Erich kommt alleine nicht mehr zurecht. Der über 80-Jährige will sich jedoch nicht eingestehen, dass ihm alltägliche Dinge schwerer fallen. Weiterhin verliert er sich immer häufiger in Tagträumen, erinnert sich an seine Vergangenheit in Sibirien. Schlimmer noch: Er kann auch seiner großen Leidenschaft, der Baumforschung, keine großen Dienste mehr leisten. Dabei ist es das, was er liebt. So sehr, dass er einen eigenen Wald im Schlafzimmer züchtet. Er weiß, was seine Tochter Irina von ihm denken würde, wenn sie von den Bäumen erfährt. Doch zwischen den Bäumen fühlt Erich sich verstanden, geborgen und frei. Und kann für einen Moment vergessen, dass er auf Hilfe, die er nicht will, angewiesen ist.
Die eigenwillige Katharina zieht in die Wohnung gegenüber ein. Vielmehr ist es eine Bruchbude ohne Strom und Wasser. Wie Erich fühlt sich die 17-Jährige allein gelassen und unverstanden und ist deswegen von Zuhause weggelaufen. Sie schämt sich für ihre Mutter und vermisst ihren Vater, der für Arbeit nach Sibirien gegangen ist.
Erich und Katharina verbünden sich, denn sie sind viel mehr als nur Nachbarn. Beide sind einsam und isoliert. Sie haben den Halt verloren, wie Betrunkene Bäume. Um nicht umzukippen, versuchen beide, sich gegenseitig Halt zu geben. Das schaffen sie jedoch nur für eine begrenzte Zeit.
Betrunkene Bäume von Ada Dorian ist ein traurig-schöner und ruhiger Debütroman. Die Geschichte erweckt keine großen Gefühle der Ergriffenheit, dennoch schafft Dorian es zu vermitteln, wie sich beide Figuren fühlen. Die Charaktere sind gelungen, überaus natürlich und authentisch. Trotz verschrobener Eigenarten liebenswürdig und so interessant, dass man weiterlesen möchte. Auch kommt trotz der ereignisarmen Handlung keine Langeweile auf. In Rückblenden erzählt Dorian von Erichs früherem, glücklicherem Leben, als er noch in Sibirien Bäume erforschte, ohne jedoch zu viel zu verraten. Es bleibt viel Raum für eigene Gedanken.
Mit Betrunkene Bäume liefert Ada Dorian einen wunderbaren, einfühlsamen Roman, der von Liebe und Freundschaft, Einsamkeit und Isolation, Unabhängigkeit und Freiheit handelt.
Ada Dorian: Betrunkene Bäume. Ullstein. 272 Seiten. 18 Euro.