107. Hieb- und stichfest

Rezension von Dirk Uwe Hansen

Kommt Kunst wirklich von Können (S.23), oder schafft das Können allein nur Kunststücke, keine Kunstwerke, und kommt also Können von Kunst, wie der zu Unrecht vergessene Maler Carl Hofer es einmal formulierte (ich zitiere hier aus dem Gedächtnis – Korrektur oder Präzisierung sind willkommen)?

Dieser Frage gehen die beiden Dichter Klünner und Rarisch in einer Reihe von miteinander streitenden Sonetten nach, und wie bei jeder Ei-oder-Henne-Frage ist nicht das Ergebnis das Interessante, sondern der Prozess des Antwortens. Klünner fordert zum Streit mit einem Sonett, in dem er das Schreiben von Sonetten verunglimpft: eitles Scheibenschießen sei das, ein längst abgeschlossenes Kapitel, das ihm „auf den Geist“ gehe. Rarisch, ein Kenner und Könner auf dem Gebiet des Sonetts, lässt das nicht auf sich sitzen und antwortet – natürlich ebenfalls in einem Sonett. Daraufhin entspinnt sich vor dem Auge des staunenden Lesers ein Schaukampf, der es in sich hat: Schwere Invektiven werden da gegen Ziele ober- und unterhalb der Gürtellinie geschwungen, spitze Bemerkungen mit Widerhaken verschossen, gelehrte Anspielungen mitsamt lateinischen Zitaten dem Gegner über den Schädel gezogen, und zur Not werfen die Kontrahenten auch schon mal die Waffen von sich und gehen mit bloßen Silben aufeinander los. Ein unterhaltsames, wunderbar choreographiertes Scheingefecht gibt es da zu sehen, und wenn am Ende des einundzwanzigsten Sonetts der aufgewirbelte Staub sich wieder legt, dann stehen die beiden Dichter ungebeugt und unbeschädigt da, und dem Leser schwirrt der Kopf.

Doch der Sturm legt nur eine Pause ein. Denn mit dem zweiundzwanzigsten Sonett tritt HEL (Herbert Laschet Toussaint) auf – in der Maske des Schiedsrichters, um das Unentschieden zu verkünden, in Wirklichkeit aber als agent provocateur. Und die Provokation gelingt. Denn nun wird aus der Ecke des Herausforderers ein Hagel von Sonetten in den Ring geworfen, der Verssturm, in den sich Klünner (auch unter Pseudonym) immer wieder, Rarisch aber gar nicht mehr einmischt, bricht jetzt erst richtig los. Angeregt vom siebten und achten Sonett (S. 12-13), in dem Klünner die Transformation der strengen Form gefordert, Rarisch eben diese Transformation als Spiel „mit Kuchenförmchen“ abgetan hatte, wird von Ernst-Jürgen Dreyer, Lothar Klünner, Gisela Kraft, BRI (Brigitte Lange) und HEL transformiert was das Zeug hält, und mag die strenge Form dabei auch knirschen und krachen, das erhöht nur das Vergnügen. Selbst Klünner kann hier wohl nicht verhehlen, dass dieses Spiel ihm nicht mehr „auf den Geist“ geht.

Das Schlusswort hat dann Klaus M. Rarisch. Prosaisch und nicht ohne Mäkelei beharrt er auf seiner Abneigung gegen diejenigen, die ohne „langjährige Übung und strenge Selbstkritikk“ Sonette schreiben, verzichtet in einer leicht überheblichen Praeteritio darauf, die formalen Mängel seiner Widersacher zu analysieren und zitiert stattdessen ein „formal absolut makellos[es]“ Sonett des wohl zu Recht vergessenen Prinzen Emil von Schönaich-Carolath. Und wunderbarerweise leuchten nun die in diesem herrlichen Büchlein versammelten Sonette vor dem Hintergrund des makellos-grauen Textes nur umso farbiger und schöner.

In gewohnter Weise legt der Verlag Reinecke & Voß mit „Hieb- und stichfest“ ein Buch vor, das jeder, dem Dichtung am Herzen liegt, besitzen, lesen, verschenken sollte – und das sich auch jeder leisten kann. Man kann nur hoffen, dass bald wieder ein Streitapfel geworfen wird, diesmal vielleicht in das Lager der Autoren alkäischer Oden?

Lothar Klünner und Klaus M. Rarisch & al., Hieb- und stichfest. Streitsonette, Reinecke & Voß, Leipzig 2012

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