Zwei Welten

Zwei Welten Die nächsten Tage versuchte ich uns eine einigermaßen gemütliche Wohnung zu schaffen. Den Vergleich mit unserer ehemaligen Wohnung in Italien hielt sie nicht stand, die war viel schöner eingerichtet gewesen. Ich musste lernen, mit dem was ich hatte zufrieden zu sein.
Der Weg zur KiTa und zur Kinderkrippe war nun nicht mehr so weit, aber quer durch die ganze Stadt zu fahren war auch sehr zeitintensiv, zeitlich gesehen hatte ich da kaum Vorteile.
Dafür waren mir aber jetzt die Betreuungsplätze für die Kinder sicher, denn wir hatten ja nun den geforderten Wohnsitz in Stuttgart.
Die Kinder fühlten sich auf Anhieb wohl in unserer neuen Wohnung, ihnen war es egal, ob wir neue oder alte Möbel hatten.
Gleich nebenan wohnte eine blonde Schönheit. Ina war 3 Jahre älter als ich - und ebenfalls alleinerziehende Mutter zweier Kinder. Sie hatte 2 Söhne, die im gleichen Alter wie meine beiden Kinder waren.
Es war richtig schön, neben einer "Leidensgenossin" zu wohnen. Ina kam ursprünglich aus Paderborn. Sie war geschieden, ihr Exmann war Gynäkologe in einer Klinik in Paderborn gewesen. Nach der Scheidung verliebte sie sich in einen Schwaben und folgte ihm nach Stuttgart. Leider ging diese Beziehung nach ein paar Monaten wieder in die Brüche und sie stand alleine da. Sie wollte nicht wieder zurück nach Paderborn, ihr gefiel es in Stuttgart und so suchte sie eine Wohnung und landete in dem Terrassenhaus, in das ich ebenfalls eingezogen war. Sie war also eine ehemalige "Frau Doktor", hatte keine Ausbildung, hatte noch nie gearbeitet. Bis dato hatte sie es auch noch nie nötig gehabt. Sie bekam vom Sozialamt das Geld für ihren Lebensunterhalt und es fiel ihr sehr, sehr schwer, mit dem wenigen Geld auszukommen. So war sie immer auf der Suche nach ihrem reichen Traumprinzen, der sie aus dieser für sie unerträglichen Situation herausholen würde.
Zwei Welten knallten aufeinander. Sie, die Luxusbiene, die Sozialhilfe bezog und trotzdem wöchentlich zur Kosmetikerin ging (wie sie das finanziert hat, weiß ich bis heute noch nicht), nur Markenklamotten trug und immer topmodisch gekleidet und sehr gepflegt war. Und ich, die graue Maus, die täglich arbeiten ging, aber trotzdem nicht mehr Geld hatte als sie. Seit ich aus Italien zurück war hatte ich mir noch nichts Neues zum Anziehen gekauft, es war finanziell einfach nicht drin.
Und trotzdem verstanden wir uns prima. Ina war ein sehr geselliger Mensch und hatte mich gerne um sich. Ich war wesentlich öfter bei ihr zu Gast als sie bei mir. Ich glaube, in meiner einfachst ausgestatteten Wohnung fühlte sie sich nicht sonderlich wohl. Ich mich bei ihr dafür aber umso mehr, denn sie hatte eine toll eingerichtete Wohnung, die mir sehr gefiel.  Die Kinder verstanden sich auch sehr gut und spielten gerne miteinander.
Fast jedes Wochenende kam Ina's Bruder zu Besuch. Er leistete zu der Zeit seinen Grundwehrdienst in Landsberg/Lech, da war es besser, an den Wochenenden nach Stuttgart zu fahren als nach Paderborn. Er hatte auch eine Freundin in Stuttgart. Wenn er da war, dann nutzte Ina die Abende, um auszugehen. Dafür hatte ihr Bruder bei ihr sturmfreie Bude. Einzige Bedingung: er musste für die Kinder da sein, falls die aufwachen würden.
Ina schlug eines Tages vor, dass ich mit ihr gemeinsam ausgehen sollte. Ihr Bruder hatte sich dazu bereit erklärt, auch auf meine Kinder aufzupassen. Viel würde er nicht zu tun haben, denn wir würden erst das Haus verlassen, wenn die Kinder bereits schliefen. Erst wollte ich nicht, ich konnte mir das einfach nicht leisten. Aber sie leistete hervorragende Überzeugungsarbeit und erzählte mir, dass sie nie Geld ausgeben würde, wenn sie ausging. Sie fand immer einen interessierten Gönner, der ihr den Abend bezahlte. Irgendwie wurde ich neugierig und irgendwann sagte ich dann doch ja. Gemeinsam inspizierten wir meinen Kleiderschrank. Doch keine meiner Klamotten hielt vor Ina's kritischen Augen stand. Wenn ich schon mit ihr ausgehen würde,dann sollte ich auch zu ihrem Erscheinungsbild passen, mit diesen "Fetzen"  könne sie mich unmöglich mitnehmen.
Dann ging sie in ihre Wohnung und kam kurz darauf mit einem Arm voller Klamotten wieder. Sie sagte, das wären Teile, die sie selbst nicht mehr anziehen würde, wenn sie mir passen würden, dann könne ich sie behalten. Es waren teure Markenklamotten, die ich in meinem Leben noch nie getragen hatte und ich war hin und weg. Damals hatte ich noch einige Kilos weniger wie heute und tatsächlich - die Sachen passten mir und ich sah darin auch richtig gut aus.
Dann machte sie sich an meinen Haaren zu schaffen und schminkte mich. Ich erkannte mich selbst kaum wieder, aber es gefiel mir, was ich da im Spiegel sah.
Gegen 22 Uhr - die Kinder schliefen längst tief und fest - verließen wir unser Zuhause und machten uns mit meinem alten, klapprigen Auto auf in die Stadt. Ina kannte die Örtlichkeiten sehr genau. Sie wusste, wo sich die Reichen und Schönen aufhielten, kannte die Szenenlokale. Und genau da führte sie mich hin. Vorher aber musste ich mein hässliches Auto weit entfernt parken, damit uns niemand daraus aussteigen sah.
Dann betraten wir das erste Lokal. Es war eine Bar, an der sich lauter sehr gut gekleidete Menschen angeregt unterhielten. Im Hindergrund lief schmeichelnde und untermalende Musik. Alles war in weiß gehalten, die Bar, die Hocker, der Boden, die Wände, an denen Bilder der Modernen Malerei hingen. Alles wirkte auf mich sehr stylisch. Die Frauen sahen aus wie aus dem Modejournal entstiegen und die meisten Männer hatten einen Anzug an, eine Jeans suchte man hier vergebens.
Ich fühlte mich nicht wohl. Vom ersten Moment an fühlte ich mich in diesem Ambiente nicht wohl. Das war nicht meine Welt, das war eine unbekannte Welt, in der ich mich klein fühlte und mir wie ein hässliches Entlein vorkam, da konnten auch die Klamotten und das Makeup nichts daran ändern.
Ina hingegen blühte von dem Moment an, an dem sie ihren Fuss über die Schwelle gesetzt hatte, richtig auf. Sie ging aufrecht, selbstbewusst und freundlich lächelnd durch das Lokal, grüßte hier, grüßte dort. Man kannte sie, viele winkten ihr zu und grüßten zurück. Sie kam nicht dazu, ihren Mantel auszuziehen, denn sofort stand ein Gentleman auf, half ihr aus dem Mantel und hängte ihn für sie an die Garderobe. Notgedrungen half er auch mir aus Höflichkeit dabei, seine ganze Aufmerksamkeit aber konzentrierte sich auf Ina. Ina stellte mich als ihre Freundin vor und ich wurde auch freundlich, aber oberflächlich begrüßt. Kaum waren wir an der Bar angelangt, da rückte der nächste Bewunderer Ina den Barhocker zurecht und fragte sie, was sie denn trinken wolle. Ein Glas Champagner sollte es sein und ohne mit der Wimper zu zucken bestellte ihr Fan ihr das teure Getränk, für mich gleich ein Gläschen dazu, das gehörte  sich wohl so in diesen Kreisen. Das erste Mal in meinem Leben trank ich Champagner... und fragte mich, was die Leute so toll daran fanden, ich wusste dieses edle Gesöff einfach nicht zu würdigen.
Ina wurde den ganzen Abend umworben, viele Männer versuchten mit ihr zu flirten. Innerhalb der nächsten halben Stunde entschied sie sich für einen ihrer Bewunderer. Von diesem Moment an ignorierte sie all die anderen schmachtenden Männer und konzentrierte sich ganz auf diesen einen Mann. Anfangs frage ich mich, nach welchen Kriterien sie sich ihre Favoriten aussuchte. Später bemerkte ich, dass es meist der Beruf war, der für oder gegen einen der Kandidaten sprach. Ein Cheflektor eines Verlags verdiente mehr als ein gerade diplomierter Maschinenbau-Ingenieur, der Geschäftsführer eines pharmazeutischen Unternehmens fuhr einen dickeren Mercedes als der Abteilungsleiter einer Bank.
Keiner der Männer interessierte sich für mich. Man unterhielt sich höflich mit mir, weil ich Ina's Begleitung war. Keiner kam auch nur auf die Idee, mit mir zu flirten. Einerseits war das gut so. Ich war so eingeschüchtert, ich hätte mich sicherlich nur blamiert. Andererseits tat es meinem Selbstbewusstsein nicht gut, dass Ina mit Aufmerksamkeit und schmachtenden Blicken geradezu überschüttet wurde, während man von mir kaum Notiz nahm.
Für Ina verlief der Abend "erfolgreich". Sie verabredete sich mit einem gut situierten Geschäftsmann für den nächsten Abend. Sie lud ihn einfach so zu sich zum Abendessen ein.
Am frühen Morgen gegen 4 Uhr fuhren wir wieder nach Hause. Ina war zufrieden und freute sich auf den nächsten Abend. Auf der Heimfahrt gab sie mir pausenlos Tipps, wie ich mich besser in Szene setzen sollte, damit die Männer auch auf mich aufmerksam werden würden. Aber je mehr sie auf mich einredete, desto mehr sträubte sich alles in mir. Das war ich nicht. Das wollte ich nicht. Und das sagte ich ihr auch. Ich sagte ihr, ich würde sie gerne ab und zu begleiten, aber ich würde nicht versuchen, auf diese Art und Weise mir einen Mann zu angeln. Ganz ehrlich, ich konnte mir auch keinen dieser Männer in meiner einfachst eingerichteten Wohnung vorstellen, das würde einfach nicht passen.
So blieb es dann auch. Ab und zu begleitete ich Ina auf ihren Trips. Nie ging sie nach Hause ohne ein neues Date. Viele Männer sah ich bei ihr ein und aus gehen.Doch keiner blieb bei ihr. Oft weinte sie sich deswegen bei mir aus. Sei begriff nicht, warum die meisten Männer ein paar Mal mit ihr schliefen, sie danach aber sitzen ließen. Sie tat mir wirklich leid, denn sie wurde oft enttäuscht.
Eines Tages passierte genau das, was sie eigentlich immer vermeiden wollte. Sie verliebte sich in einen Amerikaner, der einen etwas höheren Rang in der US Army hatte, aber sicher nicht zu den reichen und erfolgreichen Männern gehörte, die sie sich sonst aussuchte. Lange kämpfte sie mit sich. Dann gewann die Liebe und sie folgte ihm zuerst nach Marokko, dann in die USA. Die beiden bekamen noch einen gemeinsamen Sohn und nach meinem Wissensstand sind sie heute noch zusammen.
Ich vermisste sie sehr. Auch wenn wir sehr unterschiedlich waren, wir hatten uns sehr gemocht. Wir waren zwei Frauen, die eine Zeit lang ein ähnliches Schicksal hatten und uns in dieser Zeit auch gegenseitig unterstützten und füreinander da waren.
Durch sie hatte ich wenigstens ab und zu etwas Abwechslung in meinem Alltagseinerlei gehabt. Nach ihrem Wegzug war das nicht mehr so und ich war wieder ein Stückchen einsamer geworden.

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