgesetzt?

Stiehler: Das Stichwort ist die besagte Externalisierung, also die eigenen Bedürfnisse nicht spüren, sondern andere Erwartungen erfüllen. Interessant ist nun, dass selbst die Debatte um die «Neuen Männer» im Grunde die Externalisierung fortsetzen. Männer sollen so oder so sein. Und das wird in der Regel nicht von ihnen selbst festgelegt, sondern beispielsweise von einer Öffentlichkeit, in die Themen der Frauenbewegung selbstverständlich geworden sind. Unter objektiven Gesichtpunkten müssen die Forderungen gar nicht falsch sein. Sie lassen aber außer Acht, dass hier nicht die Beziehungsqualität verändert wird, sondern einer Optimierungsstrategie gehuldigt wird. Und das kann eben zu keinem Miteinander führen. Im Grunde bin ich entsetzt, wie sehr selbst scheinbar fortschrittliche Frauen erwarten, dass Männer hart gegen sich sind und «sich doch einfach mal ändern sollen».

Welche Konflikte tun sich auf, wenn sich Männer für Frauen ändern?

Stiehler: Das Problem ist bei allem, was man für andere macht: Man wird nicht zufrieden. Daraus erwächst zumeist ein Keim für Streit und Entfremdung. Deshalb sollten Männer wie Frauen auch nur dann etwas für den anderen tun, wenn sie wirklich damit einverstanden sind. Das setzt aber voraus, sich erst einmal selbst zu verstehen.

Was macht Männer abhängig von ihren Partnerinnen?

Stiehler: Die Hoffnung, noch einen Zuschlag Mutterliebe zu bekommen.

Warum glauben Männer, liebenswerte Trottel sein zu müssen?

Stiehler: Männer wollen das ja nur in den seltensten Fällen. Aber wenn sie schon früh gelernt haben, dass nicht das eigene Wollen zählt, sondern die Anpassung an die Erwartungen anderer, macht das mit der Zeit wirklich trottelig. Sie müssen bloß mal ältere Paare beim Einkaufen in einem Supermarkt beobachten. Dann sehen Sie, was ich meine.

Wie können Männer ihre Männlichkeit vertreten ohne anzuecken?

Stiehler: Warum sollten Männer nicht anecken? Es sollte nur eben nicht um den Zweck des Aneckens gehen. Das wird dann zu unfruchtbarem Streit. Ziel ist, die eigene Männlichkeit zu entwickeln. Das führt nach meiner Erfahrung zu mehr Offenheit und Miteinander, mitunter aber auch gerade zu Auseinandersetzungen.

Warum zerstört die Erwartung von Anerkennung und vollkommener Harmonie auf Dauer die Beziehung?

Stiehler: Wenn ich vom anderen Anerkennung brauche, mache ich mich von ihm abhängig. Ich erwarte dann, dass der jeweils andere für mich da ist und mir in letzter Konsequenz mein Lebensglück bringt. Das überfordert eine Partnerschaft.
Das heißt nicht, dass man nicht auch Anerkennung in einer Partnerschaft geben kann. Aber wir machen auch in unserer Paararbeit die Erfahrung, dass Liebe nicht gefordert, nur gegeben werden kann. Es gibt kein Recht, etwas von einem anderen zu bekommen.

Geben wollen, geben müssen: Welche Rolle spielt der Leistungsgedanke in der männlichen Sexualität in diesem Zusammenhang?

Stiehler: Es liegt in der Natur der Sache, also in der Biologie, dass Sexualität beim Mann mehr als bei der Frau mit Leistung verknüpft ist. Ein Mann braucht beim Geschlechtsverkehr nun einmal eine Erektion. Andererseits kann ein Mann eben nicht nur der tolle Hengst sein. Und so sehr ich die lustvolle Seite des Eindringens, des Nehmens schätze, so wichtig ist es eben auch, dass ein Mann sich hingibt und passiv genießt oder dass er eben auch mal nicht kann. Zur Sexualität gehört also Leistung und Nicht-Leisten-Müssen. Ein andauerndes Ungleichgewicht nach der einen oder anderen Seite ist ungesund. Viele Männer stehen in der Gefahr, sich dauerhaft dem Leistungdruck auszusetzen. Das tut weder der Beziehung noch der Männerseele gut.

Dr. Matthias Stiehler (geb. 1961) ist psychologischer Berater im Gesundheitsamt Dresden und Vorsitzender des Dresdner Instituts für Erwachsenenbildung und Gesundheitswissenschaft. Er ist Mitgründer des bundesweiten Netzwerks Männergesundheit, Vorstandsmitglied der Deutschen Gesellschaft für Mann und Gesundheit und Initiator eines «Männergesundheitsberichts für Deutschland».

Lesetipp: Der Männerversteher – Die neuen Leiden des starken Geschlechts, Dr. Matthias Stiehler, Verlag: C.H. Beck, erschienen am 30. August 2010, 12,95 Euro.

sca/news.de

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Tagged: Dr. Matthias Stiehler, Mann, Männer, Männerforschung

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