Zwei Herren, die Liebe und ziemlich viel Verwirrung: Kevin O’Days „2 Gents“ im Mannheimer Nationaltheater

Gerade erst ist bekannt geworden, dass Mannheims Ballettintendant Kevin O’Day zum Ende der nächsten Spielzeit das Nationaltheater verlässt. Hintergrund des Abschieds ist die Dauer seiner Anstellung in Mannheim. Seit 2002 leitet er die Ballettsparte am Nationaltheater, seit der Reform des Hauses 2013 trägt er sogar den Intendantentitel, aber nach fünfzehn Jahren würde er einen Unkündbarkeitsstatus erreichen. Die Verantwortlichen sprechen nicht zu Unrecht von der künstlerischen Notwendigkeit des Wandels, und O’Day selbst verspricht dem Mannheimer Publikum eine „spannende Abschiedsspielzeit“. Nach dem Einschlag dieser Nachricht wirkt die Premiere von „2 Gents“, dem Abschluss seiner Shakespeare-Trilogie, beinahe wie eine erste, spielerisch leichte, augenzwinkernde Abschiedsparty.

Valentine und Silvia

Malthe Clemens (Valentine) und Julia Headley (Silvia). Copyright: Christian Kleiner

Ein Handlungsballett auf Shakespeare-Basis, eine Jazzband im Orchestergraben, eine Titelrolle im Tennisdress und vor allem: keine Spitzenschuhe auf der Bühne. Das sind die Zutaten zu der Adaption der frühen Shakespeare-Komödie „Zwei Herren aus Verona“, die Kevin O’Day im Opernhaus zu einem unterhaltsamen Ganzen mixt. Der Amerikaner ist bekannt für das Auslassen des klassischen Balletts, für körperbetonten zeitgenössischen Tanz. Und auch die Umsetzung von Shakespeare-Stücken ist nicht neu in seinem Repertoire. Bereits 2008 inszenierte er „Hamlet“ für das Stuttgarter Ballett, und jetzt also in Mannheim die Trilogie, deren erste beide Teile „Romeo und Julia“ und „Othello“ bereits erfolgreich aufgeführt und gefeiert wurden. Dass er sich zum Abschluss den leichten Stoff einer Komödie ausgesucht hat, verwundert erst mal. Komödien gelten ja gerne mal als künstlerisch zweitrangig, weniger anspruchsvoll. Bei denen des großen Altmeisters aus England ist das ein bisschen anders. Die hohe Kunst der Shakespeare-Komödien liegt allerdings in ihrer Sprache, der feinen Ironie, den ernsten Anklängen. Dieses Ausdrucksmittel steht dem Ballett nicht zur Verfügung, das ist zunächst einmal einfach festzustellen. Im Idealfall gelingt es den Tänzern, es in die Sprache der Körper zu übersetzen.
Für die musikalische Begleitung arbeitet Kevin O’Day zum wiederholten Mal mit Thomas Siffling zusammen. Siffling ist Jazztrompeter und gilt als einer der führen Köpfe der jungen deutschen Jazzszene. Dabei ist er ein Freund des „Crossover“ und verschmilzt den Jazz gerne mit Pop und Elektro. Für „2 Gents“ hat er eine für seine Verhältnisse relativ große Band von neun Musikern zusammengestellt und die Musik komplett selbst komponiert. Dabei musste er ländliche Tanzszenen, innige Pas de Deux und den typischen Aufruhr am Ende eines Shakespeare‘schen Verwechslungsstücks umsetzen und miteinander in Verbindung bringen. Klare Leitlinie dafür ist die Handlung, die der Bandleader selbst dankenswerterweise im elisabethanischen Duktus vorträgt, bevor sich der Vorhang zum ersten Mal hebt. So hat auch der unvorbereitete Zuschauer die Chance, dem Geschehen zu folgen.
Alles beginnt im ländlichen Raum, vor dessen Hintergrund die Freundschaft der „2 Gents“ Valentine und Proteus sowie die Liebe von Proteus zu Julia vorgestellt wird. Die Freunde zieht es in die Stadt – zunächst nur Valentine, der dort klassisch sein Glück sucht, später auch Proteus, der durch ein erstes Missverständnis mit Julia entzweit wird und deshalb dem Freund folgt. In der Stadt verlieben sich beide natürlich in Silvia, die schöne Tochter des Grafen, der in Mannheim – so weit der lokale Bezug – ein Graf von Kurpfalz ist. Proteus versucht Silvia dem Freund auszuspannen und hintertreibt die Verbindung der beiden. Dann gibt es noch die üblichen Gefolgsmänner Speed und Launce, den typischen Narren Thurio, der ebenfalls hinter Silvia her ist, und eine Räuberbande, die für das nötige Durcheinander, aber letztlich auch für die Auflösung sorgt.

Valentine gerät unter die Räuber

Valentine gerät unter die Räuber. Copyright: Christian Kleiner

Musikalisch ist das alles gut umgesetzt, und die plakative Kostümierung steht im Kontrast zu einem dezent-harmonischen Bühnenbild. Der Paartanz insbesondere bei Malthe Clemens (Valentine) und Julia Headley (Silvia) wirkt leicht und facettenreich, ästhetisch ansprechend, und am interessantesten ist die Szene getanzt, in der Valentine in die Hände der Räuber gerät. Beinahe burlesk und unterhaltsam sind die Auftritte der an die Disneyschen Dalton-Brüder erinnernden Räuber, sodass es nicht verwundert, wenn sie am Ende ihre Mützen und angeklebten Schnurrbärte abnehmen und als Frauen mit offenen Haaren weitertanzen dürfen.
Nachdem der erste Akt beinahe schon langatmig ausgedehnt wirkt und sich schwelgerisch einigen Solo-Partien hingibt, zieht im zweiten Akt das Tempo deutlich an. Die Handlung wird vorangetrieben, und es muss einiges an Verwirrspiel aufgelöst und an Fäden wieder zusammengebracht werden. Der Kern des Originalstücks, wie er in der gängigen Interpretation gesehen wird, ist die Frage nach der Gewichtung von Freundschaft und Liebe: Was davon ist wichtiger? Im Stück finden die Paare (wieder) zusammen, die Freunde kaum und nur durch ein leichtes Schulterklopfen angedeutet. Proteus, der sich im Stück eher als falscher Freund zeigt, wird allein durch seine Rückbesinnung auf Julia in sprichwörtlich letzter Minute rehabilitiert. Gibt O’Day also in seiner Interpretation der Liebe den Zuschlag? Nun muss ja ein Choreograf nicht zwingend die Aussage einer Vorlage eins zu eins umsetzen. Es ist durchaus legitim, daraus etwas Eigenes mit einem eigenen Kern zu stricken. Die Aussage ausgerechnet in einem Ballett zu finden, auch wenn es ein „Handlungsballett“ sein soll, ist wiederum nicht ganz einfach. Lebt nicht gerade der Tanz von der Andeutung, dem Flüchtigen, dem ästhetischen Moment, den jeder Zuschauer für sich selbst füllen kann und muss? Vielleicht sollte man „2 Gents“ also einfach als das nehmen, was es ist: eine locker-leichte Komödie, ein großer Spaß, der vor allem gut unterhalten soll und alles nicht so ernst nimmt. Und das ist dann vielleicht gar nicht mehr so weit entfernt von dem, was man auch in Shakespeares Originalkomödien zwischen den Zeilen finden mag. Aber wer weiß das schon so genau?


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