Bewerten

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Kaum etwas in momentan so verpönt, wie das „Bewerten" oder „werten." Wobei es gleichgesetzt wird, mit ungerechter Kritik. Der Horizont mancher ist hier sehr eng bemessen und der Blick geht nicht über den Tellerrand bzw. die gerade gängige Meinung, oder die eingebläuten Weisheiten eines anderen, hinaus.

Sehr gerne wird in einer gewissen Szene der Vorwurf benutzt „Du bist bewertend/zu wertend. Das tut man nicht."

Wieso nicht?

Wenn man etwas, jemanden, eine Situation, einen Hype „bewertet" wird man als negativ denkender oder zu Unrecht kritisierender Mensch, als Hetzer oder Lügner „bewertet."

Alles was in meinem Leben Wichtigkeit hat, sollte von mir bewertet werden.

Passt es zu mir und meinem Leben sowie meiner Zukunft?
Was kann ich ändern, damit mein Leben zu einem Besseren wird?
Passt die Theorie von Y zu meinem Denken und Fühlen und der Rat von X zu meiner Persönlichkeit?
Finde ich, dass XY Blödsinn erzählt, oder dass XX andere Menschen in die Irre leitet?

Natürlich darf ich, das Handeln und die Aussagen anderer Menschen „bewerten".
Nur durch das Bewerten finden wir zu unserer eigenen persönlichen Weltanschauung, die keinesfalls mit einem Partner, Idol, Meister, Lehrer usw. übereinstimmen muss.
Es formt unsere Einzigartigkeit, unseren Lebensstil und unseren Charakter, wenn wir kritisch hinterfragen (ja, auch dies wird heute als bewertend tituliert), abwägen, uns dadurch selbst finden.

Ebenso darf und soll ich bewerten, ob ein Mensch, der mir gefühlsmäßig nahegeht, zu meiner Art zu leben, fühlen, freuen, leiden und was auch immer passt, oder mit mir harmoniert.

Und ja, ich darf auch darauf hinweisen, darüber sprechen, schreiben, wenn ich denke, dass ein anderer einen falschen Weg geht ... ja, auch dies ist bewerten.

Jedoch ist es bei manchen nicht gerne gesehen, weil es an Ihren Glaubenssätzen (die meist nicht ihnen selbst entspringen) rüttelt. Weil es unangenehm ist, weil es das eigene Denken fordert und dazu einlädt, selbst Stellung zu beziehen.

Es ist keine Kritik, es ist ein Hinweisen auf etwas. Es ist die Aufforderung, seine eigenen Prinzipien und Ansichten anzuschauen und gegebenenfalls zu korrigieren.

Schaut man sich die spirituelle Szene heutzutage genauer und auch kritisch, ja und auch bewertend, an, dann sieht man, dass hier nur noch (fast blind und taub für die Realität) gehorcht, gefolgt und sich in die Herde eingepasst wird.

Es wird nicht hinterfragt, kritisiert, hineingefühlt, ob es zu einem passt, also *bewertet*, weil dies angeblich nicht spirituell genug ist, weil es den, meist Aufgezwängten, Regeln, der Gemeinschaft, der man sich zugehörig fühlt, widerspricht.

So hält man sich die Gefolgschaft gefügig, indem alles was das Wort bewerten beinhaltet, wegradiert, als böse und „das tut man als spiritueller Mensch nicht", abgestuft wird.

Es wird mit vorgekauten, schon fast ausgenutzten Phrasen um sich geworfen, egal ob die Situation passt oder es gerechtgertigt ist, die alle nur eine gleiche Botschaft in sich tragen und die davon zeugen, dass das eigene Denken abgeschaltet wurde.

Viele von ihnen wissen meines Erachtens noch nicht einmal, was Ihre Vorwürfe und mitunter sogar Angriffe, wirklich bedeuten.
Der Ausspruch „Du bist bewertend" dient sehr oft dazu, denjenigen, dem man es serviert, abzuwerten und als ungläubig darzustellen.

Aber es zeugt auch von der Unwilligkeit oder Unfähigkeit, sich auf einen Austausch oder eine Auseinandersetzung einzulassen. „Du bist bewertend" wird gerne dazu genutzt, sich aus einer Diskussion herauszunehmen, weil man keine Lust dazu hat, oder, wie es oft der Fall ist, keine wirklichen Argumente bieten kann.

Würden mehr Menschen, dem gesunden Impuls folgen, dies was sie tun, oder was man ihnen sagt, dass sie tun sollen, mehr auf den Prüfstand zu stellen, ergo zu bewerten, gäbe es deutlich weniger seelisches Leiden und bedeutend weniger brave Schäfchen, innerhalb gewisser Gruppen.

Denn wer bewertet und kritisch hinterfragt, passt sich nicht in gewissen Gruppen an, biete dafür aber Angriffsfläche, für eben diese Gruppierungen. Ein bewertender Mensch lässt sich keine fremden Hörner aufsetzen, sondern stößt sich die eigenen ab und formt sie dadurch.

Und ironischerweise sind genau solche Menschen es, die einem Vorwerfen, man selbst würde zu wertend sein, Menschen, die den gesunden Impuls, zum Vergleich, zur Kritik irgendwo auf ihrem Weg verloren haben, und andere dann bewerten, als jemanden der zu „wertend" sei.

Mitunter zeigen ganze Anhängerschaften, angeblich nicht bewertender Menschen, mit dem Finger bewertend auf den, der für sie selbst, Unangenehmes ausspricht.
Wäre es nicht so traurig, man müsste ob der innewohnenden Ironie einfach lachen.

© Erika Flickinger

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