„Wann habe ich zuletzt eigentlich einen Brief geschrieben?“ oder vielmehr „Wann habe ich eigentlich zuletzt einen Brief erhalten?“ Die waren die ersten Fragen, die mir beim Anblick des Buches Briefe! von Simon Garfield durch den Kopf schossen. Ich bin bestimmt nicht die Einzige, die sich über einen Umschlag, der voller Geschichten steckt, im Briefkasten freut. Mit dem Wissen, dass sich jemand viel Zeit genommen hat, um mit der Hand von seinen Erlebnissen und Gedanken zu schreiben, und dies nur mit mir zu teilen.
Nicht nur das. Wie Garfield betont, ist es auch der Weg eines Briefes, der uns nach der Ankunft ein Lächeln auf die Lippen zaubert. Der Brief muss erst eingeworfen werden, dann kommt er in einen Postsack, wird sortiert und weitergeladen, bevor er im Briefkasten landet. Er legt einen weiten Weg zurück, den man nicht in seinen Einzelheiten verfolgen kann. Hat der Brief sein Ziel erreicht, liest man ihn nicht nur einmal und verwahrt ihn wie einen Schatz in einer Kiste. Auch ich habe eine kleine Kiste voll alter Briefe, die ich niemals weggeben werden.
Ja, ich bin mir sogar sicher, dass sich jeder Mensch über einen Brief von Freunden oder Familie freut. Leider ist es schon einige Jahre her, dass ich einen Brief erhalten habe. Höchstens Postkarten. In der heutigen Zeit greifen alle viel lieber auf E-Mails oder Facebook zurück. Das ist keine Kritik von mir, ich mit da mit eingeschlossen. Dennoch ist es schön, sich an die Zeiten zurück zu erinnern und sich die alten Briefe nochmal durchzulesen.
Briefe! ist eine ganze Enzyklopädie über Briefe. Alles dreht sich um Briefe: die ersten Briefe dieser Welt, die ersten Postwege und Postboten, wie man Briefe schrieb, die ersten Liebesbriefe und Briefe von berühmten Personen: Von Napoleon über Jane Austen bis hin zu Franz Kafka. Amüsant und unterhaltend ergründet Garfield die Geschichte der Briefe. Ohne über die Zeit der E-Mails zu schimpfen. In jedem Kapitel schlägt er einen gewitzten Übergang vom Thema zu einer kleinen Anekdote.
So handelt ein Kapitel der Entwicklung des Postwegs. Der Leser bekommt detailliert erklärt, wo die Anfänge der ersten Postboten liegt. Zustelldienste waren meist unzuverlässig und nicht vertrauenswürdig. Dies war besonders für Liebende ein Hindernis, die aber ihre Liebe geheim halten mussten. Der Brief war ihr einziger Weg der Kommunikation. Ein Postgeheimnis, wie wir es heute haben, gab es damals noch nicht. Oft kamen geheime Affären also raus und der Ruf der Liebenden war ruiniert. Dies mag einer der Gründe dafür sein, warum von Shakespeare fast keine Briefe erhalten sind. In seinen Stücken spielen Briefe immer eine Rolle, immer aber tragen sie zu einer Katastrophe bei.
Briefe sind aber nicht nur ein Mittel der Kommunikation. Garfield betont, dass sie auch ein wichtiges Dokument der Geschichte sind. Sie haben einen enormen Wert als historische Aufzeichnung. Zuerst war das Briefe Schreiben nur dem Adel vorbehalten, später lernten immer mehr Menschen lesen und schreiben. Wir erfahren vom Alltag der Menschen, der auch immer von amüsanten Klatsch und Gerüchten begleitet ist. Hinzu kommt in den Kapitel ein Ratgeber, wie man Briefe richtig schreibt. Leicht ironisch erklärt Garfield, welche Grußform zu welcher Zeit die richtige war. Schöne Illustrationen unterstreichen den Wert des Briefes im ganzen Buch. Auf dieser Reise des Briefes ist eine weitere Geschichte von zwei Liebenden eingeflochten – natürlich in Briefform.
Briefe! erzählt die wunderbare Geschichte von Briefen in all ihren Formen und Facetten. Wer Briefe wertschätzt, liegt genau richtig mit diesem Buch. Auf jeder Seite gibt es neue Überraschungen.
…Vielleicht sollte ich mal wieder einen Brief schreiben.
Simon Garfield: Briefe! Ein Buch über die Liebe in Worten, wundersame Postwege und den Mann, der sich selbst verschickte. Aus dem Englischen von Jörg Fündling. Theiss Verlag. Darmstadt 2015. 520 Seiten. 29,95 Euro.
Dieser Beitrag erschien auch als Gastbeitrag von mir auf Bibliophilin.de.