Córdoba (VII)

Bereits an anderer Stelle habe ich John Lennon zitiert und es bewahrheitet sich erneut, dass es besser ist, keine Pläne zu machen: Ich bin noch immer in Córdoba und ich müsste leugnen, schriebe ich, Dani wäre nicht der Grund.

Die Woche über bemühe ich mich zu schreiben, was nur nach langer Anlaufzeit gelingt, es kostet mich Überwindung, ich muss mich zwingen, aber es sein zu lassen, hieße aufzugeben. Nur das geschriebene Wort hält mich im Gleichgewicht. Nie ist Schreiben einfacher, als gegenwärtig. Nichts ist schwieriger, als die Wärme eines abgebrannten Streichholzes zu fühlen.

Ich besuche das museo de la memoria, das während Argentiniens Militärdiktatur einer in Córdoba stationierten Spezialeinheit als Internierungs- und Folterlager diente. Die Ausstellung ist ausschließlich in spanischer Sprache erklärt. Ich verstehe nur wenig. Aber die kargen engen Zellen, die Photographien der jungen Menschen, die nach 30 Jahren noch immer ›verschwunden‹ sind, die Gedichte, die Bilder, die das Unbegreifliche dieser Welt darzustellen versuchen, die von Familienangehörigen liebevoll zusammengestellten Erinnerungsbücher, sprechen eine mehr als deutlicher Sprache. Ich fühle Wut: Wie kann es geschehen, dass aus einem zarten, verletzlichen, völlig an seine Mitmenschen angewiesenen Geschöpf, das von der Brust einer Mutter gestillt und von den Händen eines Vaters umhütet und beschützt werden muss, nur das Menschliche entweichen kann? Ich erinnere mich an Plakate der Berliner Volksbühne, die vor wenigen Jahren unter anderem mit der Kinderphotographie von Adolf Hitler für ihr Stück ›i’ll be back‹ warb. Nichts als Rührung und Entzücken überkam mich – nichts als Scham und Hass, als ich den Namen dieses zum Blutsäufers entarteten lass.

Am Folgetag besuche ich mit Gaelle und Mao, Alta Gracia, denn dort befindet sich ein Museum, das einst das Wohnhaus Che Guevaras war. Eine Ausstellung, weniger martialisch, als die Damalige in Santa Marta auf Kuba, wo heute seine sterblichen Überreste liegen. Kinderfotos, Tagebücher und Abschiedsbriefe, seine Norton 500, das Fahrrad, mit dem er die erste Argentinien-Reise machte – eine Ausstellung, die Einblick in einen klaren gebildeten Visionär voller Idealismus und nobler Ideen gibt, und, ohne es zu erklären, erklärt warum Menschen zu Waffen greifen.

Abends schauen ich und Dani Filme (unter anderem ›Max und Mary‹ mit dem besten Satz der Filmgeschichte: ›Schuldet uns ein Taxi Geld wenn es rückwärts fährt?‹), trinken Wein zu schwarzer Klassik, schwarzem Country, erhellendem Hip-Hop und kochen, wenn sie nicht mit ihrer Freundin Florencia – schön wie ihr Name selbst – arbeiten muss. Meine Kartoffelpuffer stoßen auf große Begeisterung, obwohl sie nicht so gelungen sind wie bei Mama: Beide essen mehr als sie wollten.

Am Samstag werden Dani und ich von Florencia zum Grillen eingeladen. Florencias Freundin ist nach einer halben Jahr Deutschland, wo sie für eine Bank als Designerin arbeitete, zurückgekehrt. Die erste Stunde laufe ich mit einem Grinsen umher. Neun Gäste, und ich der einzige Mann, und eine schöner, als die andere. Das Essen ist fantastisch. Es gibt gegrillte Salchi, eine Wurst aus Kuh und Schwein. Ein später eintreffender Freund dieser brünetten Erscheinungen bemängelt jedoch, dass diese Wurst nicht die Beste sei. Mir schmeckt es dennoch. Die Wurst wird auf ein mit selbst gemachter Mayonnaise bestrichenes Baguette gelegt. Dazu gibt es Tomaten-Zwiebel-Salat und grünen Salat. Wir trinken Cabernet Sauvignon, später Fernet-Cola, und noch später spendiert mir Nico Marihuana. Politik ist in Argentinien die Sau die durchs Dorf getrieben wird. Eines jedoch finde ich frappierend: In Argentinien besteht Wahlpflicht. Jeder Person ab 18 Jahren muss zur Wahlurne gehen, dafür bekommt man dann einen Stempel in seine Dokumente. Wem Stempel fehlen und der dann auf staatliche Alimente angewiesen ist, dem werden sie verwehrt. Ein in meinen Augen vorbildliches System gegen wachsende Politikverdrossenheit: Denn ich denke, dass der Zwang zur Wahl, den einen oder anderen auch dazu zwingen wird, sich mit Wahlprogrammen auseinanderzusetzen. Und während der blaue Duft Nico gefallsüchtig umtanzt, sagt er, dass bezüglich des Rauchens auch in Argentinien – das einst als Eldorado für Raucher galt – ein Umdenken stattfindet. Bis vor fünf Jahren durfte noch überall geraucht werden. Heute wird es mehr und mehr aus dem öffentlichen Leben verbannt.

Und wenn ich jetzt das Folgende sage und mich wiederhole, dann zeigt das nur, dass das stetig Neue im Laufe der Zeit zum Alten verkommt. Eine Freundin fragte mich vor langer Zeit, ob es schwieriger wäre zu gehen oder zurückzukommen. Heute weiß ich, ganz bestimmt: Es ist schwieriger zurückzukommen. Ich stehe auf der Avenue Jiménez, esse Mango, als ein völlig verlumpter, übel riechender Mann auf mich zu schreitet und in akzentfreiem Englisch um etwas Geld bittet. Er möchte nie wieder in die USA zurück, und versucht hier in dieser kolumbianischen Megastadt irgendwie zu überleben. Und ich versuche zu antworten, aber ich kann mich selbst nicht hören, und ich versuche lauter zu sprechen, aber ich kann mich noch immer nicht hören, und dann schlage ich die Augen auf, und das Licht des Herbstes rinnt zwischen Danis Schulterblättern hinab. Die ganze Zeit noch, die noch keine ist, weil sie unerschöpflich ist, verrinnt auf einmal so schnell – umso schneller, sie zählbar ist. Kolumbien, Peru, Nadja und Paulina liegen auf dem Mond. Absurd ist die Vorstellung in zwei Wochen zurück zu sein, zurück an einem Ort, der mich vielleicht nicht mehr erkennt, obwohl ich ihn doch erst gestern verlassen habe: Noch immer spüre ich die Wärme meiner Familie Umarmung, schlucke das letzte tschechische Bier, dass ich mit Andy teile, der letzte Akkord Ceremonys ist in meinen und meines Bruder Ohren noch nicht verklungen, der Wodka brennt noch immer in meiner und Simons Kehle, während wir die schöne Frau hinter der Theke anlächeln, Sebastian schüttet noch mir immer sein blutendes Herz aus, und Christine steht noch immer hinter der Scheibe und wischt sich die Tränen von der Wange, während ich mit nassen Augen und einem Kloß im Hals, ihr zum letzten Mal den Rücken kehre. Und nur wegen diesen Menschen und denen, die ich hier nicht erwähne, muss diese unglaubliche Reise  …

…  irgendwann doch enden.


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