Bidermann: Philemon Martyr

Wolfgang Krisai: Kanzel in der Jesuitenkirche von Venedig. Farbstift. 2014.Dass ich für abgelegene Literatur auch früher schon ein faible hatte, belegt die folgende Rezension von 1983:

Jacob Bidermanns „Philemon Martyr“ ist ein barockes Jesuitendrama, das zu Beginn der Ausbreitung des Christentums im alten Rom in der Stadt Antinos spielt. Fünf Personengruppen treten auf: die römischen Götter unter Jupiter; christliche Engel; Philemon, ein mittelloser, dem Weine zugetaner Flötenspieler, und seine Freunde; die Christen, angeführt von Apollonius, einem jungen Herrn in Philemons Alter; Vertreter der römischen Staatsmacht, geführt von dem strengen Präses Arrianus.

Die Handlung des Stückes ist schnell erzählt:

Um die Ausbreitung des Christentums einzudämmen, befiehlt Arrianus, dass jeder Bürger der Stadt dem Jupiter ein Opfer darzubringen habe. Wer sich weigert, wir hingerichtet. Viele Christen sind bereit, in den Tod zu gehen, doch Apollonius bekommt es mit der Angst zu tun. Mit einer List will er sich aus der Schlinge ziehen: Er dingt Philemon, der für ein paar Taler alles zu tun bereit ist, als Apollonius verkleidet an seiner Stelle das Opfer auszuführen. Doch Philemon spürt plötzlich, „daß er nicht nur das Kleid, sondern auch den Geist eines Christen angezogen hat“, und weigert sich zu opfern. Arrianus und seine Leute, die Philemon inzwischen erkannt haben, halten sein Weigern zuerst für einen Scherz, sehen jedoch bald ein, dass es ihm ernst ist. Deshalb muss er hingerichtet werden. Doch die Pfeile, die man auf ihn schießt, irren ab – einer sogar in das Auge des Präses. Philemon verspricht ihm Heilung, wenn er von seinem Grab etwas Erde auf seine Augen streue und dazu den Namen Christi ausspreche. Nachdem Philemon geköpft und begraben ist, führt Arrianus den Rat aus und wird geheilt und zum Christen. Damit endet das Stück.

Zur Komödie ausgestaltet

Diese recht einfache Geschichte wird von Bidermann auf das Ergötzlichste zu einer Komödie ausgestaltet. Gleich zu Anfang treten die von den Christen hinausgeworfenen römischen Götter auf und geben ein klägliches Bild ab. Philemon wird ebenfalls durch eine Reihe komischer Szenen eingeführt, die ihn aufs Beste charkaterisieren. Dennoch ist das Stück keine Komödie in unserem Sinne, denn es wird ab dem dritten Akt trotz äußerlicher Komik bitter ernst.

Herausforderung für Regie und Schauspieler

Entscheidend ist die im Text nur kurze Szene zwei des vierten Akts, in der Philemon allein ist und sich seine Bekehrung abspielt. Die Szene muss zweifellos sehr intensiv gespielt werden, der Text dient nur als spärliches Gerüst für innere Vorgänge, die der Schauspieler darzustellen hat. Gleich darauf folgt die interessanteste Szenenfolge des ganzen Stücks, jene Partie, die Regie und Schauspielkunst das Äußerste abverlangt: Wie Arrianus nach und nach begreift, dass Philemon nun nicht mehr einen seiner gewohnten Späße macht, sondern ernsthaft zum Christen geworden ist. Arrianus begrieft dies nämlich bereits, als alle Umstehenden immer noch glauben, Philemon spaße (4. Akt, 7. Szene: Arrianus wird ernst ab der Stelle: „Machst du Spaß, Philemon, dann / Doch so, daß keine Gotteslästerung draus wird!“). Auch Apollonius, der durch seine Feigheit schon sein Heil verspielt zu haben glaubt, gewinnt es wieder, da er plötzlich vom Beispiel des Philemon zu neuem Mut angestachelt wird.

Vor der Scheidung der Gattungen

Ich hätte große Lust, dieses Stück auf der Bühne zu sehen. Denn es verdient wahrlich nicht, vergessen zu werden, da es einen sehr interessanten und bühnenwirksamen Typ des Dramas repräsentiert. Die Mischung aus Ernst und Scherz erinnert – wen wundert’s? – sehr an Shakespeare. In der Barockzeit scheint dieser Dramenstil allenthalben verbreitet gewesen zu sein und für jede Thematik Anwendung gefunden zu haben. Die Scheidung in Gattungen ist erst eine spätere (Un-)Tat, die nur leider deshalb noch nicht gänzlich überwunden ist, weil die gesamte spätere Literaturgeschichte sich an ihr orientiert hat. Gattungssprengende Texte wurden da von vornherein abgewertet, und dieser Makel hängt ihnen leider bis heute nach!

Jacob Bidermann (1578-1639): Philemon Martyr. Lat. Comoedia in fünf Akten, zwischen 1610 und 1620 entstanden. Hg. u. übers. v. Max Wehrli. Köln, Hegner, 1960.

Bild: Wolfgang Krisai: Kanzel in der Jesuitenkirche von Venedig. Farbstift. 2014. – Das Jesuitendrama des Barock war eine Form der “Predigt”, da passt diese Kanzel mit ihren unglaublich kunstvollen Einlegearbeiten (die ich in den fünf Minuten, die mir vor der Mittagssperre der Kirche blieben, nur skizzenhaft einfangen konnte) perfekt dazu. Fotos davon HIER.


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