Auf leisen Sohlen

Auf leisen Sohlen Die neue britische Premierministerin Theresa May steht auf Pumps, Slipper und Lackstiefel. Dieses Faible kennen die Briten schon lange, ihr Boulevard berichtet darüber bereits jahrelang. Großbritannien hat den größten Klatschpressesektor der Welt. Das zahlt sich hier aus. Jetzt erst erfährt der Rest Europas von Miss Mays Freude am schlanken Fuß. Vom britischen Faible für den schlanken Staat waren wir schon länger informiert. Im Thatcherism ging es los, mutierte zu New Labour und kam dann zu uns: Als Agenda 2010. Privatisierung, Deregulierung, Sozialabbau. Wir haben von den Briten gelernt, haben das angelsächsische Modell der rheinländischen Variante vorgezogen. Wir sollten nochmals ganz genau hinschauen, denn die importierte Postdemokratie höhlt aus. Und irgendwann wachen wir auf und quatschen über die Schuhe einer Politikerin, wo wir uns lieber mal im Klaren darüber werden sollten, uns die Auswirkungen des Neoliberalismus nicht weiter in unsere Schuhe schieben zu lassen.

Eine Stilikone sei die Frau. Ziemlich cool, ja ziemlich wild gar für eine Konservative. Der Boulevardpresse haben es seit Jahren ihre extravaganten Schuhe angetan. Das alles berichten jetzt auch deutsche Medien. Nun werden wir auch mit dieser Lady beglückt, mit ihrem Spleen besser gesagt. Dazu gleich noch Fotoserien. Man muss doch wissen, was demnächst über das internationale Parkett tänzelt. Nicht, was darin steckt, in dem Paar Treter, nein, an Material, an Eleganz und Chic. Politik im alten Verständnis ist öde, heute ist sie Ästhetik, ein optimischer Anreiz, ein Lackschuh ohne Inhalt, was wiederum nicht heißt, dass da nicht ein Fuß und daran eine Frau drin stecken müsste. Was hat May eigentlich für Vorstellungen? Man weiß so wenig. Gut angezogen ist sie wenigstens. Wenn einer nichts zu erzählen hat, sollte er sich was Nettes umwerfen, das hilft. Hunderttausende von erfolgreichen Bewerbern können nicht irren.
So ist es halt, wenn man die Demokratie aushöhlt und sie Stück für Stück den niederen Beweggründen der Angebotsseite, sprich dem Kapital, unterstellt und zeitgleich Journalismus den Klatschreportern in die Hände drückt, damit Journalismus nicht zu dem wird, was er eigentlich sein sollte: Ausleuchter. Man hat es gerne schattig in einem System, das darauf angelegt ist, Millionen von Menschen nicht anständig partizipieren zu lassen. Wir sollten da genau hinsehen. Die Briten betreiben ihre eigene Agenda 2010 schon seit Jahren, nur können sie wahrscheinlich solche Schlagworte nicht leiden, das macht die stiff upper lip nicht mit, sorry. Hätten sich diese Marotte auf der Insel je ausgebreitet, wäre wohl mit Antritt der Eisenlady 1979 die Parole einer Agenda 1990 herausgekommen. So betrachtet, liebe Deutschen, die Briten sind uns 20 Jahre voraus. Oder besser gesagt, sie sind so hintendran, weil sie vorneweg laufen. Bei denen steht das Chaos eines postdemokratischen Boulevardismus schon in welker Blüte.
Entdemokratisierung und Sozialabbau sind ja ohne Boulevardmedien nur schwer denkbar. Die machen den Menschen noch etwas von Demokratie vor, wahren den Anschein. Synchron dazu geht es den Menschen der Unter- und Mittelschicht immer schlechter. Der Boulevard lenkt ab, baut Feindbilder auf; Hetze gegen Arbeitslose, was wir hier Anfang des Jahrtausends hatten, gab es da bei den Briten schon Mitte der Achtzigerjahre. Die Zerschlagung der Gewerkschaften lief dazu parallel. Bei uns geht es langsamer voran, Preußen schießen nicht so schnell. Aber sie schießen. Großbritannien, schaut alle mal ganz genau hin, so geht das auch mit uns. Die Insel taumelt, das politische Führungspersonal scheint einem viertklassigen Theaterensemble entflohen, Labour revoltiert sich zurück in den Neoliberalismus, Schottland springt ab, rechtsnationale Gruppierungen erhalten Zulauf, Wayne Rooney spielt 2016 wie man 1979 Fußball ackerte, aber das größte Problem, so übermittelt man es den Leuten, das sind die leisen Sohlen einer Miss May.

Das ist die Lebensrealität in Systemen, die sich neoliberalen Schocktherapien unterziehen. So geht es voran. Inhaltlich belanglos, politisch ausgehöhlt, postdemokratisch verbrämt. Und dabei beständige Stimmen aus dem Off, uns totmoderierende Klatschonkel und -tanten, die den ganzen Verhau kommentieren, als sei letztlich immer noch alles im Butter. Die nächsten Kürzungen kommen bestimmt. Ökonomische Teilhabe kann nicht geboten werden. Aber am Schuhschrank dieser Frau, da können wir teilhaben. Ist er nicht ästhetisch gefüllt? Gut, über ihre Inhalte wissen wir nun immer noch nichts. Denen im Kopf. Was ihr Schrank inhaltlich hergibt, da sind wir im Bilde. Aber was im Kopf ist, das muss man auch nicht wissen. In der Postdemokratie braucht man gutes Schuhwerk, dann kann man die Berge hochsteigen, die man früher als Mensch in der Politik noch zu versetzen hoffte. Wenn man erstmal oben ist, sehen die Probleme da unten so klein aus.
Bei uns entwickelt sich das noch, manchmal blitzt es schon durch. Ganz so britisch ist es aber noch nicht. Ich sehe es schon kommen, im Wahlkampf 2033 kauft sich Merkel hübsche Pumps und dann tritt Nahles als ihre Gegnerin an, mit Lackstiefeln, auf denen Nieten silbrig glänzen. Dann wird die Wahl keine Angelegentheit von politischen Inhalten und gesellschaftlichen Anschauungen sein, sondern eine Mode- und Geschmacksfrage. Falls Boris Palmer dann Stilettos trägt, wird es für die zwei alten Damen des politischen Catwalks womöglich eine Niederlage setzen.

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