Auf den Leim gegangen

Darstellung eines Meridians und ihm zugehöriger Punkte, Foto: public domain

Darstellung eines Meridians und ihm zugehöriger Punkte, Foto: public domain

Pseudo-vulgo Alternativmedizin brei­tet sich aus. Durchaus mit offi­zi­el­ler Unterstützung. Jungärzte bekom­men sie in offi­zi­el­len Veranstaltungen als Fortbildung kri­tik­los vor­ge­setzt. Und die Veranstalter rea­gie­ren auf Kritik mit Unverständnis.

Die Antwort des wis­sen­schaft­li­chen Leiters einer offi­zi­el­len Fachtagung einer öster­rei­chi­schen Medizinuniversität fiel ein­deu­tig aus. Eindeutig ver­ständ­nis­los und ein­deu­tig – nun ja, unhöf­lich, um es zurück­hal­tend zu for­mu­lie­ren. Ich hatte gewagt, als Privatperson zu kri­ti­sie­ren, dass bei der wis­sen­schaft­li­chen Tagung aus sei­nem Fachgebiet auch unter ande­rem eine Homöopathin, eine Ayurveda-Praktizierende und ein TCM-Praxisinhaber Vorträge hal­ten durf­ten. Ohne, dass es auf der glei­chen Veranstaltung wenigs­tens einen kri­ti­schen Block zu Alternativ”medizin” gege­ben hätte.

Die Antwort sei hier in vol­ler Länge wie­der­ge­ge­ben und zunächst unkom­men­tiert: 1

Sehr geehr­ter Herr Baumgarten,
herz­li­chen Dank, dass Sie das Programm einer Veranstaltung der wis­sen­schaft­li­chen Leitung, die die­ses Programm erstellt hat, sen­den. Glauben Sie wirk­lich, wir wis­sen nicht was wir auf­ge­stellt haben? Es ist immer wie­der inter­es­sant, wie sich nicht Betroffene in Kongressprogramme ver­su­chen ein­zu­mi­schen. Da wir in eine Demokratie leben sei Ihnen die Kritik unbe­las­sen, ebenso müs­sen wir unser Programm nicht recht­fer­ti­gen und die Programmgestaltung steht uns frei. Letztendlich ent­schei­den die Teilnehmer über den Erfolg von wis­sen­schaft­li­chen Veranstaltungen, denn diese wer­den nach inter­na­tio­na­len Standard anonym von den Teilnehmern sehr dif­fe­ren­ziert beur­teilt.

Nun kurz einige Kommentare zu Ihren Behauptungen:
Die Komplementärmedizin hat auch in der westl. Welt einen gewis­sen Stellenwert erreicht, wird in eini­gen Ländern z.T. sogar von Kassen bezahlt und wel­che Meinung man dies­be­züg­lich auch hat,
man muss sich damit aus­ein­an­der­set­zen, um dar­über eine Aussage tref­fen zu kön­nen. Einige die­ser Gebiete erfor­dern in den Ländern aus denen sie kom­men ein mehr­jäh­ri­ges Studium und haben
eine Jahrhundert bis Jahrtausend Jahre alte Tradition. Die Referenten stam­men z.T. aus den Ursprungsländern und haben eben­dort diese Fachgebiete stu­diert und neben die­ser Ausbildung auch
ein Studium der west­li­chen Humanmedizin in Europa (z.B. in Wien) absol­viert. Sie haben mit Firmen über­haupt nicht zu tun. Ihre Behauptungen sind also völ­lig halt­los und Sie lie­gen hier also voll­kom­men  falsch.

Diese Tagung ist eine Fachtagung, die jähr­lich statt­fin­det und das breite Spektrum der (jewei­li­gen fach­me­di­zi­ni­schen Richtung, Anm) über Jahre abdeckt. Den “round table” habe ich orga­ni­siert und einen sol­chen  auch schon inter­na­tio­nal mit gro­ßem posi­ti­ven Echo ver­an­stal­tet. Ich bringe in meine Kongressen immer auch ein völ­lig ande­res Thema, um mehr Verständnis und Offenheit außer­halb des Fachwissens  zu wecken, was immer sehr gut ange­nom­men wird.

Der Kongress zeich­net sich durch sehr junge Teilnehmer und Teilnehmerinnen (Ärzte und Ärz­tin­nen) aus dem deutsch­spra­chi­gen Raum aus, ebenso sind die Referenten inter­na­tio­nal.
Die ande­ren von Ihnen gefor­der­ten Thematiken pas­sen nicht in die­sen Kongress und es gibt aus­rei­chende Veranstaltungen, die alle die von Ihnen gefor­der­ten Gebiete anbie­ten und
jedem Interessierten die Möglichkeit bie­ten sich dort wei­ter­zu­bil­den.

Ich ersu­che Sie von wei­te­ren Stellungnahmen abzu­se­hen,

mit freund­li­chen Grüßen
xxxx

Antwort bestä­tigt Kritik

Das hat unleug­bar etwas von der Attitüde eines “(Halb-)Gottes in Weiß”. Das ent­behrt inso­fern nicht einer gewis­sen Pikanterie, als ich vor­ge­schla­gen hatte, statt der Pseudomedizin lie­ber das Kommunikationsproblem Arzt/Patient zu the­ma­ti­sie­ren. Das haben wir hier in Reinkultur. Ein (poten­ti­el­ler) Patient – meine Wenigkeit – und der Arzt reden anein­an­der vor­bei. Ich merke es, er nicht.

Ich hatte dem wer­ten Herrn außer­or­dent­li­chen Professor auch in kei­ner Sekunde vor­ge­wor­fen, er wisse nicht, was er tue. Ich hatte ledig­lich dar­auf hin­ge­wie­sen, dass er offen­sicht­lich nicht bedacht hat, wel­che mög­li­chen Auswirkungen die drei kri­tik­lo­sen pseu­do­me­di­zi­ni­schen Vorträge haben könn­ten. Eine Kritik, die ich durch seine Antwort deut­lich bestärkt sehe. Der Mann hat offen­bar keine Ahnung, was er da anrich­tet.

Das ist Werbung, keine Auseinandersetzung

Wenn eine Homöopathin, eine Ayurveda-Praktizierende und ein TCM-Praxisinhaber in einer wis­sen­schaft­li­chen Fachtagung einen gan­zen Vormittag gleich­be­rech­tigt mit ech­ten Medizinern über ihre Erfahrungen plau­dern dür­fen, ist das alles andere als neu­tral. Es ist eben nicht die Auseinandersetzung mit Komplementär”medizin”, die mein wer­tes Gegenüber laut eige­nen Aussagen för­dern will. In die­sem Setting ist das Werbung für Methoden, die nach­weis­lich wis­sen­schaft­lich nicht belegt wer­den kön­nen. Nur, das sagt den Teilnehmern kei­ner.

Homöopathin bie­tet keine Belege

Stattdessen stellt sich eine Homöopathin aufs Podium, die auf ihrer Homepage als wis­sen­schaft­li­che Belege für Homöopathie lächer­li­che Einzelstudien mit 42 Teilnehmerinnen anführt. Und von eini­gen ande­ren Studien faselt, bei denen sie ver­gisst, Entstehungsjahr und Autoren anzu­füh­ren, fall­weise sogar die Publikation, in der die Aufsätze erschie­nen sind.

Um über die Seriosität die­ser Dame eine Aussage tref­fen zu kön­nen, muss ich mich selbst als Nichtmediziner nicht eine Stunde lang mit ihr aus­ein­an­der­set­zen. Das wird Medizinern auf der Fachtagung zuge­mu­tet – ohne die Möglichkeit, par­al­lel die Validität der Aussagen zu über­prü­fen.

Das Pseudo-Argument Herkunftsland

Dass jemand aus einem Ursprungsland einer obsku­ren Heilpraxis wie Ayurveda stammt, sagt an sich auch nichts aus. Schon gar nicht ist es eine Garantie dafür, dass die Leute, wis­sen, was sie tun. Es eröff­net höchs­tens die Aussicht, dass der oder die Betreffende über den kul­tu­rel­len Kontext Auskunft geben kann, in dem die Praxis ange­wandt wird. Nur, genau das ist nicht Thema des Vortrags. Die gute Dame plau­dert ein­fach über Ayurveda in der medi­zi­ni­schen Fachrichtung, um die sich die Tagung dreht.

Bezeichnung Studium erscheint über­trie­ben

Nebenbei stammt sie selbst nicht ein­mal aus Indien. Sie wurde in Europa gebo­ren und ging erst als junge Erwachsene nach Indien. Dass ihr “Studium” meh­rere Jahre gedau­ert hat, sagt auch wenig aus. Die Homepage des “Medical College” an dem sie war, erweckt nicht den Eindruck, als sei die Einrichtung nur annä­hernd mit einer euro­päi­schen Medizinischen Universität ver­gleich­bar. Ganz stolz mel­det man dort etwa, die Bibliothek umfasse 20.000 Bücher, tra­di­tio­nelle Texte inklu­sive. Das erscheint etwas mager für eine Universität. Auch das Uni”spital” mit 210 Betten, angeb­lich das größte Ayurveda-Spital Indiens, wirkt nicht wahn­sin­nig beein­dru­ckend. Dass laut Homepage ein Tempel auf dem Gelände die “Heiligkeit des Campus” unter­streicht, sollte bei einem halb­wegs skep­ti­schen Betrachter eben­falls Zweifel laut wer­den las­sen, ob dort Wissenschaft im enge­ren Wortsinn betrie­ben wird.

Rückschlüsse auf den Stellenwert, den die Ayurveda-Ausbildung in Indien genießt, drän­gen sich auf. Vergleicht man das mit der Ausstattung medi­zi­ni­scher Unis im Land (oder den sons­ti­gen aka­de­mi­schen Bildungsmöglichkeiten), wirkt das “Medical College” lächer­lich.

Schlamperei im Tagungsprogramm

Auch beim TCM-Vortragenden erschei­nen Zweifel gerecht­fer­tigt. Der stammt übri­gens auch nicht aus China son­dern einem ande­ren asia­ti­schen Land. Er arbei­tet auch nicht in dem renom­mier­ten Schweizer Spital, das im Programm für die Fachtagung ange­ge­ben ist. Dieses Spital hat nicht ein­mal eine TCM-Abteilung.

Der gute Mann hat eine TCM-”Akademie” an einem ande­ren Krankenhaus. Wer für die Schlamperei am Tagungsprogramm ver­ant­wort­lich ist, kann und soll an die­ser Stelle nicht geklärt wer­den. Nur kann man mit Sicherheit davon aus­ge­hen, dass so ein Fehler nicht dafür spricht, dass die wis­sen­schaft­li­che Leitung sich kri­tisch mit den Vortragenden zur alter­na­ti­ven “Medizin” aus­ein­an­der­ge­setzt hat.

Das Pseudo-Argument Tradition

In der Antwort des p.t. a.o. Univ-Prof. fin­det sich ein Argument, das in kei­ner Apologie der Pseudomedizin feh­len darf. Einige der Praktiken hät­ten eine ganz alte Tradition. Das stimmt ers­tens so nicht. Was bei uns als tra­di­tio­nelle “Heil”methode prä­sen­tiert und prak­ti­ziert wird, ist eine ethno- und sozi­al­ro­man­ti­sie­rende Projektion mit dem Bild des “edlen Wilden” im Hintergrund. Post-68er-Eso-Kitsch.

Zweitens wäre das Argument einer jahr­tau­sen­de­al­ten “Heil”tradition an sich auch kei­nes. Die west­li­che Medizin hat unsere Lebenserwartung ver­dop­pelt im Vergleich zu Zeiten als tra­di­tio­nelle “Heil”methoden gebräuch­lich waren. Mehr ist dazu nicht sagen. Ein Arzt, der sich halb­wegs ernst nimmt, sollte das wis­sen.

Niemand würde Galen oder Paracelsus pro­pa­gie­ren

Nebenbei würde ver­mut­lich kein seriö­ser wis­sen­schaft­li­cher Leitung einer medi­zi­ni­schen Fachtagung auf die Idee kom­men, Vertreter der “Heil”methoden eines Galen oder Paracelsus Werbung für ihr Gedankengut machen zu las­sen. Diese Methoden gel­ten als über­holt bis gemein­ge­fähr­lich. Bei exo­ti­schen Methoden ist das merk­wür­di­ger­weise kein Thema.

Alternativ”medizin” ist sozia­les Phänomen, kein medi­zi­ni­sches

Bleibt von den Argumenten, mit denen der werte außer­or­dent­li­che Professor sein Programm ver­tei­digt nur die Feststellung, die Alternativ”medizin” habe in der west­li­chen Gesellschaft einen gewis­sen Stellenwert erreicht. Das bestrei­tet nie­mand. Nur sagt das nichts aus. Auch der Tabakkonsum hat in der west­li­chen Welt einen gewis­sen Stellenwert. Das dürfte kaum einen wis­sen­schaft­li­chen Leiter einer medi­zi­ni­schen Fachtagung ver­lei­ten, einen Vertreter eines Zigarettenherstellers als gleich­be­rech­tig­ten Vortragenden ein­zu­la­den.

Dass in Europa Millionen von Menschen an Alternativ”medizin” glau­ben, ist eine trau­rige Realität. Ebenso, dass Lobbyvereine Ausnahmeregelungen für pseu­do­me­di­zi­ni­sche Präparate auf EU-Ebene durch­ge­setzt haben und sich mit viel öffent­li­chem Druck ihren Hokus Pokus von den Krankenkassen bezah­len las­sen wol­len. Mit die­ser Realität muss man sich aus­ein­an­der­set­zen. In die­sem Punkt hat der werte Herr außer­or­dent­li­che Professor Recht. Allein, was macht er?

Auseinandersetzung wird ver­hin­dert

Er ver­hin­dert nach Kräften, dass man sich mit dem sozia­len Phänomen aus­ein­an­der­setzt. Es gibt keine Vorträge, warum Menschen in Scharen unwis­sen­schaft­li­chen Heilsversprechen nach­lau­fen. Es gibt nicht ein­mal Vorträge, wie ver­brei­tet das Phänomen ist. Placebo-Effekt? Kein Thema. Kritische Analyse der Studien zur Alternativ”medizin”? Sucht man ver­geb­lich am Programm. Dass der Lobbyismus der Alternativ-Konzerne the­ma­ti­siert würde, erwar­tet man ver­geb­lich. Nicht ein­mal eine Veranstaltung zu den recht­li­chen Rahmenbedingungen gibt es.

Das ein­zige, was es gibt, ist der Auftritt meh­re­rer Vertreter diver­ser alternativ”medizinischer” Methoden. Sie dür­fen gleich­be­rech­tigt mit seriö­sen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, mit erfolg­rei­chen Ärz­tin­nen und Ärz­ten, auf einer wis­sen­schaft­li­chen Fachtagung refe­rie­ren. Sie dür­fen unwi­der­spro­chen Thesen ver­brei­ten, die längst wis­sen­schaft­lich wider­legt sind. Das sieht das Programm so vor.

Wenn das nicht eine Gleichberechtigung der dubio­sen Praktiken mit wis­sen­schaft­li­cher Medizin sug­ge­riert, was dann? Das ist keine Auseinandersetzung, das ist Werbung.

Programm erschwert wis­sen­schaft­li­che Aufklärung

Das wäre viel­leicht ver­nach­läs­sig­bar. Selbst an einer Fachtagung die­ser Größenordnung nimmt nur ein sehr klei­ner Anteil der Medizinerinnen und Mediziner des deutsch­spra­chi­gen Raums teil. Ein paar hun­dert Jungärzte mehr ver­wirrt, das ist ver­kraft­bar. Allein, das hat auch eine Außenwirkung.

Die auf­tre­ten­den Alternativ”medizin”-Vertreter wer­den sich die­sen gleich­be­rech­tig­ten Auftritt auf ihre Fahnen hef­ten. Dass sie gleich­be­rech­tigte Referate auf einer wis­sen­schaft­li­chen Fachtagung hal­ten durf­ten, wer­den sie als Bestätigung aus­le­gen, dass ihre kru­den Thesen wis­sen­schaft­lich aner­kannt sind – ja, dass sie die Avantgarde der medi­zi­ni­schen Forschung seien. Das wird sich in der Szene her­um­spre­chen und über kurz oder lang wer­den viele Homöopathen Kritikern diese Teilnahme um die Ohren wer­fen.

Das erschwert wis­sen­schaft­li­che Aufklärungsaufarbeit. Vereine wie die Skeptiker haben schon mit dem Informationsmangel der hei­mi­schen Journalisten zu kämp­fen, die sie den Hokus-Pokus-Medizinern so leicht auf den Leim gehen lässt. Und jetzt das. Das hat man wirk­lich gebraucht wie einen Kropf.

Christoph Baumgarten

[Erstveröffentlichung: hpd]

  1. Der Mailverkehr sollte zunächst pri­vat blei­ben. Leider zeigt die Antwort in ihrer Unhöflichkeit und ihrem Unverständnis genau das Problem auf, das ich ange­spro­chen hatte. Sie sei hier aus doku­men­ta­ri­schen und jour­na­lis­ti­schen Gründen ver­öf­fent­licht. Da ich mich im Vorfeld nicht als Journalist zu erken­nen gege­ben habe (ich hatte ursprüng­lich nicht vor, etwas dazu zu ver­öf­fent­li­chen), geschieht die Veröffentlichung anony­mi­siert. Das Gegenüber hätte mit Sicherheit anders geant­wor­tet, hätte es gewusst, dass ich Journalist bin, obwohl ich hier nur als Privatperson tätig wer­den wollte.

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