Zur gedachten Vertreibung

Wir brauchen einen Gedenktag für Heimatvertriebene, meint Seehofer derzeit. Nicht irgendwann, sondern jetzt - kippt er als Motiv nach. Für wen der gelten soll, gibt er derweil nicht bekannt. Ob er wohl Zahlen liefern kann, wieviele deutsche Vertriebene aus Osteuropa es noch gibt? Die meint er nämlich! Und wieviel von denen sind denn eigentlich persönlich vertriebene Vertriebene? Zählt er die Vertriebenen in zweiter Generation, die nur die sentimentalen wie traurigen Erzählungen der Eltern kennen, auf der Flucht aber noch gar nicht existent waren, auch mit? Doch was heißt das schon! Steinbach, Obervertriebene, war selbst dabei auf der Flucht vor den Kommunisten. Sie wurde aus jener Heimat vertrieben, die ihr Vater vorher als Wehrmachtssoldat für seine Familie besetzt hatte - dafür will sie Gedenktag und Entschädigung. Seehofer pflichtet indes dem Gedenktag grundlos bei.
So viele Vertriebene...

Der Mann liegt aber womöglich gar nicht falsch. Wir sollten uns als Gesellschaft an die Vertreibung aus der Heimat erinnern müssen. Der Verlust der Heimat ist doch tatsächlich einer der gravierendsten Brüche, die man als Mensch erleben kann. Sie ist sprichwörtlich der Entzug des Fundaments. Wir sollten daher an jene denken, die dieses Schicksal erlitten haben. An manchen Ostdeutschen, der seine Heimat verlassen musste, weil die einziehende Marktwirtschaft dort keine Nachfrage nach ihn entfachte. Oder an all die Wanderarbeiter, die zu Sklaven des Arbeitsmarktes flexibilisiert wurden und ihre Heimat aufgeben mussten. An Erwerbslose, die im Zuge der Zumutbarkeit jeder Arbeit, aus ihrer Heimat vertrieben wurden. Oder da sind noch die vom Fluglärm vertriebenen Autochthonen - oder aus Wohnungen und gar Stadtvierteln geworfene Hartz IV-Empfänger...
Der hiesige Kapitalismus vertreibt aus Heimaten. Nicht nur der Kommunismus, der überdies ja als Reaktion auf den Nationalsozialismus vertrieb. Der Kapitalismus macht heimatlos - er lobt und empfiehlt niemanden aus seiner Heimat weg: er vertreibt gnadenlos, er verscheucht und verjagt. Ohne Soldateska, ohne Pogrom - er tut es mit Perfidie, raubt Infrastruktur, stiehlt Lebensgrundlagen, verunmöglicht Verdienstmöglichkeiten; er erhebt Effizienz und Fortschritt, Rentabilität und Profitismus zu absoluten Ideen, neben denen der Mensch keinen Bestand hat.
... und noch mehr Vertriebene...
Es war schwierig für die Deutschen, die aus Polen und der Tschechoslowakei kamen. Die Heimat verloren zu haben, in der Fremde nicht gerade mit offenen Armen empfangen worden zu sein, das tat ihnen weh. Dass auch die zweite Generation, die unter der Vertreibung nicht direkt litt, ebenso davon geprägt war, wenn die Eltern mit glasigen Augen in die Vergangenheit entflohen, das kann man sich denken. Sich dieses schwerwiegenden Verlustes in Gedenken stellen zu wollen, das ist nicht zu beanstanden - ob man allerdings entschädigen soll, steht auf einem anderen Blatt. Hier soll nicht darüber sinniert werden, ob man Kindern sudetendeutscher Flüchtlinge Entschädigungen zahlen sollte. Auch nicht zu viel Wort darüber, dass im Sudetenland besonders fanatische Nazis lebten; dort wurde ja auch eine Trauerfeier für den gefallenen Führer abgehalten, wie Hans-Jürgen Eitner zu berichten wusste - auch das soll nicht Gegenstand sein. Hinweisen sollte man darauf aber schon. So wie darauf, dass die Vertreibung aus diesen Gründen natürlich nicht zimperlich ablief - aber deshalb gleich entschädigen und somit falsche Impulse aussenden?
Gedenken wir dann eigentlich auch jenen Europäern, die durch Deutschlands neoliberale Europapolitik aus ihren Heimatländern vertrieben wurden? Den Griechen, denen die Basis für eine Zukunft gestohlen wird? Ist es nicht auch eine Art von Heimatvertreibung, wenn man Menschen in den Selbstmord treibt? Ist das nicht auch eine Form der Flucht aus der Heimat? So wie damals auch Deutsche den Selbstmord wählten - wie manche Juden sich schon Jahre zuvor töteten, weil sie sich der deutschen Kultur zugehörig fühlten und weil sie aus diesem Kulturkreis vertrieben wurden? Überhaupt die Juden! Soll man an die nicht auch denken an so einem Tag? Waren sie nicht auch Heimatvertriebene, ehe die Mehrzahl von ihnen auch noch von dieser Erde vertrieben wurden?
 ... und gedachte Vertriebene
So viele aus der Heimat vertriebene Gruppierungen - fraglich nur, warum diese eine Gruppe von deutschen Heimatvertriebenen glaubt, sie hätte einen alleinigen Anspruch auf Mitgefühl und Andenken. Ein solcher Gedenktag ist nicht grundsätzlich falsch. Aber ihn auf Initiative des mittlerweile fadenscheinigen BdV hin zu fordern, der heute für eine verquere Blut- und Bodenideologie steht, ohne sich der historischen Verantwortung stellen zu wollen, das ist mehr als bedenklich. Zumal der BdV auch solche "Vertriebene" vertritt, die sich ihre Vertreibung nur gedachte oder erdacht haben - die Vorsitzende Steinbach ist das Paradebeispiel hierfür...
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