Terrorismus ist ein “besonders schwerer Unglücksfall”

Fast täglich habe ich Gelegenheit zu beobachten, wie der friedlich verfasste demokratische Rechtsstaat, wie ihn die Utopie des Grundgesetzes etablieren wollte, ein Stück mehr zum Teufel geht. Die jüngste Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ist wieder so ein negativer Meilenstein auf dem Weg zur willkürlichen Auslegung einst eherner Verfassungsgrundsätze. Der Bundeswehr wird, scheinbar mit Einschränkungen, der militärische Einsatz im Innern des Landes erlaubt.

Was haben wir in den letzten Jahren und Jahrzehnten nicht schon alles hinnehmen müssen, wenn es um die Remilitarisierung Deutschlands ging: Atomwaffen innerhalb der Landesgrenzen, Notstandsgesetzgebung, Einsätze der Bundeswehr außerhalb des Landes und im Rahmen von NATO-Einsätzen, erst innerhalb, dann außerhalb des NATO-Gebietes, Einsätze im Rahmen der Vereinten Nationen, und jetzt, als Letztes, auch noch Einsätze im Innern, in dem den freien Bürgern mit ihren freien Meinungen bis dato verbliebenen Freiraum. Schon vor 40 Jahren, bei der Einführung der Notstandsgesetze, haben Einige diesen heutigen Tag kommen sehen. Der Bundeswehr wurde damals ein Einsatz im Innern unter strengen Auflagen gestattet: Bei Naturkatastrophen, besonders schweren Unglücksfällen, und bei der Abwehr von Gefahren für den Bestand des Bundes oder eines Landes, sowie für die freiheitlich-demokratische Grundordnung. Voraussetzung für einen militärischen Einsatz war jedoch immer, dass die Polizeikräfte eines oder mehrerer Länder sich mit militärisch organisierten und bewaffneten Aufständischen herumschlagen mussten. Dies hat das Bundesverfassungsgericht in einer Plenarentscheidung nun aufgeweicht, das heißt, dass sich alle Bundesverfassungsrichter zu dieser Entscheidung zusammengefunden haben. Nur ein Richter widersprach teilweise der Entscheidung, die den Einsatz der Bundeswehr und ihrer militärischen Kampfmittel im Innern nunmehr auch bei der Abwehr besonders schwerer Unglücksfälle “katastrophalischer Dimension” gestattet. Das Problem ist der Begriff “Unglücksfall”. Ein sprachlich normal begabter Mensch geht davon aus, dass es sich hierrbei um einen nicht willentlich und absichtlich herbeigeführten Unfall oder ähnliches handelt, das Bundesverfassungsgericht bezieht aber ausdrücklich bewusst herbeigeführte Unglücke mit ein, also zum Beispiel Terrorangriffe. Was genau ein Terrorangriff ist, bleibt natürlich oft dem Ermessen der handelnden Personen überlassen. Im konkreten Fall geht es um die Abwehr von Gefahren, die sich aus dem Luftverkehr ergeben. Also, wiedereinmal, das berühmt-berüchtigte Terrorflugzeug. Noch 2006 hatte das Verfassungsgericht den Abschuss eines Terrorflugzeugs durch die Bundeswehr als verfassungswidrig charakterisiert. Der Wortlaut und der Sinn dieser Entscheidung gelten immer noch, aber den Streitkräften und damit der Bundesregierung wird eine Hintertür geöffnet, die man juristisch ausschlachten kann. Wenn ein sogenanntes Terrorflugzeug sich bewohntem Gebiet nähert, dann steht der Eintritt eines Schadens im Sinne eines besonders schweren Unglücksfalles unmittelbar bevor. In einem solchen Fall darf die Bundeswehr eingesetzt werden. Ob sie das Terrorflugzeug abschießen darf, ob es eine Rechtfertigung für die Tötung der Insassen des Flugzeugs gibt, hält das Gericht offenbar bewusst offen. Die Union scheint nach dieser Entscheidung davon auszugehen, die Grünen und die FDP sind gegenteiliger Ansicht, die SPD hält die Entscheidung des höchsten deutschen Gerichts für zu schwammig und die Linkspartei für gefährlich. 5 Parteien, 5 Meinungen. Immerhin kann man die Entscheidung so auslegen, als sei der Abschuss sogenannter Terrorflugzeuge künftig der Bundeswehr gestattet, wenn keine andere Abhilfe mehr möglich ist, und wenn man irgendwie begründen kann, dass von dem Flugzeug eine Gefährdung für die Sicherheit, den Bestand oder die freiheitlich-demokratische Grundordnung des Bundes oder eines Landes ausgeht. Das sollte den Juristen der Bundesregierung nicht schwer fallen, zumindest eine Gefährdung der Sicherheit des Bundes oder eines Landes ist vermutlich irgendwie begründbar.

Und noch ein gefährlicher Aspekt: Zwar schließt die Plenarentscheidung des Bundesverfassungsgerichts einen Bundeswehreinsatz gegen eine demonstrierende Menge grundsätzlich und ausdrücklich aus. Aber wenn man begründen könnte, dass es sich bei den Demonstranten um militärisch agierende und bewaffnete Kräfte handelt, oder wenn man glaubhaft machen kann, dass von einer Massenbewegung die Gefahr für die Grundordnung des Bundes oder eines Landes ausgeht, dann ist plötzlich auch hier eine Möglichkeit für Kampfeinsätze eröffnet.

Das Problem ist, dass das Bundesverfassungsgericht diesmal die Verfassung nicht ausgelegt hat. Es hat nicht nach dem Willen des Verfassungsgebers geforscht und eine zeitgemäße Regelung getroffen, sondern es hat die Verfassung verändert und Dinge hineininterpretiert, die dort einfach nicht stehen. So hat es der hessische Staatsgerichtshof vor ein paar Jahren mit den Studiengebühren auch gemacht, die von der hessischen Landesverfassung ausdrücklich verboten wurden. Mit einem Winkelzuggutachten hat man sie dennoch für Verfassungskonform erklärt. Genau so macht man es nun mit den Kampfeinsätzen der Bundeswehr innerhalb der Landesgrenzen. Damit werden die Streitkräfte zum innerstaatlichen Machtfaktor, zum Instrument in der Hand der Bundesregierung und der sie tragenden Parteien, der Exekutive also und der mit ihnen verbandelten Lobbyverbände und Interessengruppen. Über Umwege, noch nicht unmittelbar, werden missliebige Meinungen künftig wieder durch die “bewaffnete Macht” bedroht. Wenn man bedenkt, wie das Verfassungsgericht die Hürden, die es selbst vor 6 Jahren aufgestellt hat, heute wieder einreißt, dann kann einem bange werden um den Rest Freiheit, der uns in diesem Land noch verblieben ist. Irgendwann könnte sie nur noch darin bestehen, dass der Bundespräsident sie oft im Munde führt, und zwar Als Einziger.

 

Die Plenarentscheidung des Bundesverfassungsgerichts im Wortlaut


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