Alle Menschen sind gleich, niemand darf benachteiligt oder bevorzugt werden – das Grundgesetz macht es möglich. Geschlecht, Abstammung, Rasse, Sprache, Heimat und Herkunft, Glauben und Weltanschauung, Behinderung: nichts von dem dürfe zu ungleicher Behandlung führen. Jedenfalls steht es so auf dem Papier. Was man in der Aufzählung jedoch vermissen muß, das ist die eigentliche, die typisch kapitalistische Ausformung von Ungleichheit, das Fundament kapitalistischer Denkart, könnte man fast sagen: ob jemand Arbeit hat oder nicht!
Das ist beileibe kein nebensächliches Defizit des Grundgesetzes. Man beachte nur die Klänge, die aus dem medialen Äther tröpfeln. Da betrieb doch kürzlich ein bayerischer Innenminister befremdliche Auslesen, sprach von Zuwanderern, die man auch gebrauchen müsse, wenn man sie schon ins Land hineinließe. Das muß man sich schon auf der Zunge zergehen lassen: Gebrauchen! Etwa wie einen Schuh oder eine Tube Zahnpasta? Und was dem Schnabel des ehemaligen Berliner Senators entfleucht, damals als er von für den Arbeitsmarkt nutzlosen Kopftuchproduzenten sprach, ist ja beinahe schon das alltägliche Geschwätz deutscher Feuilletons. Hin und wieder erntet er für seine knorrigen Auslassungen Schelte, was prominente Zeitgenossen der Publizistik dazu ermuntert, ihm pflichtschuldigst beizuspringen. Wie neulich erst der Chefredakteur des Focus, der außerordentlich besorgt und beachtenswert erzürnt darüber war, daß da jemand nur dafür Ärger erhalte, weil er die Wahrheit formuliere. Freilich findet sich in diesem Geschwader erlauchter Verwertbarkeitsrhetoriker auch die Soziologie mit ein, die manchen namhaften Vertreter ins Gefecht schickt. Diese räsonieren dann im wissenschaftlichen Duktus darüber, ob es denn vielleicht möglich sei, daß in diesem Lande die falschen Leute Kinder bekämen. Eine scheue Fragenstellung, die die diversen Soziologen umgehend selbst beantworten – das wäre ja auch kein gescheiter Soziologe, kennte er keine unverbrüchliche Antwort!
Diese und weitere Zeitgenossen sind gar nicht so sehr Auswüchse einer nationalen Stammtischkultur, wie man etwas optimistisch vielleicht annehmen möchte. Sie sind vielmehr die Avantgarde einen selektiven Gedankens, der spätestens seitdem die Konkurrenz der Systeme zur Fußnote der Historie wurde, ungeniert zur vollen Entladung kam. Der Faschismus, so unkten manche, und tun es noch immer, sei letztlich die Perversion des Kapitalismus gewesen – aber man könnte dies auch bedenkenlos umdrehen und behaupten, daß der Kapitalismus zeitgenössischer Prägung eine überarbeitete, etwas kultivierter auftretende, wesentlich pragmatischere Abart der faschistischen Denkweise ist. Die selektive Essenz ist zweifelsohne erhalten geblieben, nur haben sich die Auswahlkriterien modifiziert. Es ist eher die Ausnahme im Lande politischer Korrektheit, daß jemand heutzutage aufgrund seiner Herkunft verunglimpft und ungleich behandelt wird; Frauen sind kein Anhängsel des Mannes mehr und weltanschauliche Fragen entscheiden nicht mehr über Gesellschaftszugehörigkeit – jedenfalls ist der Kapitalist in diesen Fragen ein Gleichmacher aus Leidenschaft; einige dumpfe Kahlköpfe, die Hitler für ihren Jesus halten, sind da natürlich anders gesittet. Der Kapitalist jedenfalls ist da wesentlich pragmatischer, bedeutend näher am Puls der Effizienz. Die aktuellen Machthaber in Wirtschaft und Politik – und zwar genau in dieser Reihenfolge! -, haben doch nichts gegen Ausländer und emanzipierte Frauen – sie dürfen nur nichts kosten, der Gesellschaft nicht auf der Tasche liegen, müssen Arbeit haben, sich als nützlich erweisen.
Jener Avantgardist dieses selektiven Grundgedankens, der früher einmal im Berliner Senat tätig war, jetzt im Bankenunwesen selbiges treibt, bringt diesen Gesichtspunkt ja meistens relativ deutlich zum Ausdruck. Der amtierende bayerische Innenminister machte es ihm kürzlich in derselben Deutlichkeit nach. Sie haben ja alle nichts gegen Ausländer: nur nützlich müssen sie sein, Arbeit haben, sich selbst rechnen. Emanzipierte Frauen sind auch toll: besonders, wenn sie sich selbst versorgen können. Moslems sind feine Leute, solange sie nicht auf dem Arbeitsamt katzbuckeln. Ausländerfeindlich oder gegen andere Kulturen seien sie mitnichten, entrüsten sich jene oben genannten Kreaturen des Effizienzprinzips dann bei entgegenschlagender Kritik – die eher selten vorkommt -, denn die Verwertbarkeit des Menschen im Produktionsablauf, gelte selbstverständlich auch für deutsche Bürger, für Frauen und Männer, für Religiöse und Atheisten – alle Menschen sind gleich: wenn sie nur Arbeit haben! Für sie ist letztlich die Frau dem Manne gleichwertig, und im idealen Falle gilt das sogar andersherum – nur Frau und Frau oder Mann und Mann sind eben nicht gleich, wenn das eine Exemplar Geschlechtsgenosse Erwerbsarbeit hat und das andere nicht.
Das Gleichheitsprinzip ist in Gefahr. Daß Menschen, die keine Arbeit mehr finden können, bereits heute despektierlich behandelt, als Schmarotzer ins Blickfeld der Öffentlichkeit gerückt werden, kann kaum mehr ernsthaft bestritten werden. Gelegentlich vernimmt man dann sogar Vorschläge, bei denen es einen schaudern läßt, wenn schwelgerisch von eigenen Wohnvierteln oder Erziehungscamps für junge Arbeitslose phantasiert wird – der Schoß ist gewiss mehr als nur angefeuchtet, richtiggehend naß sogar. Weil in dieser ökonomisierten Welt immer mehr von Effektivität und Brauchbarkeit in Verbindung mit menschlichen Wesen gesprochen wird, weil der Mensch zuletzt zum Produktionsfaktor herabgestuft wurde, sollte diesem Bassin an überquellender Ungleichheit gesetzlich das Wasser abgegraben werden.
Wenn man dem Grundgesetz überhaupt noch ausreichend Vertrauen entgegenbringen möchte! Das ist ja heute nicht mehr unbedingt üblich. So könnte man dafür einstehen, Artikel 3 dahingehend zu verändern, auch – zynisch gesprochen! – die „ökonomische Verwertbarkeit“ mitaufzunehmen, was heißt, die Gleichheit von Arbeitenden und Arbeitslosen neben der Gleichheit der Geschlechter, Abstammung und so weiter einzureihen. Diese wäre dann, gelistet zwischen all den anderen Attributen, eine materielle Komponente, brechtisch intoniert: sie wäre das Fressen, alle anderen die Moral. Moral, die wenig kostet, die eher sogar was einbringt – doch jene vor ungleicher Behandlung zu schützen, die keine Arbeit haben, das könnte uns richtig teuer zu stehen kommen und nebenbei manchem Hetzer die Lebensgrundlage entziehen. Wir werden die Gleichheit zwischen Arbeitenden und Arbeitslosen daher nie gesetzlich festlegen – und wir werden daher zukünftig ein Grundgesetz haben, daß zwar viele Gleichheiten gewährleistet, aber die wichtigste Frage der Zukunft, nämlich die Ungleichbehandlung ökonomisch nutzlos gewordener Menschen, stillschweigend übergeht.
Dieser Text erschien erstmals am 2. August 2010 im Blättchen
Das ist beileibe kein nebensächliches Defizit des Grundgesetzes. Man beachte nur die Klänge, die aus dem medialen Äther tröpfeln. Da betrieb doch kürzlich ein bayerischer Innenminister befremdliche Auslesen, sprach von Zuwanderern, die man auch gebrauchen müsse, wenn man sie schon ins Land hineinließe. Das muß man sich schon auf der Zunge zergehen lassen: Gebrauchen! Etwa wie einen Schuh oder eine Tube Zahnpasta? Und was dem Schnabel des ehemaligen Berliner Senators entfleucht, damals als er von für den Arbeitsmarkt nutzlosen Kopftuchproduzenten sprach, ist ja beinahe schon das alltägliche Geschwätz deutscher Feuilletons. Hin und wieder erntet er für seine knorrigen Auslassungen Schelte, was prominente Zeitgenossen der Publizistik dazu ermuntert, ihm pflichtschuldigst beizuspringen. Wie neulich erst der Chefredakteur des Focus, der außerordentlich besorgt und beachtenswert erzürnt darüber war, daß da jemand nur dafür Ärger erhalte, weil er die Wahrheit formuliere. Freilich findet sich in diesem Geschwader erlauchter Verwertbarkeitsrhetoriker auch die Soziologie mit ein, die manchen namhaften Vertreter ins Gefecht schickt. Diese räsonieren dann im wissenschaftlichen Duktus darüber, ob es denn vielleicht möglich sei, daß in diesem Lande die falschen Leute Kinder bekämen. Eine scheue Fragenstellung, die die diversen Soziologen umgehend selbst beantworten – das wäre ja auch kein gescheiter Soziologe, kennte er keine unverbrüchliche Antwort!
Diese und weitere Zeitgenossen sind gar nicht so sehr Auswüchse einer nationalen Stammtischkultur, wie man etwas optimistisch vielleicht annehmen möchte. Sie sind vielmehr die Avantgarde einen selektiven Gedankens, der spätestens seitdem die Konkurrenz der Systeme zur Fußnote der Historie wurde, ungeniert zur vollen Entladung kam. Der Faschismus, so unkten manche, und tun es noch immer, sei letztlich die Perversion des Kapitalismus gewesen – aber man könnte dies auch bedenkenlos umdrehen und behaupten, daß der Kapitalismus zeitgenössischer Prägung eine überarbeitete, etwas kultivierter auftretende, wesentlich pragmatischere Abart der faschistischen Denkweise ist. Die selektive Essenz ist zweifelsohne erhalten geblieben, nur haben sich die Auswahlkriterien modifiziert. Es ist eher die Ausnahme im Lande politischer Korrektheit, daß jemand heutzutage aufgrund seiner Herkunft verunglimpft und ungleich behandelt wird; Frauen sind kein Anhängsel des Mannes mehr und weltanschauliche Fragen entscheiden nicht mehr über Gesellschaftszugehörigkeit – jedenfalls ist der Kapitalist in diesen Fragen ein Gleichmacher aus Leidenschaft; einige dumpfe Kahlköpfe, die Hitler für ihren Jesus halten, sind da natürlich anders gesittet. Der Kapitalist jedenfalls ist da wesentlich pragmatischer, bedeutend näher am Puls der Effizienz. Die aktuellen Machthaber in Wirtschaft und Politik – und zwar genau in dieser Reihenfolge! -, haben doch nichts gegen Ausländer und emanzipierte Frauen – sie dürfen nur nichts kosten, der Gesellschaft nicht auf der Tasche liegen, müssen Arbeit haben, sich als nützlich erweisen.
Jener Avantgardist dieses selektiven Grundgedankens, der früher einmal im Berliner Senat tätig war, jetzt im Bankenunwesen selbiges treibt, bringt diesen Gesichtspunkt ja meistens relativ deutlich zum Ausdruck. Der amtierende bayerische Innenminister machte es ihm kürzlich in derselben Deutlichkeit nach. Sie haben ja alle nichts gegen Ausländer: nur nützlich müssen sie sein, Arbeit haben, sich selbst rechnen. Emanzipierte Frauen sind auch toll: besonders, wenn sie sich selbst versorgen können. Moslems sind feine Leute, solange sie nicht auf dem Arbeitsamt katzbuckeln. Ausländerfeindlich oder gegen andere Kulturen seien sie mitnichten, entrüsten sich jene oben genannten Kreaturen des Effizienzprinzips dann bei entgegenschlagender Kritik – die eher selten vorkommt -, denn die Verwertbarkeit des Menschen im Produktionsablauf, gelte selbstverständlich auch für deutsche Bürger, für Frauen und Männer, für Religiöse und Atheisten – alle Menschen sind gleich: wenn sie nur Arbeit haben! Für sie ist letztlich die Frau dem Manne gleichwertig, und im idealen Falle gilt das sogar andersherum – nur Frau und Frau oder Mann und Mann sind eben nicht gleich, wenn das eine Exemplar Geschlechtsgenosse Erwerbsarbeit hat und das andere nicht.
Das Gleichheitsprinzip ist in Gefahr. Daß Menschen, die keine Arbeit mehr finden können, bereits heute despektierlich behandelt, als Schmarotzer ins Blickfeld der Öffentlichkeit gerückt werden, kann kaum mehr ernsthaft bestritten werden. Gelegentlich vernimmt man dann sogar Vorschläge, bei denen es einen schaudern läßt, wenn schwelgerisch von eigenen Wohnvierteln oder Erziehungscamps für junge Arbeitslose phantasiert wird – der Schoß ist gewiss mehr als nur angefeuchtet, richtiggehend naß sogar. Weil in dieser ökonomisierten Welt immer mehr von Effektivität und Brauchbarkeit in Verbindung mit menschlichen Wesen gesprochen wird, weil der Mensch zuletzt zum Produktionsfaktor herabgestuft wurde, sollte diesem Bassin an überquellender Ungleichheit gesetzlich das Wasser abgegraben werden.
Wenn man dem Grundgesetz überhaupt noch ausreichend Vertrauen entgegenbringen möchte! Das ist ja heute nicht mehr unbedingt üblich. So könnte man dafür einstehen, Artikel 3 dahingehend zu verändern, auch – zynisch gesprochen! – die „ökonomische Verwertbarkeit“ mitaufzunehmen, was heißt, die Gleichheit von Arbeitenden und Arbeitslosen neben der Gleichheit der Geschlechter, Abstammung und so weiter einzureihen. Diese wäre dann, gelistet zwischen all den anderen Attributen, eine materielle Komponente, brechtisch intoniert: sie wäre das Fressen, alle anderen die Moral. Moral, die wenig kostet, die eher sogar was einbringt – doch jene vor ungleicher Behandlung zu schützen, die keine Arbeit haben, das könnte uns richtig teuer zu stehen kommen und nebenbei manchem Hetzer die Lebensgrundlage entziehen. Wir werden die Gleichheit zwischen Arbeitenden und Arbeitslosen daher nie gesetzlich festlegen – und wir werden daher zukünftig ein Grundgesetz haben, daß zwar viele Gleichheiten gewährleistet, aber die wichtigste Frage der Zukunft, nämlich die Ungleichbehandlung ökonomisch nutzlos gewordener Menschen, stillschweigend übergeht.
Dieser Text erschien erstmals am 2. August 2010 im Blättchen