Zum Urteil im Pussy-Riot-Prozess

Ein moskauer Gericht hat heute in einem live im Internet übertragenen Prozess drei junge Punkerinnen zu zwei Jahren Straflager verurteilt. Den Mitgliedern der Gruppe “Pussy Riot” wird “Rowdytum aufgrund religiösen Hasses” vorgeworfen. Jetzt bittet ausgerechnet die russisch-orthodoxe Kirche um Gnade für die sozial engagierten Musikerinnen; Dieselbe Organisation, die die drei Frauen soeben maßgeblich hinter Gitter gebracht hat. Dieses Urteil ist vor allem eine Warnung an alle Gegner von Präsident Wladimir Putin, dass die Zeit halbwegs freier Meinung in Russland wieder zu Ende ist.

Nadeschda Tolokonnikowa (22), Jekaterina Samuzewitsch (30) und Marija Aljochina (24) mögen das Urteil, das heute gegen sie gefällt wurde, erwartet haben. Sie blieben auch dann heiter-distanziert, als man sie zu 2 Jahren Straflager verurteilte. Dass die Frauen bislang noch nicht auffällig geworden seien, und dass zwei von ihnen kleine Kinder hätten, werde ihnen als mildernder Umstand angerechnet, verkündete die Richterin mit der Selbstgefälligkeit eines Regimes, das ganz offen so tut, als wende es rechtsstaatliche Methoden an. Dabei hatte es ganz offen und im Internet übertragen die Menschenrechte mit Füßen getreten: Die Verteidigung im “Pussy-Riot-Prozess” durfte keine Zeugen aufrufen, man verweigerte schlichtweg alle entlastenden Beweisstücke, ganz offen, ganz kaltschnäuzig. Drei junge Frauen mit einer eigenen Meinung und einem zugegeben provozierenden Auftreten verschwinden nun für 18 Monate in einem Straflager, eine Bezeichnung, die mich an die Sowjetunion denken lässt, und die sich auch nicht mit meinem Verständnis von Menschenrechten und humaner Gefangenschaft verträgt.

Ich kann mich noch an diesen Tag vor 21 Jahren erinnern, an diesen 19. August 1991, als die alten Sowjetkader gegen Michail Gorbatschow putschten und kurzfristig die Macht übernahmen. Vor allem der vitale, neu gewählte russische Präsident Boris Jelzin stellte sich ihnen entgegen, mutig für Demokratie, Freiheit und Menschenrechte eintretend. Er gewann. In diesen drei Tagen, bis der Putsch zusammenbrach und Jelzin begann, seine eigene Machtfülle zu vergrößern, war dieser Mann einfach nur ein Held. Ein Held, der Russland endlich auf den Weg zu echter Demokratie führen würde, davon waren viele Experten und Kommentatoren überzeugt. Zu unrrecht, wie sich bald zeigen sollte. Russland blieb auch nach dem Ende der Sowjetunion ein autoritärer Staat, musste sich gegen radikale innere Feinde behaupten, und das zarte Pflänzchen von Demokratie und Rechtsstaat konnte kaum aufblühen. Als Wladimir Putin im Jahre 2000 Präsident wurde, da nannte ihn der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder, ein Mann ohne jeden politischen Sachverstand, einen lupenreinen Demokraten. Putin festigte seine Macht schnell: Missliebige Zeitungen wurden geschlossen, ebenso Radiostationen, Oppositionelle verfolgt, ins Exil gezwungen und manchmal sogar umgebracht, auch wenn man es nicht beweisen konnte, wie im Falle der Journalistin Anna Politkowskaja. In ihrem Buch In Putins Russland schilderte sie 2005 die russische Demokratie unter Putin als „Konglomerat aus mafiosen Unternehmern, den Rechtsschutzorganen, der Justiz und der Staatsmacht.“ Das hat er ihr wohl nicht verziehen.

Und jetzt trifft es drei Punkerinnen. Natürlich haben sie Aufsehen erregt mit ihrem “Punk prayer” in einer moskauer Kathedrale, mit ihrer offenen und öffentlichen Kritik an Putin, mit der Bitte an die Gottesmutter, Russland von Putin zu befreien. Natürlich erregten sie Anstoß mit ihren bunten Kleidern in der Kirche und ihrem schrillen Gebaren. Aber das war auch ihr Ziel, und vermutlich wussten sie, dass es sie ins Gefängnis bringen würde. Das Urteil verletzt aber jede Verhältnismäßigkeit und ist maßlos und nichts als pure Einschüchterung. In Russland steht eine Form von Gotteslästerung unter Strafe, und die Anklage, maßgeblich durch die orthodoxe Staatskirche gestützt, verzichtete weitestgehend auf die Möglichkeit, die Frauen wegen kritik am Präsidenten zu verklagen. Stattdessen warf man ihnen Rowdytum und religiösen Hass vor. Man wollte nicht hören, dass sie eine politische Botschaft hatten, jedes Statement darüber wurde ihnen verwehrt. Nun hat man sie nach einem Schauprozess zu 2 Jahren Straflager verurteilt, um sie mundtot zu machen, und jede andere Opposition gleich mit, frei nach dem Motto: “Schlag einen und erzieh hundert.”

Weltweit hagelt es nun Proteste. Die deutsche Regierung nennt das Urteil unangemessen, einer Demokratie und eines Rechtsstaates unwürdig. Eine Profilierungspille für Politiker, die längst ihren eigenen Rechtsstaat mit Füßen treten und bei Bedarf missachten. Aber für das internationale Ansehen kann man ihn noch einmal aus der Schublade holen und aufpolieren.

Der Gipfel der Heuchelei ist jedoch, dass jetzt die russisch-orthodoxe Kirche, die die drei Frauen mit Hass verfolgte und im Prozess extrem scharf auftrat, um Gnade für sie bittet. Vermutlich wird dies ungehört verhallen, aber natürlich ist die Kirche das ihrem eigenen Image schuldig. Kurz zuvor hatte der offizielle Sprecher der Kirche noch mitgeteilt: “Gott vergibt keine Sünden, die nicht bereut werden … es ist eine anti-christliche Idee, anzunehmen, dass Gott alles vergibt.“ Die Kirche könne die Entscheidung des Gerichts nicht beeinflussen. Ein „Vergeben“ von Seiten der Kirche setze jedoch „Reue“ voraus.”

In Wahrheit geht es niemandem um die drei Frauen, sondern, wie so oft, um politische Profilierung. Dass sie, wie andere Mitglieder der Band Pussy Riot, soziale Projekte durchführen, sich um Jugendliche und andere Benachteiligte der russischen Gesellschaft kümmern, spielt keine Rolle. Sie bieten ein Ventil, und sie nehmen die ihnen von der Verfassung garantierten Rechte ernst. Unterstützt werden sie dabei von nationalen Künstlern und Wissenschaftlern, auch von Priestern und Menschenrechtlern. Auch internationale Künstler wie Sting und Madonna setzen sich öffentlich für die Freilassung der Punkerinnen ein. Der russische Vizepremierminister Dmitri Rogosin beleidigte daraufhin die amerikanische Sängerin Madonna auf Twitter mit den Worten: “Jede frühere b.” will “im Alter jedem moralische Lektionen erteilen, besonders bei Auftritten im Ausland.” Der Buchstabe B steht im russischen für das Wort “Hure”. In einem zweiten Tweet wandte sich Rogosin direkt an Madonna: “Leg’ das Kreuz ab oder zieh’ dir eine Unterhose an.”

Es überrascht kaum, dass inzwischen einige Berichte auftauchen, die behaupten, man habe die Frauen im Gefängnis erniedrigt, habe ihnen teilweise anständige Mahlzeiten an Gerichtstagen verweigert, ihnen an diesen Tagen auch den Zugang zu sanitären Einrichtungen erschwert oder gar unmöglich gemacht. Es passt zum Regime von Wladimir Putin, dem “lupenreinen Demokraten”.

Das Schlimmste nicht nur an diesem Prozess ist die Willkür, die Menschenverachtung, die offen gezeigte gnadenlose Kaltschnäuzigkeit. Wer das Regime von Wladimir Putin live im Internet bei seiner Machtausübung verfolgt, der braucht gar nicht mehr den Anschein von Demokratie und Menschenrechten zu erwarten, der muss sich nichts mehr fragen. Dass man sich leisten kann, einen solchen Schauprozess live zu übertragen, beweist, dass man davon überzeugt ist, dass auch die maßgeblichen Personen im Rest der Welt auf die Menschenrechte pfeifen. Das ist, neben der Grausamkeit, die nur exemplarisch ist für die Grausamkeit gegenüber vielen namenlosen Kritikern, die einfach so in Gefängnissen verschwinden, das Schlimmste, was mir von diesem Prozess in Erinnerung bleibt. Er verstärkt das Gefühl, dass Willkür überall ist, nicht nur im fernen Russland, und dass Medien, so privat sie auch sein mögen, uns nicht dagegen helfen und davor schützen werden.


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