Alleine auf dem Jakobsweg

Als Frau alleine unterwegs

– Und Du willst wirklich alleine los?
– Muss das sein – alleine auf den Jakobsweg?
– Hast Du keinen Schiss, so als Frau alleine unterwegs?

Ja, ja und nein!
Warum auch?

Nicht nur, dass ich diese und ähnliche Reaktionen auch nun, nach mittlerweile drei Caminos, in meinem persönlichen Umfeld zu hören bekomme, auch lese ich immer wieder in Foren und auf Facebook von Frauen, die der Traum des Jakobswegs nicht los lässt, sich aber dennoch nicht trauen, alleine zu laufen. Die Threads mit Suchanfragen nach Mitpilgern reißen nicht ab, wöchentlich, fast täglich kommen neue Beiträge hinzu, in denen Interessenten, meistens weiblichen Geschlechts, nach Weggefährten suchen. Ihnen ist lieber, mit (jetzt noch) wildfremden Menschen die Reise ihres Lebens zu planen und durchzuführen, als alleine den ersten Schritt zu wagen.

Hineinfühlen kann ich mich nicht wirklich in jene Menschen, da ich diese Furcht nie verspürt habe, ich kann sie aber trotzdem ein bißchen verstehen. Mein erster Camino war nicht als Solo-Tour geplant: Über ein Jahr habe ich den Weg als Weg zweier Menschen gesehen und geplant und innerhalb kürzester Zeit, keinen Monat vor dem Abflug nach Spanien änderte sich das. Ich wußte, dass ich spätestens nach fünf Tagen alleine unterwegs sein würde. Komisches Gefühl nach all der Planung, aber keine Furcht. In diversen Kommentaren der 2010er Camino-Blogbeiträge wurde mein Mut bewundert – das habe ich damals gar nicht und auch heute noch nicht so ganz verstanden. Ich habe mich weder auf dem Weg noch heute in der Rückschau als mutig gesehen. Keineswegs! Klar, ich bin keine wirkliche Schissbuxe und weiß mich durchzukämpfen, aber mutig, wenn ich den Camino laufe? Ich weiß ja nicht…

Ich darf sagen, dass ich den Camino als vollkommen sicher erlebt habe, nie Angst oder ein mulmiges Gefühl hatte. Das ist wahres Glück! Die wilden Hunde von Coelho und Kerkeling im Kopf, 4 Wochen und über 600km alleine unterwegs – das ist halt schon ne Hausnummer. Aber dennoch hat mich kein Hund angefallen, niemand auch nur annähernd komisch angemacht und ich habe mich und mein Eigentum durchgängig als sicher und gesichert angesehen.

Die aktuelle Situation auf dem Camino bringt ein wenig Magengrummeln in diese Gedanken. Vor über einem Monat, Anfang April, ist eine amerikanische Pilgerin das letzte Mal in Astorga gesehen worden und gilt seitdem als vermisst. Ihre Familie hat eine große Such- und Aufmerksamkeitswelle entfacht, doch wird die Pilgerin, die eine Namensvetterin von mir ist, Denise Thiem, bis zum heutigen Tag vermisst.

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Wo ist Denise Thiem?

Das ist furchtbar tragisch und ich mag mir gar nicht vorstellen, wie es der Familie in den USA mit dieser fürchterlichen Unwissenheit geht. Aber auch die Gedanken- und Gefühlswelt der Pilger und Freunde, die sie auf dem Weg kennengelernt hat und die schon aktiv mit der Polizei zusammenarbeiten mag ich mir gar nicht vorstellen. Sie haben sicherlich in Astorga noch einen wunderbaren Abend verbracht mit dem süßen Schokoladen-Duft in der Nase, der über der Stadt hängt. Sie frühstücken gemeinsamen, jeder rüstet sich für den Tag und startet alleine und Denise verschwindet. Man – das ist so unglaublich und ich hoffe so sehr, dass es hier noch gute Nachrichten geben wird…

So fürchterlich diese Geschichte ist, so darf sie auf keinen Fall die schwelende Furcht in manchen Herzen und Köpfen weiter anfachen. Wenn man sich mal die Statistiken des Pilgerbüros aus Santiago de Compostela anschaut und vor Augen führt, wie viele Menschen da Tag für Tag ankommen, jeden Monat und jedes Jahr unterwegs sind – wenn man sich mal darüber klar wird, dass da echt Massen unterwegs sind und dass eine solche Situation wie die oben beschriebene einmal in was-weiß-ich-wie vielen Jahren vorkommt, dann weiß ich, dass ich hier zu Hause gefährlicher lebe. Es ist ganz furchtbar schlimm, auch wenn wir noch nicht wissen, was passiert ist und wann sie wieder auftaucht (woran ich fest glaube) – aber es ist eine absolute Ausnahme!

Ich habe in den ersten Tagen meines ersten Wegs extrem auf meine Wertgegenstände aufgepasst, auch später habe ich selbstverständlich das Handy, Geld und Digitalkamera in einem Beutel mit in die Duschkabine genommen. Die heute leider notwendige Sorge und Obacht nimmt aber im Laufe des Weges ein wenig ab; man entwickelt eine Art Grundvertrauen. Das mag naiv sein und kann auch echt schief gehen. Ging es bei mir aber nicht. Und auch sonst bei niemandem, den ich kenne.

Es gibt diesen “Camino Telegraph”, so haben wir ihn genannt: man bekommt immer mit, was rund fünf Tage vor und hinter einem passiert. Wenn jemand bestohlen wird, oder ein betrunkener Mitpilger ins Nachbarbett pinkelt, da er mit weinseligem Kopf meint, auf Toilette zu sein (wirklich so geschehen im Schnarchsaal Roncesvalles im Oktober 2010), dann bekommt man das mit. Es wird einfach weitergetragen. In drei Jahren und 1.300km auf dem Weg ist mir nichts zu Ohren gekommen von Diebstählen, Überfällen oder etwas anderem.

Klar. Solche Dinge passieren auch auf dem Camino. Aber ich habe es nicht erlebt. Und meine Camino-Freunde auch nicht. Und das ist alles, wovon ich schreiben kann.

Ich fühle mich nirgends sicherer und besser aufgehoben als auf dem Weg.

Habt Vertrauen!
In euch und in den Weg!

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