Bretagne 2015 – 1. Tag: Von Rad-Martyrien, furzenden Schweinen und Furunkeln im Reis

Wache morgens um 8 Uhr auf und ziehe die Rollläden hoch. Die gestrige 16-Stunden-Fahrt hat sich wirklich gelohnt: es regnet in Strömen.

Blick auf Audierne. Heiter bis sonnig, 28 Grad.

Blick auf Audierne. Heiter bis sonnig, 28 Grad.

Aber das Wetter ist mir egal, denn es ist Urlaub. Außerdem fährt man nicht in die Bretagne, um sich über Regen und Wind zu beklagen. Ist eine alte bretonische Fremdenverkehrsweisheit. Die ich gerade erfunden habe.

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Nachdem der Regen etwas nachgelassen hat, beschließe ich in guter Tradition wie im letztjährigen Urlaub mit dem Rad zum Bäcker zu fahren und Baguette fürs Frühstück zu besorgen. Dazu müssen Sie wissen, dass die Bäckerei im benachbarten Audierne liegt, einem 2.000-Seelen-Dorf, malerisch an einem kleinen Hafen gelegen. Da unser Ferienhaus oberhalb von Esquibien angesiedelt ist, liegen zwischen mir und den Weißbrotstangen zweieinhalb Kilometer sowie drei giftige langgezogene Anstiege – sowohl auf dem Hin- als auch auf dem Rückweg.

Sie machen sich keine Vorstellung davon, wie steil diese Anstiege sind – sofern sie nicht einmal bei der Tour de France nach Alpe d’Huez hochgefahren sind. Daher werde ich dies für Sie als Leserinnen- und Leserservice in den nächsten Absätzen immer wieder betonen. So können Sie sich einen angemessenen Eindruck von meiner morgendlichen sportlichen Höchstleistung machen.

In der Garage steht das Fahrrad, das ich im letzten Sommer bereits für meine Bäcker-Touren benutzte. Um ehrlich zu sein, ist das vergangene Jahr nicht spurlos an dem Drahtesel vorübergegangen. Er ist etwas rostiger, die Pedale quietschen ein wenig stärker, die Gangschaltung ist nicht mehr so geschmeidig und die Reifen haben ein kleines bisschen weniger Luft. Möglicherweise ein Sinnbild meines eigenen Verfallsprozesses? Möchte diesen unschönen Gedanken lieber nicht vertiefen und verdränge ihn.

Mein Freund, das Rad. Es ist Hassliebe auf den ersten Blick.

Mein Freund, das Rad. Hassliebe auf den ersten Blick.

Setze mich auf das Rad. Es fühlt sich wie vor einem Jahr an. Der Sattel ist viel zu niedrig, der Lenker zu tief und ich rolle bucklig die Einfahrt hinunter. Alle Affen auf Schleifsteinen brechen in Jubel aus, dass sie nicht länger Objekt despektierlichen Spotts sein müssen, sondern ich diese Position einnehme.

Während ich keuchend und schnaufend wie eine alte Dampflok den ersten sehr strammen Berg hinaufstrample, wird mir bewusst, dass die Zeit doch sehr vieles verklärt und das Vergangene in einem viel besseren Licht erscheinen lässt als die damalige sehr ernüchternde Realität. Zum Beispiel den Abitur-Ball, den ersten Sex oder den letzten Zahnarztbesuch. Oder aber das Radfahren zwischen Esquibien und Audierne.

Kann mich beim besten Willen nicht erinnern, dass die Strecke im letzten Jahr bereits so extrem bergig war. Bestimmt gab es in der Gegend tektonische Verschiebungen, durch die die Steigungen um zehn bis fünfzehn Prozent zunahmen. Mindestens. Aber das wird Ihnen niemand bestätigen. Wahrscheinlich ein Komplott von Freimaurern, NSA und der Lügenpresse. Da bin ich mir vollkommen sicher. Also so sicher, wie sich jemand ist, der sich gerade leistungsdiagnostisch im anaeroben Bereich bewegt und dessen Hirn nur noch im Stand-By-Modus läuft.

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Erreiche fünfzehn Minuten später transpirierend und kurzatmig die Bäckerei in Audierne. Die freundliche Bäckersfrau arbeitet immer noch dort. Glücklicherweise erinnert sie sich aber nicht an mich.

Bäckerei. Geöffnet.

Bäckerei. Geöffnet.

Wer den Urlaubsblog im letzten Jahr gelesen hat, weiß, dass ich kein Französisch spreche, was mich im vergangenen Urlaub nicht daran hinderte, dennoch mit den Bretonen zu parlieren. Ab der siebten Klasse hatte ich nämlich Latein als zweite Fremdsprache. Dadurch kann ich sagen, dass Markus und Kornelia im Garten spazieren gehen (‚Marcus et Cornelia in horto ambulant.‘) und dass sich eine Schlange im selbigen Garten aufhält (‚Serpens in horto est.‘) – beides Sätze aus dem ersten Kapitel meines allerersten Lateinbuchs. Allerdings gab es in meinem Leben bisher noch keine Situation, in der sich dieses Wissen als nützlich erwiesen hätte.

Ab der 9. Klasse hatte ich dann für zwei Jahre Französisch, da meine Eltern der Annahme waren, ich könne, grammatikalisch durch den Lateinunterricht gestählt, viel leichter andere Fremdsprachen lernen. Ein Konzept, das schon drei Jahre vorher bei meinem älteren Bruder nicht aufging (Die Lernkurve meiner Eltern bezüglich der realistischen Einschätzung des Fremdsprachentalents ihrer Söhne war nicht besonders steil.). Zwei Lehrer ersuchten, mir die Grundkenntnisse der französischen Sprache näher zu bringen. Ohne nennenswerten Erfolg. Ausbaden musste dies im letzten Jahr unter anderem die nette Bäckerin, wenn ich radebrechend meine Backwarenwünsche kundtat.

Auch heute ist meine durch Grunzen und pantomimische Einlagen gekennzeichnete Bestellung für die anderen Kunden wohl eher befremdlich. Schaffe es trotzdem, wie gewünscht, vier Baguettes, sechs Croissants und vier Brioche zu erwerben.

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Erreiche ausgezehrt und ausgemergelt nach der fünfzehn minütigen, hügeligen Heimfahrt das Ferienhaus. Nach einem kurzen Aufenthalt im Sauerstoffzelt frühstücken wir. Mit Käse, Wurst, selbstgekochter Marmelade, Jogurt, Schoko-Creme, frisch aufgebrühtem Kaffee und im Schweiße meines Angesichts beschaffene Backwaren. So fürstlich wie Gott in Frankreich zu frühstücken pflegt. Bezweifle aber, dass der mit einem zu kleinen, altersschwachen Rad durch die bretonische Berglandschaft fahren muss, um essenziell wichtige Frühstückszutaten zu besorgen.

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Nachdem wir das Frühstück beendet haben, starten wir die Mission ‚Kühlschrank auffüllen‘. Mit einer Tapetenrollen langen Einkaufsliste fahren wir zu einem der riesigen Supermärkte, wo man alles kaufen kann, was man schon immer haben wollte oder auch nicht. Lebensmittel, Getränke, Drogeriebedarf, Hygieneartikel, Zeitschriften, Bücher, Unterhaltungselektronik, Haus- und Nutztiere, kleinere Hieb- und Schusswaffen und Düsen-Jets.

Supermarkt-Kleidervorschriften. Streng.

Supermarkt-Kleidervorschriften. Streng.

Während die Erwachsenen in der Lebensmittel-Abteilung eskalieren, schwärmen die fünf Kinder aus und erkunden das Spielwaren-Angebot. Stolz präsentieren sie kurze Zeit später ein paar furzende Gummischweine. Aus unerklärlichen Gründen legen alle Eltern eine spaßfeindlich-calvinistische Haltung an den Tag und verhindern den Erwerb der flatulierender Säue („Gebt doch nicht schon am ersten Tag schon euer Urlaubsgeld aus. Vielleicht findet ihr noch etwas Besseres.“ Schlimm!). Dabei sollte doch jeder Mensch ein furzendes Schwein haben. Manche sind ja sogar mit einem verheiratet.

60 Minuten später ist der Einkaufswagen bis zum Rand gefüllt, 65 Minuten später der Geldbeutel geleert. Wir fahren zurück zum Ferienhaus.

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Nachmittags erhalten die Kinder eine besondere Überraschung. Die Freundin hat ihnen als Urlaubsmitbringsel Spritzpistolen und Wasserbomben mitgebracht. Damit steigert sie ihre Popularitätswerte bei der U12-Fraktion erheblich, bei den Erwachsenen dagegen weniger. Nicht weil wir etwas gegen bellizistisches Wasserspielzeug einzuwenden haben, sondern weil wir keine Wasser-Pump-Gun von ihr bekommen. Doof!

Da es ohnehin schon regnet, gehen die Kinder raus in den Garten und machen eine Wasserschlacht. Wir Eltern dürfen auch mitmachen. Leider nur als Organisator des Wasserbomben-Nachschubs. Noch doofer!

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Abends kocht der Bonner Freund ein indisches Curry. Damit wir uns allmählich der landestypischen, kulinarischen Welt annähern, verwendet er ein bretonisches Huhn.

Den sättigungsbeiliegenden Reis aus der Asia-Abteilung bereitet er streng nach Anleitung zu, die auf der Packung steht:

  1. Verwenden Sie eine Tasse Reis und spülen Sie zweimal.
  2. Hinzufügen 1 ¾ Tassen Wasser.
  3. Furunkel einmal umrühren, den Deckel auf, 5 Minuten köcheln.
  4. Reduzieren Sie die Hitze, für weitere 10 Minuten fortgesetzt.
  5. Schalten Sie ab, lassen Sie den Rest Reis, überdacht, für weitere 10 Minuten.

Das Essen schmeckt trotz der kryptischen Anweisungen ganz hervorragend.

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Den Rest des Abends verbringen die Erwachsenen sehr entspannt.

Urlauben wie Harald Juhnke: Keinen Stress und leicht einen sitzen. Check!

— Familienbetrieb (@Betriebsfamilie) 19. Juli 2015

Als die Kinder im Bett sind, beginnt die obligatorische Kniffelrunde. Leserinnen und Leser der alten Urlaubsblogs wissen, dass es ohne Kniffeln kein Urlaub ist. Es interessiert Sie sicherlich brennend, dass ich nach den ersten fünf Runden in Führung liege. Nein? Ist mir egal, denn ich führe nach den ersten fünf Kniffel-Runden. Das kann man nicht oft genug betonen.

Die Wettervorhersage für die nächsten zwei Tage ist eher herbstlich. Aber wie gesagt, man fährt nicht in die Bretagne, um sich über das Wetter zu beschweren. (Ich bekomme übrigens kein Geld vom bretonischen Fremdenverkehrsamt, damit ich so etwas schreibe. Was eigentlich schade ist.)


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