Zuckersucht oder: Gefährliche Früchte

Zuckersüchtig. Der Begriff ploppt dieser Tage überall auf. Verbunden mit „Rohkost“. Weil ja, so heisst es, sehr viele Rohköstler zuckersüchtig seien. Wegen all der Früchte, die wir so essen. Und die Früchte, die sind ja gefährlich. Der viele Zucker darin. Besonders genau wissen das all die, die sich gar nicht rohköstlich ernähren. Sondern von gekochter Kost, vielleicht sogar reich an Weißmehl, Gluten, tierischen Produkten, künstlichen Zusatzstoffen – und Zucker. Isoliertem Zucker. Der, darüber sind wir uns vermutlich einig, sicher gefährlich im Sinne von gesundheitsschädlich ist. Und, ebenso wie Salz, suchterzeugend.

Zuckersüchtig … das sind wir als Menschen gewissermaßen alle. Von Geburt an. Denn Zucker ist unser Treibstoff. Natürlicher Zucker, in natürlicher (= an Bäumen, Büschen oder auf Feldern wachsender) Nahrung. Genossen als komplettes, frisches Nahrungsmittel, nicht in irgendwie isolierter oder konzentrierter Form.

Wir sind auf den süßen Geschmack geeicht; schon die Muttermilch schmeckt leicht süß. Und unser Instinkt signalisiert uns seit Urzeiten: süß = nahrhaft. Bei natürlicher Süße handelt es sich allerdings nicht um eine so ausgeprägte Süße wie z. B. in purem Honig. Natürliche, ursprüngliche Früchte, Beeren und Wurzeln schmecken viel leichter süß.

Moderne Früchte jedoch sind tatsächlich zum großen Teil sehr viel süßer. Gezüchtet auf gaumenschmeichelnde Süße sowie Größe und möglichst bequemes Essen (ohne Kerne). Noch in den 50er Jahrend des vergangenen Jahrhunderts hatte ein Apfel etwa 3-5 g Fructose; heute sind 20-30 g! (Ja, das gilt auch für Bio-Äpfel.)** Und zu den Zeiten unserer Urururahnen, die sich noch natürlich sammelnd ernährten, gab es Äpfel in der heutigen (oder der 50er Jahre-)Form noch gar nicht. Die auf hohen Zuckergehalt gezüchteten Früchte enthalten außerdem nicht nur im Verhältnis zu den enthaltenen Ballaststoffen & Mineralstoffen zu viel Fruktose sondern auch Succrose, die ursprünglich gar nicht darin enthalten war.

Insbesondere Trockenfrüchte (incl. getrockneter Datteln) empfehle ich, mit Vorsicht & vor allem in kleinen Mengen zu genießen. Zum einen handelt es sich bei vielen Trockenfrüchten um etwas, das so in der Natur gar nicht vorkommen könnte: Bananen z. B. oder Ananas verrotten schlicht, wenn sie nicht gegessen werden. Feigen hingegen trocknen auch am Baum ein. Getrocknete Früchte sind hochkonzentriert & extrem energiereich; den Beduinen reichte früher eine Handvoll Datteln für den ganzen Tag als Proviant auf ihren Wüstenreisen!

Ein achtsam & natürlich ernährter Körper gibt jedoch recht deutliche Signale, wenn sein Zuckerbedarf gedeckt ist bzw. verlangt eben auch nach Mineralien, nach nicht (so) süßer Nahrung. Nach nicht-süßen Früchten, grünen Blättern, Wurzeln, Kernen.

Für problematischer als den Zuckergehalt der Früchte halte ich die Tatsache, dass die allermeisten Früchte, die du in Mitteleuropa im Handel erhälst, deutlich unreif geerntet wurden! Unreif geerntete Früchte enthalten viel Säure, die über die Nieren ausgeschieden werden muss. Schaffen die so überforderten Nieren das nicht mehr, bleibt die Säure im Körper und verursacht Probleme mit Knochen und Zähnen.

Allerdings halte ich es für definitiv gesünder, frische Früchte zu essen, und auch gelegentlich kleine Mengen an Trockenfrüchten, als irgendwelche Industriezuckerprodukte, Supermarktsüßigkeiten, aber auch als süße Riegel, roh oder nicht, aus dem Bioladen!

Um noch einmal auf den Begriff der Zuckersucht zurückzukommen – selbst bei einem hohen Früchteanteil in der Ernährung scheint mir der Begriff der „Sucht“ für eine Vorliebe für süße Früchte im Rahmen einer bewussten, natürlichen, achtsamen Ernährung nicht angemessen. Süchtiges Verhalten ist das Gegenteil von bewusstem Verhalten; bei einer Sucht handelt jemand unbewusst, aus einem Zwang heraus. Er isst z. B. Zucker, weil er es „muss“. Verbunden ist eine Sucht mit Entzugserscheinungen bei Fehlen des Suchtstoffes und mit der Angst vor Verzicht. Eine bewusste Ernährung, mit bewusster und instinkgesteuerter Auswahl aus einer Palette natürlicher, unverarbeiteter Nahrungsmittel, ist sicher alles andere als zwanghaft oder Sucht. Mein Körper sagt mir, was er gerade braucht – u. a. über meinen Appetit. Bei natürlichen, unverarbeiteten Nahrungsmitteln als ausschließliche Auswahl und etwas Erfahrung und Achtsamkeit funktioniert das gut. Deshalb habe ich manchmal Appetit auf süße Früchte, manchmal auf Grünzeug usw.

Verarbeitete Rohkostprodukte, voller isolierter Zutaten und Süßungsmittel (oder Salz), können allerdings ebenfalls zu suchtartigem Essen führen. So kann es leicht passieren, dass du mit der angefangenen Tafel Schokolade (Rohkostschokolade) erst dann aufhören kannst, wenn sie aufgegessen ist. Viel weniger leicht jedoch passiert dies mit frischen Früchten, die ja ein viel größeres Volumen mitbringen und den Magen einfach irgendwann füllen. Je länger du roh isst, um so schneller spürst du selbst bei den leckersten süßen Früchten, wann du genug hast – selbst wenn der halbe Kirschbaum noch voll hängt ;).

Apropos Kirschen … du sagst, das sei aber ein gutes Beispiel für „Nicht-aufhören-können“ beim Essen süßer Früchte? Gerade die modernen, sehr süßen Früchten (siehe oben, auf übermäßigen Zuckergehalt gezüchtet) haben tatsächlich kaum eine oder nur eine sehr unauffällige „Sperre“ (das Erkennen des „ich habe genug“) – gerade für den noch unerfahrenen Früchteesser. Dies liegt auch daran, dass unser Gehirn erst dann Sättigung signalisiert, wenn auch sein Mineralstoffbedarf gedeckt ist. Und daran mangelt es in den modernen gezüchteten Früchten nun leider. Dennoch kannst du mit Aufmerksamkeit durchaus spüren, wann du genug hast. Zum Beispiel daran, dass die Kirschen nach einer Weile nicht mehr ganz so himmlisch schmecken wie zu Anfang. Der beste Tipp, wenn es dir trotz gefülltem Bauch schwer fällt, mit dem Essen süßer Früchte aufzuhören: iss immer grüne Blätter dazu. Optimalerweise Wildgrün, am besten die Blätter des jeweiligen Baumes oder Strauchs dazu. Also Kirschblätter zu Kirschen etc. Du wirst sehen, dass du dann viel schneller satt und zufrieden wirst! Und: iss Früchte komplett, mit Schale und eventuell (je nach Sorte) Kernen. Auch das versorgt dich besser und vollständiger mit allem was du brauchst, als wenn du z. B. beim Apfel Kerngehäuse und Schale wegwirfst und nur das Fruchtfleisch dazwischen isst.

Genieß deine Früchte; achte darauf, sie immer reif zu verzehren und versuche möglichst unverzüchtete, ursprüngliche Früchte und Beeren zu essen! Höre auf deinen Körper (nicht nur auf die Zunge 😉 ) und, solange du noch nicht so genau spürst, was dir gut tut, nutze auch deinen Kopf und vergiss nicht, dass vor allem Grünzeug das ist, was uns nährt!

01pt-gojis Also: Lass dich nicht von der Rohkost per se abschrecken durch die angebliche Gefährlichkeit von Früchten! Triff eine bewusste Auswahl, lass dir Zeit beim Essen und achte darauf, dass dein Körper auch ausreichend GRÜNE Nahrung bekommt!

Und vor allem: mach es nicht so kompliziert, denke nicht schon vor dem Beginnen über alle möglichen und unmöglichen Schwierigkeiten nach. Sonst kommst du nie voran (und das gilt nicht nur für die Rohkost, wie ich weiss 😉 ). Leg einfach los, probier es aus, und höre gut auf deinen Körper. Inspirationen und Ideen zum einfachen Anfangen gibt es ja beileibe genug im Internet – wie z. B. diesen Blog hier 🙂

** Quelle: Die auf Rohkost und Naturheilverfahren spezialisierte Ärztin Dr. med. Barbara Miller im Interview auf der Lebensenergiekonferenz 2015.

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