Back to 1990 – “Wieso kommen die noch?”


In Westdeutschland kocht Haß auf die DDR-Übersiedler hoch. Die Staatenwechsler werden zunehmend als Konkurrenten auf dem Arbeits- und Wohnungsmarkt betrachtet. Vor allem in den Fluren der westdeutschen Sozialämter entlädt sich der Zorn auf die Zuzügler. Ein Beamter: “Wir sind froh, wenn das Mobiliar heil bleibt.”

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Wie bedrohliche Wasserstandsmeldungen rücken die Tageszeitungen wöchentlich die aktuellen Übersiedlerzahlen ein: In der ersten Februar-Woche etwa wechselten 14 500 Ostdeutsche nach Deutschland-West, vorletzte Woche waren es, trotz Aussicht auf Wiedervereinigung samt Währungsreform, immer noch 11 800; im Februar werden kaum weniger kommen als im Januar – rund 58 000, die Bevölkerung einer Stadt wie Lüneburg.

Hellhörig verfolgen die meisten Bundesbürger die öffentliche Debatte darüber, wie der Zustrom aus der DDR vermindert werden könne. Sorgenvoll werden die Zuzugszahlen addiert und hochgerechnet. Im letzten Jahr kamen insgesamt 343 854 Übersiedler aus der DDR, dazu 377 055 Aussiedler aus Osteuropa und 121 318 Asylbewerber aus aller Welt – summa summarum 842 227 Menschen.

Wohl nur noch in “Baracken-Gettos am Rande der Großstädte”, glaubt Bernhard Happe, Sozialdezernent beim Deutschen Städtetag, ließen sich die Massen aufnehmen, die bis Ende 1990, bei erstmals ganzjährig geöffneten Grenzen, erwartet werden: nach vorsichtigen Schätzungen 1,5 Millionen Neubürger, nach pessimistischen Prognosen weit über zwei Millionen.

Das Klima ist in den vergangenen Wochen deutlich rauher geworden. So hätten Nachbarn eine Übersiedler-Familie in Essen kürzlich auf der Straße als “DDR-Schweine” beschimpft, berichtet Kerstin Lehner, Initiatorin einer Selbsthilfegruppe für ehemalige DDR-Bürger, und das sei kein Einzelfall.

Auch Kinder aus der DDR haben zunehmend unter Anfeindungen zu leiden. “Die Kids schnappen auf, was sie zu Hause so hören, und brabbeln das dann nach”, sagt Harald Fischer, Leiter einer Hamburger Haupt- und Realschule. In der Pause stünden die Zweit- und Drittkläßler auf dem Schulhof zusammen und diskutierten, “wer raus muß aus Deutschland – die Aussiedler, die DDRler oder die Asylanten”.

Wie sehr die Einstellung zu den Staatenwechslern ins Negative umgeschlagen ist, belegt eine SPIEGEL-Umfrage. Der Erhebung zufolge waren letzten Monat nur noch 33 Prozent der Bundesbürger dafür, daß alle Übersiedler aus der DDR aufgenommen werden. Im Oktober letzten Jahres, vor der Grenzöffnung, hatten sich noch 63 Prozent mit einer generellen Aufnahme einverstanden erklärt.

Mancherorts wehren sich Anwohner gegen den Zuzug in ihre Nachbarschaft. In Dortmund beispielsweise, wo 6 von 150 Turnhallen mit Übersiedlern belegt sind, forderte der Vorstand des Vorort-Vereins TuS Westfalia Sölde in einer Resolution Rat und Stadtverwaltung auf, nicht länger “an der langsamen Aushöhlung unseres Turn- und Sportbetriebes” mitzuwirken. In Bremen-Vegesack besetzten letzte Woche 60 Eltern mit ihren Kindern kurzerhand eine Halle, in die Übersiedler einquartiert werden sollten.

Die Situation in den Heimen und Lagern spitzt sich immer mehr zu, Meldungen über Saufereien und Raufereien häufen sich. In einigen Einrichtungen herrsche eine derart “aufgeputschte Stimmung”, berichtet der Essener Sozialdezernent Günter Herber, daß er es nicht mehr wage, “da einen Sozialarbeiter hinzuschicken, das ist schon beinahe lebensgefährlich”.

Sein Kölner Amtskollege Lothar Ruschmeier bestätigt: “Die Auswüchse gehen über das normale Maß hinaus.” Städtische Bedienstete seien nachts überfallen und beraubt worden, Mitarbeiterinnen der Verwaltung würden sexuell belästigt. “Dauernd Trouble mit den Alkis”, meldeten auch Mitarbeiter im West-Berliner Aufnahmelager Marienfelde ihrer Sozialsenatorin.

Nach Meinung vieler Westbürger können schon jetzt die Hindernisse, die übersiedlungswilligen DDR-Bürgern in den Weg gelegt werden müßten, gar nicht hoch genug sein. So mancher sehnt sich mittlerweile zurück nach einem Deutschland mit den Grenzen vom Oktober 1989.

“Wir halten dieser Belastung nicht mehr stand”, gibt Gerd Stille, Bürgermeister im niedersächsischen Rodenberg, die Stimmung in seiner Gemeinde wieder: “Hoffentlich wird die Mauer bald wieder dichtgemacht.”

Quelle: http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-13507374.html


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