Antimuslimischer Rassismus

Fanny Müller-Uri - “Antimuslimischer Rassismus”Antimuslimischer Rassismus hat viele Gesichter. Thilo Sarrazin hat ihn nicht erfunden, er steht vielmehr in einer langen Tradition islamfeindlicher Diskurse in Europa und Deutschland. Fanny Müller-Uri legt mit “Antimuslimischer Rassismus” einer umfassende Einführung in das Thema vor. Der Islam wird häufig als homogener kultureller Block skizziert, und nicht in seiner Vielfalt wahrgenommen, stattdessen wird eine angebliche “Überfremdung” herbeigeredet und von Parallelgesellschaften muslimischer Menschen innerhalb Deutschlands geredet. Der Islam und muslimische Menschen werden dabei zu Feindbildern.

von Mira Sigel

Teil I des Buches behandelt “Islamisierte Debatten”:

Ob in den Zeitungskolumnen des bildungsbürgerlichen Feuilletons oder in politischen Sonntagsreden der extremen Rechten, eine “islamische Unterwanderung des Westens” und “muslimische Parallelwelten” inmitten der europäischen Metropolen sind Phrasen, die schon seit über einem Jahrzehnt propagiert werden. Offenbar will und will die “Islamisierung Europas” oder “des Westens aber nicht eintreten.

Kultur und Religion als Erklärungsmuster in politischen Debatten einzusetzen, geschieht erst seit Ende der 1970er Jahre, als aus den ehemaligen Gastarbeitern dauerhafte Nachbarn und Mitbürger wurden. Seither ist auch die Islamisierung von Debatten zu beobachten, die durch den 11. September 2001 noch einmal entscheidend verändert wurde. Nach dem Kalten Krieg, der die Welt in zwei Ideologien, zwei Weltbilder teilte, übernahm der “Kampf der Kulturen” diese Funktion, ein Begriff, den der Autor Samuel P. Huntington prägte und die kulturelle Unvereinbarkeit von christlich geprägtem Westen und islamisch geprägtem Osten beschrieb. Der Islam wurde zum Anderen, zur Gegenseite.

Teil II trägt den Titel “Orientalist History”

Zum antimuslimischen Rassismus gehören auch stereotype Vorstellungen über den “Orient”, deren Wurzeln teilweise jahrhundertelang zurückreichen. Diese Stereotype haben in den Köpfen der meisten ein Archiv an Bildern angelegt, das jederzeit bei rassistischen Kampagnen mobilisiert werden kann.
Die erste Phase orientalistischer Bilder entstand durch die Kreuzzüge im frühen Mittelalter und dem Kampf um Jerusalem, dass den Muslimen in die Hände zu fallen drohte. Hier findet sich erste antimuslimische Bildpropaganda, die von der Kirche und von den Kreuzfahrern über die angeblich gottlosen und barbarischen “Muselmanen” verbreitet wurde. Die zweite Phase zeichnet sich im 15. Jahrhundert, als die Truppen des osmanischen Reichs bis vor den Toren Wiens standen. Hier waren sie Eroberer, eine “osmanische Bedrohung für Europa”. Immer betont wurde das Fremde, das Andere, in Sprache, in Kleidung, in der Kultur. Später, im Zuge von Bündnissen während anderer Kriege, kam es sogar zu einer regelrechten Begeisterung für alles exotisch-orientalische. So gelangte beispielsweise der Kaffee nach Europa, doch auch hier ging es nicht um echtes interkulturelle Interesse, sondern um Lust an der Exotik und an einer Bestätigung der stereotypen Bilder im Kopf.

In Teil III geht es um Rassismus im Generellen.

Die Debatte hat bereits ein sprachliches Problem. Im deutschsprachigen Raum wird nicht einfach von Rassismus gesprochen (was es der Sache nach ist), sondern vielmehr von “Fremdenfeindlichkeit”, “Ausländerhass” oder “Xenophobie”, was zu Verwirrung führt und auch sachlich falsch ist. Rassismus ist keine biologische Kategorie, sondern eine soziale Kategorisierung innerhalb eines ideologischen, nämlich rassistischen Diskurses, wie die Autorin klar definiert und für einen erweiterten Rassismusbegriff plädiert:

Der Effekt dieses ideologischen Diskurses ist, dass Individuen auf Erscheinungsformen (Repräsentationen) ihrer wesensmäßigen “Zugehörigkeit” reduziert, also entindividualisiert und entsozialisiert werden. Die Anderen werden als politisch, sozial und kulturell homogene Entitäten entworfen, sodass die soziale Praxis ihnen zugerechneter Individuen auf unterstellte Kollektiveigenschaften rückgeführt und unter Rekurs auf naturalistische Dispositionen erklärt wird.

Teil IV behandelt antimuslimischen Rassismus.

Zunächst wird erklärt, warum antimuslischer Rassismus die richtige Bezeichnung ist und nicht etwa “Antimuslimus” oder ähnliches und dann wird anhand konkreter Beispiele gezeigt, wie antimuslimischer Rassismus funktioniert – so zum Beispiel an der Empörung über sogenannte “Ehrenmorde”. Die Autorin nennt das den “Sexismus der Anderen”. In dem sich über das angeblich so patriarchale und rückständige Geschlechtermodell islamischer Gruppen echauffiert wird, wird das Selbstbild des gleichberechtigten und toleranten Europa vergewissert – und von eigenen Problemen hinsichtlich der Frauenfrage abgelenkt. Interessant auch, was die Autorin zum Verhältnis der muslimischen Frauen und der deutschen Frauen zitiert:

Denn Tatsache ist, dass der soziale Aufstieg der einheimischen deutschen Frauen in den letzten Jahren zu einem Großteil auf die soziale Unterschichtung durch Migrantinnen zurückzuführen ist. Ihre berufliche Emanzipation verdanken die einheimischen Frauen also weniger der Aufhebung der Arbeitsteilung zwischen den Geschlechtern als vielmehr der Tatsache, dass die EinwanderInnen die schlecht bezahlten und untergeordneten Tätigkeiten übernommen haben.
Birgit Rommelsbacher (2002): Anerkennung und Ausgrenzung. Deutschland als multikulturelle Gesellschaft, S. 128

Der Westen verkauft sich als aufgeklärt, liberal und zivilisiert. Dafür müssen Muslime als unzivilisiert und in ihren Traditionen verhaftet gezeichnet werden. Dazu passt auch, dass Homophobie immer häufiger als Problem vor allem muslimischer Menschen dargestellt wird. Im “Moslemtest” der baden-württembergisches Einwanderungsbehörde wurde die Einstellung dazu sogar explizit abgefragt.

Antimuslimischer Rassismus tritt uns immer häufiger entgegen, im Gesicht von Pro-Bewegungen oder Debatten oder von Facebookseiten. Das Buch ist eine hervorragende Einführung in das Thema, seinen Ursprung, seine Analyse  – und vor allem seine Kritik!

[Übernahme von Die Freiheitsliebe]

Google+

Nic Frank Nic Frank

wallpaper-1019588
Wenn das Neue lockt: Shiny New Object Syndrome im Online-Business
wallpaper-1019588
KiVVON: Der Game-Changer für Content-Creators
wallpaper-1019588
Mexikanische Burrito Bowl mit Pico de Gallo (Vegan)
wallpaper-1019588
The Great Cleric: Serie wird auf Disc erscheinen