»Christlicher Dienst« muss sich zuvörderst rechnen

Diakonie_LogoWEIMAR. (fgw) Der Skandal ist lange noch nicht genü­gend in der Öffent­lich­keit: Der von den Kirchen in ihren Sozialeinrichtungen wie z.B. der Diakonie prak­ti­zierte so genannte »Dritte Weg«, wird zwar theo­lo­gisch mit der Idee der »christ­li­chen Dienstgemeinschaft« zwi­schen Arbeitgebern und Arbeitnehmer begrün­det, ist aber in Wirklichkeit eine aktive Geschäfts- und Wettbewerbsstrategie, »um sich gegen­über sozi­al­wirt­schaft­li­chen Konkurrenten durch­zu­set­zen«.

von Karl-Helmut Lechner

Zu die­sem Ergebnis kommt eine bereits im Juli 2012 ver­öf­fent­lichte Studie der Hans-Böckler-Stiftung unter dem Titel: »Leiharbeit und Ausgliederung in dia­ko­ni­schen Sozialunternehmen«. Die Forscher kom­men zu dem Ergebnis: Um Lohnkosten zu redu­zie­ren, sind in der Diakonie der evan­ge­li­schen Kirche Ausgliederungen von Betrieben und Betriebsteilen »flä­chen­de­ckend ver­brei­tet«.

Anfang der 1990er Jahre gab es einen Umbruch im tra­di­tio­nell vom Prinzip der Subsidiarität gepräg­ten Sozialsystem in Deutschland. Eingeführt wurde eine öko­no­misch ori­en­tierte Sozialwirtschaft, die zu einer grund­le­gen­den Veränderung der Produktion sozia­ler Dienste führte. Die Studie der Hans- Böckler-Stiftung beschreibt diese neue Situation fol­gen­der­ma­ßen: »Die Träger und Einrichtungen im Sozialsektor haben in den ver­gan­ge­nen Jahren einen Modernisierungsprozess initi­iert, in des­sen Rahmen es pri­mär darum geht, aus welt­an­schau­lich und sozi­al­po­li­tisch begrün­de­ten gemein­nüt­zi­gen Organisationen sozi­al­wirt­schaft­li­che Leistungserbringer zu for­men, deren zen­trale Aufgabe die Erbringung von pro­fes­sio­nel­len Dienstleistungen ist, deren Leistungserbringung und Ergebnisse unter Effektivitäts- und Effizienzkriterien dar­stell­bar und kon­trol­lier­bar sind«.

Es sind ganz »nor­male« kapi­ta­lis­ti­sche Unternehmen

Im Ergebnis haben auch die gemein­nüt­zi­gen christ­li­chen Hilfsorganisationen wie Caritas und Diakonie die­ses Prinzip über­nom­men. Ihre Sozialunternehmen ent­wi­ckel­ten sich nahezu aus­schließ­lich nach betriebs­wirt­schaft­lich defi­nier­ten Zielsetzungen, die ihre Leistungen den völ­lig »nor­ma­len« kapi­ta­lis­ti­schen Rationalitätskriterien unter­wer­fen. Davon betrof­fen sind in den dia­ko­ni­schen »Werken« der evan­ge­li­schen Kirche in Deutschland etwa 435 000 Menschen in rund 27 000 selb­stän­di­gen Einrichtungen. Die ver­än­der­ten Refinanzierungsbedingungen im Sozialsektor haben den Kostendruck auf diese Einrichtungen in den letz­ten Jahren immer grö­ßer wer­den las­sen. Die Unternehmen haben dar­auf mit umfas­sen­den Rationalisierungen und Kostensenkungsprogrammen geant­wor­tet, die ins­be­son­dere den Personalbereich betref­fen. Tarifliche Ausdifferenzierung, Ausgliederungen, die Nutzung von Arbeitnehmerüberlassung, Schaffung von Niedriglohnbereichen usw. sind flä­chen­de­ckend anzu­tref­fende Erscheinungsformen. Aus Werken mit reli­giö­sem Selbstverständnis sind Leistungserbringern gewor­den, die im Wettbewerb um Aufträge der Kommunen, der Agenturen für Arbeit oder ande­rer Kostenträger ste­hen und in die­ser Konkurrenz beste­hen müs­sen. Viele Träger von Einrichtungen fah­ren daher Dienste zurück, schlie­ßen sich zu grö­ße­ren Einheiten zusam­men und ver­kau­fen oder schlie­ßen Einrichtungen. Auf der Ebene der Spitzenverbände wer­den ins­be­son­dere Krankenhäuser und Altenheime in eigene, recht­lich selbst­stän­dige Betriebsträgergesellschaften über­führt und zusam­men­ge­schlos­sen. Es ent­ste­hen in der Tendenz immer grö­ßere Betriebseinheiten, die teil­weise ver­bands­über­grei­fend tätig sind, um ver­meint­lich effek­ti­ver wirt­schaf­ten zu kön­nen.

Die Studie der Hans-Böckler-Stiftung beschreibt, wie sich bis vor weni­gen Jahren die arbeits­recht­li­chen Regelwerke der Kirchen und ihrer Verbände weit­ge­hend am BAT des öffent­li­chen Dienstes ori­en­tier­ten, so dass die dif­fe­ren­zierte Organisationsstruktur der Diakonie sich kaum in unter­schied­li­chen Regelungen der Arbeitsbeziehungen nie­der­schlug. Dies hat sich mitt­ler­weile jedoch deut­lich ver­än­dert. Während für die Beschäftigten der Kirchen auch wei­ter­hin weit­ge­hend das Tarifrecht des öffent­li­chen Dienstes (TVöD/Bund bzw. TVöD/ Länder) ange­wen­det bzw. nach­ge­bil­det ist, set­zen sich die kirch­li­chen Wohlfahrtsverbände für eine Abkehr von den tarif­li­chen Bestimmungen des öffent­li­chen Dienstes und die Schaffung eige­ner, davon unab­hän­gi­ger Arbeitsrechtsregelungen ein. Begründet wird dies mit den ver­än­der­ten Rahmenbedingungen im Bereich sozia­ler Dienste. … »dia­ko­ni­sche Einrichtungen ver­fü­gen nicht über Steuereinnahmen, son­dern finan­zie­ren sich zum gro­ßen Teil aus Leistungsentgelten der Sozialkassen. Mit der Abschaffung des so genann­ten ›Selbstkostendeckungsprinzips‹ in den 1990-er Jahren fand hier ein Paradigmenwechsel statt: Die freie Wohlfahrtspflege ver­lor die Garantie, dass ihre Aufgaben in vol­ler Höhe erstat­tet wür­den. Statt des­sen kon­kur­rie­ren dia­ko­ni­sche mit pri­vat­ge­werb­li­chen und frei-gemeinnützigen Trägern um die Erbringung von Leistungen und deren Preise.«

Arbeitgeber Kirche als Staat im Staat

Da im Bereich sozia­ler Dienste zwi­schen 70 und 80 Prozent der anfal­len­den Kosten Personalkosten sind, ver­wun­dert es nicht, dass eine »wirt­schaft­lich solide dia­ko­ni­sche Personalwirtschaft« ange­strebt wird, um im Wettbewerb beste­hen zu kön­nen, wie die Studie das »Informationsmagazin« des Verbandes dia­ko­ni­scher Dienstgeber in Deutschland (VdDD), 2/2008 mit dem Titel »Diakonie unter­neh­men« fest­stellt. Allein schon die betriebs­wirt­schaft­li­che Sprache aus dem Personalmanagement ver­rät, wes Geistes Kind sie sind, die da reden. »Die kirch­li­chen Akteure ant­wor­ten in die­ser Lage mit einer Strategie nor­ma­ti­ver Aufladung und gestei­ger­ter Affirmation« heißt es in der wis­sen­schaft­li­chen Sprache der Studie. Dass heißt: Der ideo­lo­gi­sche Druck auf die Kolleginnen und Kollegen wird kräf­tig erhöht. Wer in der Diakonie arbei­tet, hat sich in die »Dienstgemeinschaft« ein­zu­fü­gen. »Die gemein­same Verantwortung für den Dienst der Kirche und ihrer Diakonie ver­bin­det Dienststellenleitungen und Mitarbeiter wie Mitarbeiterinnen zu einer Dienstgemeinschaft und ver­pflich­tet sie zu ver­trau­ens­vol­ler Zusammenarbeit.« So steht es in der Präambel des Mitarbeitervertretungsgesetzes der Evangelischen Kirche in Deutschland. »Mit einer Gemeinschaft im Dienst geht das Ideal eines ver­trau­ens­vol­len Miteinanders, der Rücksichtnahme und der ein­an­der zuge­wand­ten Konfliktlösung ein­her. Das dem staat­li­chen Arbeitsrecht zugrunde lie­gende Modell des har­ten Interessenantagonismus ist dem Dienst in der Kirche fremd«, heißt es dazu in einem Kommentar. Der Vorsitzende des VdDD Rückert kenn­zeich­net den »Dritten Weg« als »Diskurs ver­nünf­ti­ger Menschen«. Er sei dem »pfei­fen­den und krei­schen­den Straßenkampf um Lohnerhöhungen« sogar »zivi­li­sa­to­risch über­le­gen«.

Diese arbeits­recht­li­che Sonderstellung wird im kirch­li­chen Sprachgebrauch als »Dritter Weg« bezeich­net. Als »ers­ter Weg« gilt in die­sem Zusammenhang die Festlegung von Arbeitsbedingungen durch ein­sei­tige Setzung der Arbeitgeber ohne Beteiligung von Arbeitnehmern. Verhandlungen und Arbeitskampfmaßnahmen zwi­schen Arbeitgebern und Gewerkschaften über den Abschluss von Tarifverträgen wer­den der »zweite Weg« genannt. Beim »Dritten Weg« soll ein christ­li­ches Selbstverständnis zum Ausdruck gebracht wer­den, nach dem beide, »Dienstgeber« wie »Dienstnehmer«, eine beson­dere Gemeinschaft bil­den, die als »kirch­li­che Dienstgemeinschaft« Arbeitskampfmaßnahmen wie Streik als Mittel der Konfliktregulierung aus­schließt. Die Kirchen sind aus dem Betriebsverfassungsgesetz her­aus­ge­nom­men. Streitigkeiten aus dem kirch­li­chen Mitarbeitervertretungsrecht unter­lie­gen auch nicht der Zuständigkeit staat­li­cher Gerichte. Und um klar­zu­stel­len, dass die »Dienstgemeinschaft« auf eine arbeits­ord­nungs­po­li­ti­sche Gestaltung abzielt und nicht auf eine Glaubensaussage begrenzt ist, hat der Kirchengerichtshof der EKD in einer Entscheidung zur Leiharbeit im Jahr 2006 her­aus­ge­stellt: »Die Dienstgemeinschaft ist nicht nur als reli­giöse Ausrichtung zu ver­ste­hen, son­dern als orga­ni­sa­to­ri­sche Gemeinschaft von Dienstgeber und Dienstnehmern, und zwar auch im recht­li­chen Sinne.« Will hei­ßen, wer sich nicht fügt, für den ist das Arbeitsrecht zur Disziplinierung da.

Auf der recht­li­chen Ebene wird diese Sonderstellung mit Verweis auf die im Grundgesetz Art. 140 inkor­po­rier­ten »Kirchenartikel« (Art. 136-139 und 141 der Weimarer Reichsverfassung) gerecht­fer­tigt. Das in Art. 137 Abs. 3 WRV nie­der­ge­legte Recht jeder Religionsgesellschaft und welt­an­schau­li­chen Vereinigung ihre Angelegenheiten selb­stän­dig zu ord­nen und zu ver­wal­ten, wird so aus­ge­legt, dass zu den eige­nen Angelegenheiten auch die Gestaltung ins­be­son­dere des kol­lek­ti­ven Arbeitsrechtes gehöre. Alle »Werke« der Kirche gel­ten kir­chen­recht­lich als Wesensäußerungen der Kirche. Die evan­ge­li­schen Kirchen haben sich dazu ein eige­nes Mitarbeitervertretungsrecht geschaf­fen, das »Kirchengesetz über Mitarbeitervertretungen in der Evangelischen Kirche in Deutschland« (MVG.EKD).

»Gelebte Dienstgemeinschaft« exis­tiert in der Praxis nicht

Angesichts ihrer Untersuchungsergebnisse kom­men die Wissenschaftler der Böckler-Stiftung zu dem Schluss: »Gelebte Dienstgemeinschaft exis­tiert in der Praxis nicht. Er folgt in der sozi­al­un­ter­neh­me­ri­schen Wirklichkeit den Gesetzmäßigkeiten der gesam­ten Sozialbranche, und die ist von den herr­schen­den Refinanzierungsbedingungen bestimmt und nicht von Glaubens- bzw. Wertebesonderheiten. Große Teile der Mitarbeitervertretungen der Diakonie for­dern des­halb den Über­gang in den zwei­ten Weg und einen ›Tarifvertrag Soziales‹ als Bremse der herr­schen­den Konkurrenzbedingungen.« Nicht Glaubens- bzw. Wertebesonderheiten kenn­zeich­nen die Arbeit der Diakonie, son­dern Gesetzmäßigkeiten sozi­al­un­ter­neh­me­ri­schen Wirklichkeit. Die Untersuchung der Hans-Böckler-Stiftung schil­dert sehr detail­liert die viel­fäl­tige Strategie der Flexibilisierung der Arbeitbedingungen der Beschäftigten im kirch­li­chen Dienst. Dabei geht es nicht alleine darum, den theo­lo­gisch über­höh­ten, oft dop­pel­zün­gi­gen Widerspruch der Rede von »Dienstgemeinschaft« zu ent­lar­ven. Sie will kon­kret die um Rechte und Tarifverträge kämp­fen­den Belegschaften unter­stüt­zen.

Große Teile der Mitarbeitervertretungen der Diakonie for­dern des­halb den Über­gang zu Tarifverhandlungen und einen Tarifvertrag als Bremse der herr­schen­den Konkurrenzbedingungen. Ein sol­cher Tarifvertrag, der gewerk­schaft­li­che Rechte wie das Streikrecht aner­kennt, wäre wahr­lich ein Gewinn für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in der Diakonie.

Karl-Helmut Lechner

Heinz-Jürgen Dahme, Gertrud Kühnlein, Anna Stefaniak, Norbert Wohlfahrt: Leiharbeit und Ausgliederung in dia­ko­ni­schen Sozialunternehmen: Der »Dritte Weg« zwi­schen nor­ma­ti­vem Anspruch und sozi­al­wirt­schaft­li­cher Realität. Endbericht eines Projekts für die Hans-Böckler-Stiftung. Juli 2012.

(Erstveröffentlichung: Freigeist Weimar)

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