Berlin: Linke Metropolenpolitik im Buchformat

Berlin: Linke Metropolenpolitik im BuchformatDie BZ hat all die konservative Häme und Genugtuung zum Wahlergebnis in Berlin mit ihrer grellen Schlagzeile auf den Punkt gebracht „Rot – Rot – Tot“ (Schlagzeile der BZ-Titelseite vom 19.09.2011).  Auch die junge welt stellt nach der Wahl fast erleichtert fest , dass die „Rot-rote Dekade vorbei“ sei.

Die Einschätzungen der Regierungsbeteiligung der Linkspartei fallen jedoch selbst innerhalb des linken Spektrums recht unterschiedlich aus und reichen von der verbitterten Einschätzung des MieterEchos

Zu den nachhaltigsten Erfolgen der rot-roten Koalition gehört die Beseitigung des Sozialen Wohnungsbaus. Eine historische Epoche sozialen Fortschritts wurde von der Sozialdemokratie und der Nachfolgerin der KPD generös dem Müllhaufen der Geschichte überantwortet.

… bis zum überraschend positiven Bekenntnis von Robert Misik:

Die Berliner Linkspartei gehört zum modernistischen und pragmatischen Flügel der Partei. Und sie hat jetzt neun Jahre lang gut mitregiert. Also, wenn man mich fragt: Wenn ein Linke-Landesverband verdient hat, in der Regierung zu sein, dann der Berliner.

Eine differenziertere Analyse von fast 10 Jahren rot-roter Regierung gibt es hier zu lesen:

Berlin: Linke Metropolenpolitik im BuchformatHolm, Andrej; Naumann, Matthias; Lederer, Klaus (Hrsg.) 2011: Linke Metropolenpolitik. Erfahrungen und Perspektiven am Beispiel Berlin. Münster: Westfälisches Dampfboot

Am Beispiel der seit 2002 von einer rot-roten Koalition regierten Stadt Berlin bilanziert der Band die Erfahrungen, Perspektiven und Grenzen einer linken Stadtpolitik. Ausgehend von einer Kritik der Berliner Stadtentwicklung umreißen die AutorInnen Utopien für eine linke Stadtpolitik und Forderungen für Reformprojekte. Linke Metropolenpolitik wird hierbei als gemeinsames Projekt einer Linken in den Parlamenten, in sozialen Bewegungen und kritischer Wissenschaft verstanden.

Mit dem Wahlergebnis vom Sonntag wird dieser Versuch einer Bilanz zur unfreiwilligen Rückschau. Rot-rot ist erst einmal Geschichte, doch die Fragen nach den Perspektiven einer linken Metropolenpolitik bleiben: Ist unter den Bedingungen der neoliberalen Neuordnungen und dem Diktat des Finanzmarktes eine fortschrittliche Stadtpolitik überhaupt denkbar? Wie könnte, ja wie müsste sie  aussehen? Welche Rollen können linke Regierungsmehrheiten dabei spielen?

Die ersten Rezensionen zum Buch gibt es auch schon:

  • Vorwärts.de (Daniel Schneider): Wer zu spät kommt, den bestrafen die WählerInnen

Kurz vor der Berliner Abgeordnetenhauswahl ist ein Sammelband erschienen, der – früher veröffentlicht und diskutiert – vielleicht die Wahlchancen der Linkspartei verbessert hätte.

  • BürgerInnenbrief (Fraktion die Linke In Hamburg): Linke Metropolenpolitik (pdf)

 Alles in allem: eine anregende Lektüre, die ganz sicher auch nach der Wahl, wie immer sie für DIE LINKE auch ausgehen mag, noch Inspirationsquelle bleiben wird.

Hier die vollständigen Rezensionen:

Vorwärts.de (Daniel Schneider): Wer zu spät kommt, den bestrafen die WählerInnen

Kurz vor der Berliner Abgeordnetenhauswahl ist ein Sammelband erschienen, der – früher veröffentlicht und diskutiert – vielleicht die Wahlchancen der Linkspartei verbessert hätte.

Andrej Holm, Klaus Lederer, Matthias Naumann (Hrsg.)
„Linke Metropolenpolitik. Erfahrungen und Perspektiven am Beispiel Berlin“
Verlag Westfälisches Dampfboot
Reihe Raumproduktionen: Theorie und gesellschaftliche Praxis Band 12 – 193 Seiten – EUR 19,90
ISBN: 978-3-89691-881-9

In diesem Sammelband wird u.a. die Wohnungspolitik der rot-roten Berliner Regierung diskutiert. Andrej Holm (S. 93 f.) beurteilt sie nicht nur in seiner Einleitung kritisch: “ Steigende Mieten in fast allen Stadtbezirken, fast 150.000 privatisierte Wohnungen, massive Verdrängungsprozesse in den Ostberliner Sanierungsgebieten, quasi Einstellung der Förderprogramme für Wohnungsbau und Modernisierung, Räumung von alternativen Hausprojekten.

Die Bilanz der rot-roten Wohnungspolitik in Berlin ist auf den ersten Blick verheerend. Auch nach genauerem Hinsehen wird der Eindruck nicht viel besser.

„Investoren freuen sich über steigende Mieten“ (Schönball 2010), „Mieten wie in München“ (Paul 2010), „Investoren können gut verdienen“ (Eltzel 2010) „Steigende Mieten in Berlin: Wohnungen werden Mangelware“ (Mei 2010). Solche und ähnliche Schlagzeilen sind symptomatisch für die Berichterstattung zur Preisentwicklung in den letzten Jahren.

Fast überall in Berlin steigen die Bestands- und vor allem die Neuvermietungsmieten. Die Wohnungsmarktanalysen des Immobilienverbandes Deutschlands Berlin-Brandenburg (2009, 2010) und der GSW Wohnungsmarktreport (die GSW ist eine der größten, mittlerweile privatisierten Wohnungsbaugesellschaften Berlins) (GSW 2010) geben die durchschnittlichen Neuvermietungsmieten mit 5,85 bzw. 5,95 Euro/qm (nettokalt) an – Werte, die über 20 Prozent über den Mietspiegelwerten von 2009 lagen. Im Gegensatz zu den relativ geringen Spannenwerten des Mietspiegels weisen die Neuvermietungsmieten dabei sehr hohe Differenzen auf, und in den innerstädtischen Aufwertungsgebieten liegen die Mietpreise bei neuen Vertragsabschlüssen mittlerweile bei über 10 Euro/qm (nettokalt). Insbesondere Haushalte mit geringen Einkommen haben es dadurch schwerer, eine angemessene Wohnung zu finden. Langfristig gehen höhere Vermietungsabschlüsse in kommende Mietspiegelerhebungen ein und werden so zu einer weiteren Steigerung der Mietspiegelwerte beitragen und dadurch Mietsteigerungen im Bestand rechtfertigen. Die Mieterhauptstadt Berlin ist in der Gefahr, sich zur Hauptstadt der Mietsteigerungen zu entwickeln.

Die fast flächendeckend steigenden Mieten sind nicht allein auf Marktdynamiken zurückzuführen, sondern müssen als sichtbare Oberflächen einer umfassenden wohnungspolitischen Destruktion verstanden werden. Denn die Haltung marktwirtschaftlicher Mechanismen ist immer nur so stark, wie es die politisch-administrativen Eingriffe zulassen. Die auch in den letzten Jahren fortgesetzten Wohnungsprivatisierungen, die faktische Einstellung von Förderprogrammen und die Liberalisierung des Bau- und Städtebaurechts, markieren die wohnungspolitische Agenda der letzten Dekade und damit auch die Stadtpolitik der Regierungskoalition von SPD und PDS bzw. Linkspartei.“

Unbestritten spielt die Auseinandersetzung mit ökonomischen Fragen in der Linkspartei eine größere Rolle als in der SPD. Leider sorgen Mitglieder der Linkspartei, die die Verhältnisse in der ehemaligen DDR schön reden oder für kommunistische Utopien schwärmen, immer wieder für negative Schlagzeilen. Gerade weil immer mehr Menschen das Vertrauen in die wirtschaftlichen Kompetenzen von Konservativen und Liberalen verlieren, könnten Linke durch ein überzeugendes Auftreten neue Wählerschichten für sich gewinnen. In einer immer unübersichtlicher werdenden Welt wäre man als Bürgerin dankbar, wenn nachvollziehbare Einsichten in die Ursachen der sich verschlechternden Lebensverhältnisse vermittelt würden. Warum billiger Wohnraum in Berlin immer knapper wird, habe ich nach der Lektüre dieses Beitrags besser verstanden.

Auch in Berlin wurde das Baurecht liberalisiert und das Zweckentfremdungsverbot von Wohnraum abgeschafft. Aber die Hauptursache für den Rückgang an billigem Wohnungen ist sicher der radikale Abbau von Sozialwohnungen. Auf den ersten Blick ist Berlin mit nur 15 Prozent selbst genutzten Eigentumswohnungen noch immer die Mieterhauptstadt Europas. 75 Prozent der Wohnungen sind im Besitz von Hauseigentümern oder Wohnungsbaugesellschaften. Der Anteil der Genossenschaftswohnungen (186.000) liegt bei 10 Prozent. 2010 waren immerhin noch 14 Prozent der Wohnungen (268.000) in städtischen Besitz. Fast jede 10. Wohnung (161.000) hat den Status einer Sozialwohnung und unterliegt deshalb besonderen Miet- und Belegungsregeln. Bereits diese wenigen Zahlen zeigen, dass die Politik Einfluss auf die Entwicklung des Wohnungsmarktes nehmen kann. In welcher Weise hat sie diese Möglichkeit in den letzten Jahrzehnten genutzt?

Anfang der neunziger Jahre waren noch 28 Prozent (480.000) der Wohnungen in landeseigenem Besitz. Zu Beginn der Regierung von SPD und PDS besaß das Land noch 400.000 Wohnungen. Die Politik der Privatisierung wurde von der neuen Regierung fortgesetzt und der Druck auf die kommunalen Wohnungsbaugesellschaften, Gewinne zu erzielen, erhöht. 2004 wurde die GSW mit ihren 64.000 Wohnungen komplett an ein internationales Finanzkonsortium verkauft, dem u.a. auch die Bank Goldmann Sachs angehörte. In der ersten rot – roten Legislaturperiode wurden 140.000 Wohnungen privatisiert. Um die hohen Schulden des Landes abbauen zu können, verzichtete die Politik auf wichtige Steuerungsressourcen. Die Nachfolgeregierung stufte den Komplettverkauf der GSW als „politischen Fehler“ ein und vereinbarte in den Koalitionsverhandlungen, die Politik der Privatisierungen nicht fortzusetzen. Trotzdem wurden auch in dieser Legislaturperiode weitere 7.000 Wohnungen veräußert. Innerhalb von zwanzig Jahren hat sich also der städtische Wohnungsbesitz auf 14 Prozent der Wohnungen verringert. Nimmt man die Wohnungen hinzu, die mit Mitteln des sozialen Wohnungsbaus gefördert wurden, dann kann der Senat bei der Belegung von etwa 300.00 Wohnungen mitbestimmen. Diesem Angebot stehen allein schon 350.000 Bedarfsgemeinschaften gegenüber, die aufgrund der Hartz-IV-Regelungen Anspruch auf preiswerten Wohnraum haben.

Bereits diese wenigen Zahlen zeigen, dass sich die Wohnsituation in Berlin drastisch verschlechtert. Die immer schneller wachsenden Mieten werden in den kommenden Jahren immer mehr Menschen politisieren und die regierenden Parteien unter Druck setzen. Wenn sich die Politik weiter in erster Linie auf den Schuldenabbau konzentriert, werden auch bei uns mehr Menschen auf die Barrikaden gehen.

BürgerInnenbrief (Fraktion die Linke In Hamburg): Linke Metropolenpolitik (pdf)

Wenige Wochen vor der Wahl des Berliner Abgeordnetenhauses am 18. September ist im Verlag Westfälisches Dampfboot das auch für Hamburgs Linke und LINKE sehr lesenswerte Buch »Linke Metropolenpolitik. Erfahrungen und Perspektiven am Beispiel Berlin« erschienen. Im Mittelpunkt steht dabei eine Art Bilanz der Stadtentwicklung in der Bundeshauptstadt, die seit dem Jahre 2001 von einer rot-roten Koalition regiert wird. Wie die Herausgeber – die beiden Wissenschaftler Matthias Naumann und Andrej Holm sowie der Berliner Landesvorsitzende der LINKEN, Klaus Lederer – einleitend betonen, bestanden durch die Beteiligung der LINKEN am Senat »grundsätzlich viel versprechende Bedingungen für eine grundsätzliche Diskussion um linke Stadtpolitik, ihre praktische Umsetzung und kritische Reflexion. Diese Potenziale konnten jedoch im vergangenen Jahrzehnt nicht hinreichend genutzt werden.«

Es geht also einerseits um die Erfolge und Misserfolge der LINKEN auf Senatsebene, aber zugleich auch um die diffizile Frage, wie die parlamentarische Arbeit mit der außerparlamentarischen übereingeht oder oft auch gegenläufig ist, wie sich also die außerparlamentarischen Initiativen mit einer LINKEN vertragen (oder auch nicht), die sowohl inner- als auch außerhalb des Berliner Abgeordnetenhauses wirkt. Die lange vernachlässigte Wohnungspolitik des Berliner Senats (Verkauf kommunalen Wohnungsbesitzes, mangelnder Neubau, Mietpreisexplosion) hat zu großen Konflikten mit Stadtteilgruppen und Mieterbewegungen geführt und wird in der bevorstehenden Wahl zumindest die Stimmabgabe für DIE LINKE beeinflussen.

Das Buch dokumentiert (Teil-) Ergebnisse aus dem Berliner Arbeitskreis »Linke Metropolenpolitik«, der sich aus VertreterInnen der LINKEN und außerparlamentarischer Strömungen zusammensetzt. Auch wenn »von Teilen der sozialen Bewegungen diese Konstellation als Strategie der Vereinnahmung angesehen wurde«, auch wenn es in der Einführung heißt, dass es zurzeit »weder der parteipolitisch gebundenen LINKEN noch den sozialen Bewegungen oder den kritischen Wissenschaftskreisen gelingt, ein schlüssiges, realisierbares und umfassendes Programm für eine linke Metropolenpolitik zu formulieren«, vereinigt der Band doch eine Reihe von Beiträgen, die Ansatzpunkte für eine solche Politik bieten und in vielerlei Hinsicht auch auf Hamburg übertragbar sind. Über »Die Stadt im Neoliberalismus« schreibt z.B. Daniel Mullis und Peter Birkes Beitrag »Zurück zur Sozialkritik. Von der ›urbanen sozialen Bewegung‹ zum ›Recht auf Stadt‹« verweist sogar auf die Prozesse in der Elbmetropole. Die »Möglichkeiten und Grenzen ›linker‹ Stadtplanung« umreißt Michail Nelken, Katrin Lompscher bringt die Stadtentwicklung mit der Partei DIE LINKE in Verbindung.

Andrej Holm stellt der »Wohnungspolitik der rot-roten Regierungskoalition in Berlin« keine gute Note aus, anders als im Bildungswesen oder auf dem öffentlichen Beschäftigungssektor. Ingo Bader setzt sich mit der »kreativen Stadt« auseinander, ein Begriff, der in Hamburg gerne von der GAL verwendet wird, bei gleichzeitiger Vernachlässigung der sozialen Probleme. Alles in allem: eine anregende Lektüre, die ganz sicher auch nach der Wahl, wie immer sie für DIE LINKE auch ausgehen mag, noch Inspirationsquelle bleiben wird.



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