Anleitung zur sexuellen Blockade

„Du weinst heute noch!“ Mit dieser Prophezeiung hatte mich meine Mutter zu warnen versucht, wenn ich als kleiner Junge übermütig und ausgelassen umhertollte. Obwohl solche Sätze aus der Abteilung „Kritische Elternsprüche“ durchaus gut gemeint sein können, sitzen uns die Verbote, die darin enthalten sind, zuweilen lebenslänglich in den Zellen und blockieren unsere Lebendigkeit. Hier ein Beispiel:

„Wir kuscheln oft“, erklärte mir die Frau, „aber weiter geht es kaum.“ Dazu nickte ihr Mann stumm. „Es scheint wie verhext zu sein“, ergänzte er dann, „wir haben zwar beide Lust auf Sex, aber keiner will oder kann den ersten Schritt machen. So kommt es, dass wir praktisch nicht mehr miteinander schlafen.“ Schliesslich meinte die Frau noch: „Wir sind irgendwie blockiert und wissen nicht, warum das so ist.“ Anschliessend bestätigte ich den beiden, dass ich ihre Klage so oder ähnlich regelmässig hörte. „Das ist menschlich“, sagte ich noch, „und ich finde es mutig und stark von Ihnen, wie Sie sich gegen die vermeintliche Blockade zur Wehr setzen. Sie scheinen es sich wert zu sein.“

„Was halten Sie von einem Experiment?“, fragte ich die beiden forsch, um dann gleich fortzufahren: „Ich lade Sie zu einem gedanklichen Spagat ein. Stellen Sie sich einmal vor, Sie beide würden sich im Umgang mit allzu menschlichen Ängsten bestens auskennen. Und mit dieser Fertigkeit würden Sie am Wettbewerb ‚Anleitung zur sexuellen Blockade’ teilnehmen.“ Ich wartete einen Augenblick lang und fragte dann die verdutzte Frau: „Mit welchen Ängsten muss eine Frau ausgestattet sein, um sicherzustellen, dass sie keinen Sex mit ihrem Mann hat?“ Dann schaute ich den Mann an und erklärte ihm: „Das gleiche gilt auch für Sie. Wovor muss sich ein Mann fürchten, wenn es darum geht, Sex mit seiner Frau zu vermeiden?“

Das Paar versuchte den Widerspruch, der in meinen Worten lag, gedanklich zu verarbeiten. Das war zumindest mein Eindruck, also wartete ich. Schliesslich antwortete mir die Frau leicht amüsiert: „Ich würde die Frau mit einer gehörigen Portion Angst davor ausstatten, Nein zu sagen. Wenn nämlich eine Frau nicht Nein sagen kann, dann läuft sie Gefahr, Dinge über sich ergehen zu lassen, mit denen sie im Grunde nicht einverstanden ist. Um dem Gefühl des eigenen Verrats aus dem Weg zu gehen, unterlässt sie es gänzlich, sich auf Sex einzulassen.“ Dann schaute sie ihren Mann an und fügte noch hinzu: „Ist doch logisch, oder!“ Ach so, erwiderte er daraufhin, jetzt wisse er, was gemeint sei. „Und wenn ein Mann grosse Angst vor einem Korb hat, dann verzichtet er halt darauf, die Frau überhaupt zum Tanz aufzufordern“, sagte er lakonisch.

Nach ein paar stillen Atemzügen meldete ich mich zurück: „Mir scheint, dass Sie beide in Ihren Beispielen jeweils eine Reaktion auf den kritischen Elternspruch ‚Wer A sagt muss auch B sagen!’ beschreiben. So sagt die Frau deshalb nicht A, weil sie Angst davor hat, dann auch B sagen zu müssen. Und der Mann sagt deshalb nicht A, weil er Angst davor hat, auf seinem A sitzen zu bleiben.“ In der Folge einigte sich das Paar darauf, diesen und andere kritische Elternsprüche im gemeinsamen Gespräch zu Hause weiter zu erforschen.

Auf dem Nachhauseweg grübelte ich über die Sitzung. Dabei kam mir eine verschärfte Variante des eingangs erwähnten Spruchs meiner Mutter in den Sinn: „Vögel, die morgens zwitschern, werden abends von der Katze gefressen!“ Auch so eine üble Lüge, nicht wahr?


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