Cholera im Himalaja

Wie war das wohl damals, als die Pest in Europa einen Drittel der Bevölkerung dahinraffte? Als die Menschen machtlos sich verkrochen und der Sensenmann wahllos mit weit ausholenden Schwüngen die Freunde und Feinde dahinmähte?

Diese Gedanken gehen mir durch den Kopf, während ich die kleine Gruppe betrachte. Ihre Kleider sind gleichermaßen verbraucht, zerrissen, alt und grau. Sie haben Namen, aber niemand verwendet die Namen. Man spricht sich mit dem Verwandtschaftsgrad, mit dem Beruf oder der Funktion an. Onkel, ältere Schwester, Schwager, Ladeninhaber, Lehrer oder Magd. Die Nacht ist kalt, hier in den Bergen, und der preschende Monsunregen hat gar nichts Tropisches mehr an sich.

Wir sind alle in einem „Chia-Pasal“ einem Unterstand wo man Tee bekommt. Das Dach ist aus Stroh, da und dort mit grossen Bananenblättern ergänzt. Zwei Seiten sind aus geflochtenem Material, der Rest ist offen, es riecht schimmlig, alles ist klamm, der Boden matschig. Das Feuer der Kochstelle beleuchtet ihre Gesichter. Es sind alte Gesichter. Dunkel gegerbtes Leder. Eine wilde Landschaft aus Furchen. Zersprungene Erde. Wie die Landschaft hier im Himalaja. Sie kuscheln sich auf dem Holzbänkchen aneinander und wirken ein wenig wie verschüchterte Rebhühner, wenn der Fuchs durch den Weinberg schleicht.

Auf dem seitlichen Mäuerchen sitzt allein ein alter Reisender. Seine Hosen sind hell, und auch sein Hemd und der Pullunder sind weiß. Weiße Kleider – wahrscheinlich ist ihm kürzlich ein naher Verwandter gestorben. Um den Hals trägt er einen quergestreiften Schal, dessen eines Ende er satt um den Kopf geschlungen hat. Ob seine Frau noch lebt? Ob sie ihm den Schal wohl gestrickt hat? Wie alt mag er sein? Seine Augen liegen tief in den Augenhöhlen, verborgen, wie wenn sie sich scheuen, noch mehr des Elends der Welt zu sehen. Seine Zähne sind abgenutzte Stummel, wie bei einem alten Arbeitspferd. Er erzählt und sein Mund bewegt sich dabei kaum. Und doch: obwohl man ihm ansieht, dass das Leben ihn unsanft angefasst hat, obwohl das, was er erzählt, wirklich schlimm ist, lacht er immer wieder. Ob die Menschen das Schicksal auslachen? Ich möchte das auch können.

„Ja, der Tod hat sie geholt, die ganze Familie Dahi. Von der Familie Nepali am Brückenkopf lebt nur noch Ganesh, auch die Familie Harka sei erkrankt, nachdem Ganesh bei ihnen um Hilfe gesucht habe. Zwanzig sind allein in Jagtipur gestorben, alles Niedrigkastigen, arme Menschen, die unten am Fluss wohnen. Ja, in Khalanga sind auch viele erkrankt, aber nur vier am Behri unten seien gestorben.“ Mein Begleiter fährt zusammen. Seine Familie ist in Khalanga am Behri unten zu Hause. Aus dem Dunkeln tritt einer in den Schein des flackernden Feuers. In Jhapra am oberen Bach seien auch schon sieben gestorben. Die Leute erkranken am Morgen, sind gelb und verdorrt am Abend, und am nächsten Morgen bereits tot. Cholera. Kali, die Schwarze, ist die Göttin des Todes. Shiva der Zerstörer. Ihre Boten reißen die Menschen büschelweise aus dem Leben.

Manchmal können wir etwas tun und manchmal sind wir auch heute noch machtlos.

Teehaus in Nepal

Ich habe mit meiner Familie einige Jahre in Westnepal, in Jhapra, gelebt. Zweimal hatten wir in unserem Projektgebiet, im Distrikt Jajarkot, eine Choleraepidemie.


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