Zunahme von Kinderlähmung durch CIA

Es war wohl nicht geplant, eher bodenloser Leichtsinn. Aber es lässt sich nicht leugnen, dass die Vorgehensweise der CIA die Ausbreitung von Poliomyelitis in Pakistan und anderen Ländern begünstigt

Zunahme von Kinderlähmung durch CIA

Typische Poliohaltung – Bild: Werner G.T.

Pakistan, irgendwo im Punjab- Tal. Als die junge Mutter auf das Klopfen hin die Haustüre öffnet, sieht sie sich zwei freundlich lächelnden Europäern gegenüber. Die Besucher stellen sich als Ärzte vor. Sie sind gekommen, um ihr Kind vorbeugend gegen Kinderlähmung zu impfen. Die junge Mutter lehnt ab, trotz eines tiefen Gewissenskonflikts, denn sie ist stark verunsichert durch die Skandale der vergangenen Jahre. Mittlerweile hält sie es sogar für unverantwortlich, Kinder den Händen ausländischer Ärzte anzuvertrauen. Begonnen hatte alles in Lahore, der Hauptstadt der pakistanischen Provinz Punjab.

Nachdem dort mehr als 120 Menschen an einer allergischen Reaktion auf das angebliche Herzmedikament Isotab gestorben waren, stand die ganze Region unter Schock. Wie sich bei späteren Labortests herausstellte, enthielt das tödliche Präparat in Wirklichkeit das Malariamittel Pyrimethanin und das in aberwitziger Dossierung. Jeder einzelne der Tabletten enthielt das Vierzehnfache der empfohlenen Wochendosis. Ein wahrhaft tödlicher Cocktail. Die Tabletten waren in Karachi hergestellt und über das staatliche Punjab Institute of Cardiology an die Patienten ausgegeben worden. Das Vertrauen in das pakistanische Gesundheitssystem war seither erschüttert. Auch das Vertrauen der jungen Mutter.

Die pakistanische Gesundheitsbehörde ist frustriert. Die Rückschläge der letzten Jahre hatten die Aussicht auf ein poliofreies Pakisten zunichte gemacht. Immer wieder hatten islamische Sekten die Polioimpfung verteufelt. Sie sei unsicher, so hieß es aus religiösen Kreisen- und mache unfruchtbar. Es hatte Jahre gedauert, die verantwortlichen Geistlichen umzustimmen und für die gute Sache zu gewinnen. Die Religiösen Führer und Stammesgeistlichen hatten sich zuletzt sogar dazu bereit erklärt, im Sinne moderner Medizin Aufklärungsarbeit zu leisten und öffentlich zu erklären, dass der rettende Impfstoff weder lebensgefährlich sei, noch aus verbotenen Substanzen bestünde und zudem nicht unfruchtbar mache. Die Chancen standen seither gar nicht schlecht, die Poliomyelitis in diesem Teil Südostasiens und weltweit ein für allemal auszurotten, ein Unterfangen, dass bisher nur bei den Pocken geglückt war. Im Grunde war die heimtückische Erkrankung in Pakistan bereits so gut wie besiegt. Die jährlich gemeldeten Fälle waren von 20.000 auf lediglich 30 abgesunken. Dies sollte sich nun ändern.

In den frühen Morgenstunden des zweiten Mai 2011 war von US- Navy Seals ein alter Mann in seinem Haus im pakistanischen Abbotabad erschossen worden. Dabei soll es sich laut Angaben der US- Regierung um eine Person gehandelt haben, die bereits lange als tot galt, Osama Bin Laden. Wer auch immer von den Soldaten getötet worden war, die Folgen sollten nicht ausbleiben. Dem Killerkommando vorangegangen war eine bislang einzigartige geheimdienstliche Aktion der CIA. In deren Auftrag hatte der pakistanische Arzt Dr. Shakil Afridi zuvor in einer vorgetäuschten Impfkampagne DNA- Proben von den Bewohnern Abottabats gesammelt und an die CIA weitergereicht. Diese war angeblich fündig geworden, was letztlich den Mordauftrag erst ermöglichte. Dr. Shakil Afridi war später für diesen Verrat an der Gesundheit der Pakistanis zu 33 Jahren Haft verurteilt worden. Ganz Pakistan war außer sich, die diplomatischen und militärischen Beziehungen zwischen Pakistan und den USA waren daraufhin von pakistanischer Seite eingefroren worden.

Die vermeintliche Impfkampagne der CIA hat das Vertrauen der islamischen Welt in westliche Gesundheitskampagnen empfindlich beschädigt. Wie der Präsident der Organisation ‘Ärzte ohne Grenzen’ Unni Karunakara gegenüber der britischen Zeitung Guardian bekannte, hätten die CIA- Methoden „weltweit zu einer Gefährdung lebensrettender Impfkampagnen geführt.“ Ein weiterer Punkt erschwert die Sache zusätzlich. Der Impfstoff, der in Pakistan als Schluckimpfung verabreicht wurde, ist ausgesprochen empfindlich gegenüber Temperaturschwankungen. Und das ist in einem Land wie Pakistan tödlich für ein derartiges Präparat. Mueen Ahmed, Reporter beim Fernsehsender Geo TV, sieht die Medien in der Pflicht: “Wenn die Regierung die Impfungen von ungelernten Helfern durchführen lässt, die weniger als fünf US-Dollar pro Tag erhalten, und die Medikamente unter freiem Himmel lagern – wie können die Medien dann still bleiben?”

Durch die oftmals verdorbenen Präparate stieg die Zahl der Erkrankungen wieder an und das gerade bei den Geimpften. Im Jahr 2010 waren in Pakistan 136 Kinder an Polio erkrankt. Darunter 107 Kinder, die bereits mehrfach geimpft worden waren. Die ‘Global Polio Eradication Initiative’ (GPEI), deren Ziel in der weltweiten Ausrottung der Kinderlähmung besteht, gab alarmiert bekannt, dass dies die höchsten Zahlen seit 2006 seien. Das Poliovirus ist nach Angaben der WHO in größerem Umfang lediglich noch in Pakistan, Afghanistan und Nigeria verbreitet. Doch nun beginnt die Krankheit sich erneut auszubreiten und sich dabei sogar auf bislang poliofreie Gebiete auszuweiten. Laut Greenpeace wurden im Jahre 2011 wieder Fälle gemeldet aus dem Tschad, der Afrikanischen Demokratischen Republik Kongo, aus Angola, Bangladesh, Nepal, Tadschikistan und China.

Dabei ist es extrem aufwendig und teuer, einen Ausbruch wieder unter Kontrolle zu bekommen. So war im Jahre 2006 in Kenia erstmals seit 22 Jahren ein neuer Polio- Fall gemeldet worden. Um eine erneute Ausbreitung zu verhindern, musste das ohnehin schon arme Land 10 Millionen Dollar einsetzen. Durch die hohen Kosten, die mit seiner Eindämmung verbunden sind, breitet sich das Virus bevorzugt in ärmeren Ländern aus. Bruce Aylward, stellvertretender Generaldirektor der WHO in Genf, bekannte erst unlängst: „ Wir betrachten die globale Polio-Lage noch immer als alarmierend.“ Die GPEI hat daher zu Beginn dieses Jahres damit begonnen, einen Notfallplan umzusetzen. So hat die amerikanische Gesundheitsbehörde ‘Centers for Disease Control and Prevention’ (CDC) damit begonnen, ihr ‘Emergency Operation Center’ in Gang zu setzen. UNICEF tut dasselbe mit dem ‘Interdivisional Emergency Coordinating Committee’ und die WHO koordiniert Ihre Operationen neuerdings von seinem ‘Strategic Health Operations Centre’ aus. Derart drastische Maßnahmen sind gewöhnlich für globale Notfälle wie eine tödliche Pandemie vorbehalten. Der Kern des Planes sieht vor, den Impfschutz verstärkt auf die Länder Pakistan, Afghanistan und Nigeria auszudehnen, um das Wildvirus endgültig zu stoppen. Ob diese Länder trotz ihrer schlechten Erfahrungen mit dem Westen dennoch gewillt sein werden, auch weiterhin mitzuziehen, wird sich zeigen.

Quellennachweis und weiterführende Links:



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