CTM und TM 2011 – Eine Reise durch das Festivallabyrinth

CTM und TM 2011 – Eine Reise durch das Festivallabyrinth
Das CineChamber bot während des gesamten Festivals synästehtische Erlebnisse

Letztes Wochenende waren wir im , für Februar, tropisch warmen Berlin, um uns die beiden Festivals “Transmediale” und “Club Transmediale” anzuschauen und haben eine Reise durch das entropische Festival-Labyrinth unternommen. Zwischen unzähligen Hipstern und den unausweichlichen Macbook-Soldaten keine leichte Aufgabe.

(Phire): Langsam angehen lassen. Eine Devise, an der wir angesichts der Programmfülle stets gescheitert sind. Das Nachtprogramm am Mittwoch bot sich als geeigneter Einstieg an. In den vier zu Clubs umfunktionierten Locations direkt am Kottbusser Tor/Kreuzberg konnte man quasi mehrere Events gleichzeitig besuchen. Um Punkt 0 Uhr begann Gx Jupitter Larsen im West Germany seine Kunstperformance aus Koffermusik und avantgardistischem Stillstehen-und-dabei noch-nicht-mal-soo-cool-aussehen. Ausgerüstet mit Skimaske und seinem umgebauten Koffer zelebrierte der amerikanische Konzeptkünstler das Störgeräusch, in Fachkreisen auch Noise genannt. Dabei füllte er mithilfe extremer Lautstärke den kleinen Raum mit einem einzigen Distortion-Sound aus, der sich innerhalb des einstündigen Konzerts lang nur sehr marginal veränderte. Ich freute mich über das herausfordernde Dröhnen im Solarplexus und versuchte mir vorzustellen, wie jemand ein solches Konzert wohl auf Acid vertragen würde.  Nach verhaltenem Applaus wurde es Zeit für einen Ortswechsel.

CTM und TM 2011 – Eine Reise durch das Festivallabyrinth
Gx Jupitter Larsen während seiner Performance im West Germany – Bild: Phire

Auf zum Monarch Club, wo Philip Sherburne versuchte, den Rekord der am langsamsten abgespielten Houseplatten zu brechen. Mein Blick schweift umher und bleibt am Eingangsbereich stehen. Zu meiner Verwunderung hält der mürrische Türsteher ein Buch in der Hand, aus dem er immer dann zu lesen scheint, wenn er gerade die Neuankömmlinge nicht mit einem kritischen Blick begrüßt. Ich will unbedingt erfahren, welche Art von Lektüre in der Türsteher-Szene zurzeit en vogue ist. Ich versuche, nicht aufzufallen und nach minutenlanger Investigativ-Recherche sehe ich das Buchcover. Es handelt sich um „Fucking Berlin“. Aha, kenne ich. Die Autobiographie einer Halbtags-Studentin, die aus ihrem Doppelleben als „Teilzeit-Hure“ berichtet. Ich versuchte mir vorzustellen, wie der Typ sich gerade die Szenen im Buch vorstellt. Bestimmt projiziert er das Gelesene gerade auf die gut aussehende Schwedin, die gerade durch die Tür erscheint.

The Mechanical Shutter

(automat): Im Rahmen einer ganzheitlichen Technikbetrachtung sollten in Workshops und Ausstellungen verschiedene Aspekte dieser beleuchtet werden. Ein Beispiel ist die Do-It-Yourself Werkstatt „Switching on and switching of as the basic principle of interaction”, in welcher mithilfe einiger Batterien, Schaltkreisen und kleiner Motoren dem lediglich Software nutzenden Digital Natives auch mal die Grundlagen von Elektrizität haptisch erfahrbar gemacht werden konnten. Hier ein Selbstversuch:

Hyperdub Night im Berghain

(Phire): Mit der Hyperdub Night im Berghain hatte das Festival seinen ultimativen Höhepunkt erreicht. Während der Sänger von Darkstar es schaffte, die auf Platte vielversprechendere Musik mit pathetischer Weltschmerz-Ästhetik zu dekonstruieren, konnte die Post-Dancehall-Formation King Midas Sound um den wahrscheinlich vielseitigsten Londoner Künstler The Bug mithilfe der gigantischen Anlage des Berliner Technoclubs die Anwesenden endlich aus der Lethargie reißen. „Catch a fire, start a fire.“

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King Midas Sound, die neue Dancehall-Noise-Dubstep Formation um The Bug – Foto: CTM

Da es von nun an loderte, war es für Kode9 ein leichtes, die Flammen weiterzureichen. Schnell gelang es dem Dubstep-Theoretiker und Labelchef, die Anwesenden unter seine sonische Kontrolle zu bekommen. Dies gelang ihm mithilfe seiner besten Waffen: Infraschall und messerscharfe Garage Hi-Hats. Kode9 erwies sich als treuer Anhänger jamaikanischer Remix-Kultur, indem er fast alle seiner alten Tracks in einem fünf-minütigen Remix Raum und Zeit kollabieren ließ wie ein musikalisches Wurmloch. The Spaceape, der den Liveact komplettierte, reiste als Prophet an und infizierte uns mit seinen Erinnerungen aus der Zukunft. „I am lost in Paranoia’s most beautiful dream, an escape is made through a thousand doors, with a sub bass emerging through the open floor.”

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Nicht nur in der Musik eine Entität – Bild: CTM

Bis zum Schluss bewiesen die beiden Hyperdub- DJanes Ikonika und Cooly G sowie Terror Danjah, Scratcha DVA und Kode9 mit ihren eklektischen Sets aus Dubstep, UK Funky und Jungle, dass die sonischen Waffen der Zukunft zur Mobilisierung neuartiger rhythmischer Kollektive vor allem auf dem Londoner Label produziert werden.

Kurz danach, in der U-Bahn, bin ich ein anderer Mensch, kontaminiert vom musikalischen Virus des Abends und mir wird klar: Wir alle sind Reisende, die sich im schönsten Traum unserer Paranoia verlaufen haben. Die U-Bahn fährt über Brücken und Straßen. Dort unten ist das Leben. Dort spielen und schlafen sie. Und spielen die spielen der Kontrolleure. „An escape is made through a thousand doors”.

The Rogue McLuhan

(automat): Anlässlich des 100. Geburtstag von Marshall McLuhan hat die Transmediale einen Schwerpunkt auf den Medientheoretiker gelegt und präsentiert einige Vorträge über ihn und sein Oeuvre. Der heutige Vortrag behandelt das weniger bekannte Werk „Counterblast“, welches von Marshall -„The Guru“ -McLuhan- Anhängern auch gern als „The Bible“ bezeichnet wird und für die Transmediale in limitierter Auflage neu herausgebracht wurde. Die Einleitung gibt Michelle Kasprzak. Man erfährt, dass bei McLuhan viel über kanadische Kultur gelernt werden kann und dass die alten Medien versuchen, die neuen Medien nach ihrem Vorbild zu gestalten. Dies sei, nach McLuhan, weder möglich noch sinnvoll: „ Das Auto ersetzt die Pferdekutsche nicht nur, es erweitert dieses Transportmitteln mit neuen Möglichkeiten“.

Der erste Vortrag von Elena Lamberti, einer Literaturprofessorin aus Italien, führt durch das Leben McLuhans, der ebenfalls Literaturwissenschaft unterrichtete. McLuhan sei stark durch die die Autoren James Joyce, T. S. Eliot, Richard Lewis und Ezra Pound beeinflusst worden, die damals zur modernen Avantgarde der Literaten zählten und ebenfalls mit neuen Erzählformen experimentierten. Literatur müsse nach McLuhan immer im aktuellen Kontext produziert und verstanden werden. So versuchen wir beispielsweise diesen Artikel in mehreren Textformen zu gestalten sowie durch das Einbinden von Hyperlinks und Videos weitere Möglichkeiten des Artikelschreibens im Internet auszuloten. McLuhan selbst wollte die „Message“ seiner Texte nicht nur als Formulierung  verstanden wissen, sondern, dass sie selbst schon die Botschaft als Textform verkörpern.

Timothy Druckrey konnte leider nicht anreisen und wurde via Skype zugeschaltet. Klar, in Zeiten von Internettelefonie keine große Sache. Vor allem nicht auf der Transmediale, wo sich mehr oder weniger alles um die Nutzung neuer technischer Möglichkeiten dreht. Die reizende Michelle soll die Powerpointpräsentation für Timothy durchklicken und durch das Gespräch führen. Die anfänglichen Startschwierigkeiten scheinen beigelegt, doch Timothy redet zu schnell, die Kommunikation ist zeitversetzt, er ist nicht zu sehen und die Stimme kaum zu verstehen. Zu allem Überfluss mischen sich jetzt auch noch nicht-kontrollierbare, technische Akteure in das Geschehen ein; die üblichen Skype Pop-Ups. Auf der riesigen Leinwand sehen die zunehmend weniger werdenden Anwesenden, welche Freunde von Michelle bei Skype online gehen. Die Situation scheint außer Kontrolle zu geraten. Michelle wird zunehmend nervöser und bricht das Gespräch leicht unfreundlich ab. Gut, okay, hier konnte man nichts lernen, aber ein soziologisches Krisenexperiment à la Garfinkel bewundern.

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Foto: Reckon via Flickr

Die mittlerweile etwas fragwürdige Veranstaltung erreicht mit dem letzten Vortrag, der stellvertretend für Präsentationen und Kunstaktionen steht, die bei dem unbedarften Zuschauer schnell die Reaktion auslöst: „Was ist denn das für ein Scheiß? Ich verstehe diese Kunstfreaks nicht“, ihren Höhepunkt. Ed und Elaine haben eine eigene Version des Buches Counterblast geschaffen und ihm den kreativen Namen „Counterblast Reblast“ gegeben. In ihrer live kommentierten Video-Performance haben sie, anscheinend mit dem schlechtmöglichsten digitalen Aufnahmemedium (ich nehme an, eine der ersten Digital- oder Handykameras, jedoch ohne den möglichen Charme einer solchen), gefilmt, wie sie ihr Buch ungewollt zu anderen McLuhan Büchern in diversen öffentlichen Bibliotheken stellen. Ultra-nervige, persuasiv-spannende Musik ertönt dazu. Die meisten Teilnehmer verlassen nun schlagartig den Raum. In einem perversen Masochismus und nur, um euch davon berichten zu können, schaue ich mir den Vortrag bis zu Ende an. Als nichts mehr passiert, verlasse ich während der anschließenden Diskussion in gezwungener Atmosphäre als einer der letzten den Raum.

Dorian Concept

(Phire): Während des gesamten Konzerts habe ich mich gefragt, wie Dorian Concept das wohl macht. Obwohl er während seines Auftritts ständig herumfuchtelt und springt wie ein osmanischer Derwisch, weisen seine perfekt gekämmten Haare keinerlei Veränderung auf. Die Frisur steht. Aber mal im Ernst: Ich habe noch nie einen elektronischen Liveact gesehen, der auf derart gekonnte Weise seine Musik präsentiert und dabei so virtuos in die Tasten seines Synthesizers haut,  als wäre er in Wirklichkeit Pianist einer Free-Jazz-Combo.

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Dorian Concept live – Bild: Rene Passet via Flickr

Modeselektion Club Night

(automat): Nach der Hyperdub  Night konnte man sich Samstagabend im Rahmen des Festivals auf einen weitere vielversprechenden Club Abend im Maria am Ostbahnhof freuen. Neben Modeselektor als wohl bekanntester Act mit internationalem Flair und Berlin Charme sind vor allem Bok Bok und Girl Unit vom Label Night Slugs erwähnenswerte Acts, die aber leider im kleinen Raum des Maria ihre volle Wirkung nicht so recht entfalten konnten.

Es ist Sonntagmorgen, 8.53. Das Stadtbild konkurriert im Wettbewerb um das graueste Grau. Draußen läuten Glocken. Kündigen sie den Untergang an? Während der grauweiß verhangene Himmel von seiner sonntäglichen Atmosphäre überzeugt ist und auf kleinbürgerliche Trostlosigkeit hinweist, hallt die Stimme von Spaceape nach: “I am lost in Paranoia’s most beautiful dream”.


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