Bei Eliana

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Bei Eliana lernte ich Leonid aus der Ukraine, den sie neben mir aufnahm, kennen. Nachdem ich dort eintrudelte, aßen wir gemeinsam zu Abend. Das Besteck dazu setzte sich in dieser Familie desöfteren aus Gabel, Händen und Kreativität zusammen. Anschließend besuchten wir eine Fiesta in einer Salsa-Schule. Leonid tanzte barfuß im bunt-bestickten ukrainischen Trachtenhemd mit Elianas Freundinnen. Ich tanzte mit Stock im Arsch auf Elianas Füßen. Nach zwei miserablen Tänzen täuschte ich Erschöpfung vor. Ich setze mich. Kaum war mein Schweiß erkaltet, kam ein mit Zahnspange bewaffnetes grinsendes Mädchen auf mich zu. Mir wurde heiß, ich begann erneut zu schwitzen: Nicht noch einmal Elefant im Porzellanladen spielen. Nicht zu dieser Musik. Ich setzte mein Bier an. Gluckste. Shloss die Augen. Betete. Als ich sie wieder aufmachte war sie weg. Ich musste an diesem Abend nicht mehr tanzen.

Am nächsten Tag begleiteten ich und Leonid Eliana zu ihrer Filmhochschule. Eliana dreht mit ihren Kommilitonen einen Film, der das Coming-out eines Schwulen zum Thema hat. In einer Szene sollten ich und Leonid zwei auf der Straße flanierende Gringos mimen, die auf der Suche nach einem Fick mit einem Transvestiten sind. Ob man in uns schauspielerisches Talent, oder die für diese Szene nötige Aura ausgehungerter Liebeshyänen, erkannte, welche uns diese Rollen verschafften, blieb mir schleierhaft. Danach spazierten wir durch Cali. Wenn Leonid nicht ukrainische Volkslieder sang, spielte er Drymba oder schoss wie eine AK47 mit Geschichten um sich.

In der Nähe der Iglesia de la Ermita brüllte irgendwer. Ein Reibeisen von Stimme. Wütend bis zur Verzweiflung, krächzend. Ich war erstaunt, dass diese Stimme einen Körper hatte: Er war an die 70 Jahre alt und weiblich. Ihre Orthopäden-Schuhen stampften auf Asphalt. Sie bog sich, dass es knarrte und stieß wilde Tiraden in den Himmel. Tauben flattern umher. Dann erschöpftes Seufzen. Stille. Die Übergeschnappte beugte sich nach vorn, hielt die Händen an die Schläfen und schüttelte den Kopf. Die Tauben gingen wieder zu Boden. Und pickten, solange der Vulkan ruhte. Der Wind streichelte die Palmenblätter. Schreibmaschinen ratterten. Und dann muss sie wieder die vier apokalyptischen Reiter auf sich zukommen sehen. Die Erde zitterte. Und ihre Hände wirbelten, die Haare bebten. Und dann begann die Eruption gegen die Ungläubigkeit, die Ruchlosigkeit dieser Welt von Neuem. Ihre Worte überschlugen sich, die Augen rollten. Das Papier in ihrer Hand war längst zerknüllt. Die Tauben flüchteten scheißend in den Himmel. Sie streckte ihre Arme von sich, drehte sich um die eigene Achse. Die Leute gingen irritiert vorbei. Nein, man musste des Spanischen nicht mächtig sein: Allein die Worte Tequila und Sex genügten, um zu erahnen wogegen der katholische Wahnsinn krakeelte. Und langsam wurde das Gebrüll leiser. Dann überfuhr es ein LKW.

Zum wiederholten Male wurde ich in Kolumbien nach Rassismus in Deutschland gefragt – und ob ich selbst einer wäre. Auch was Musik, Ess- und Trinkkultur sowie Feste angeht, die Kolumbianer ähnliche Vorurteile gegenüber Deutschland haben, wie die Deutschen gegenüber Kolumbien.

Selten in meinem Leben habe ich einen solch lebenshungrigen positiven Menschen wie Leonid kennen gelernt. Man mag beinahe meinen, dass Leonids Händedruck viel zu Kräftig für seine Statur ist. Seine Augen flackern, seine Bewegungen sind katzenhaft. Er hat in unserer Zeit nie länger als 5 Stunden am Tag geschlafen. Leonid, Vater von zwei Kindern, Lebenskünstler, reist seit Jahren durch die Welt. Vor geraumer Zeit arbeitete er in der TV-Branche. Dann kündigte er. Zusammen mit Freunden – Musiker, Schauspieler, Photographen, Filmemacher, Artisten – wollte er einen eigenen Film schaffen. Es sollte die Reise von der Ukraine bis an den indischen Ozean – über Russland und die Mongolei, über China und Tibet, über das Himalaya-Gebirge durch den indischen Subkontinent – dokumentiert werden. Allein das Geld – unser aller Entschuldigung – fehlte. Eines Tages, bei einem Gläschen mit Freunden kam die Eingebung: „Freunde, wir sind auf dem falschen Weg. Anstatt zu überlegen, wie wir Geld für unsere Reise auftreiben, sollten wir überlegen, wie wir ohne Geld reisen“ … Drei Jahre später stand der Film zum Verkauf bereit. Ich habe seit Wochen meinen Kontostand nicht abgerufen. Beim Gedanken daran verkrampft sich mein Magen – Leonid reist mit 2 US-Doller am Tag …

Grenzen existieren nicht. Sie werden gedacht. Deutschland ist da, wo deutsch gedacht wird. Und unsere Möglichkeiten sind nur durch das Denken begrenzt. Und wir Deutschen? Wir bilden nur 0,114% der Weltbevölkerung.



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