Zu viel verlangt

“Malochen Eltern weiterhin wie heute üblich, ist es nicht mehr weit bis zur Erschöpfung”, steht heute in der Tageszeitung und wohl fast jeder, der in der Schweiz Kinder grosszieht, kann nur zustimmend nicken. Bloss, warum wird das erst jetzt zum Thema? Haben wir denn tatsächlich geglaubt, Eltern könnten zugleich möglichst grosse Brötchen verdienen, die Kinder nach allen Ansprüchen der Erziehungswissenschaften erziehen, den Haushalt so in Ordnung halten, dass jederzeit ein Fotograf von “Schöner Wohnen” zu Besuch kommen könnte, die ganzen administrativen Aufgaben erledigen, die heute so selbstverständlich zum Familien- wie zum Geschäftsleben gehören, den Freundeskreis pflegen, nach Möglichkeit einen kindergerechten und einen nur für die Eltern, in allen Bereichen auf dem Laufenden bleiben, sich der alternden Eltern annehmen, die Partnerschaft in Schwung halten und wenn möglich ein politisches Amt oder zumindest ein oder zwei Ehrenämter bekleiden? Und dabei bitte immer schön lächeln. Was sollen wir Eltern denn sein, die eierlegende Wollmilchsau? Oder vielleicht lieber ein Perpetuum Mobile? 

Nichts liegt mir ferner, als die Vergangenheit zu glorifizieren, aber mir scheint, man hätte etwas Wichtiges vergessen, was früher noch selbstverständlich war: Eltern können das alles nicht alleine stemmen, ohne Hilfe gehen sie zugrunde. Ob das nun wie in wohlhabenden Familien bezahltes Personal oder in armen Familien die erweiterte Verwandtschaft war, fällt nicht so sehr ins Gewicht. Tatsache ist, dass es Zeiten gab, in denen all die Aufgaben auf mehrere Schultern verteilt waren. Oh ja, ich weiss, was jetzt kommt: Heute gibt’s für alles nützliche Geräte, die einem die Arbeit abnehmen. Aber mit den Geräten nahm die Arbeit nicht wirklich ab, denn mit jeder Erfindung wurden die Ansprüche ein wenig höher geschraubt. Wer den besten, leistungsfähigsten Staubsauger hat, hat keine Ausrede mehr für Brosamen auf dem Fussboden, wer jeden Tag die Waschmaschine in Gang setzen kann, erlaubt es sich nicht, die Kinder auch mal mit einem kleinen Fleck auf dem T-Shirt zur Schule zu schicken, wer eine Profi-Küchenmaschine besitzt, hat auch dafür zu sorgen, dass Geburtstagstorten so aussehen, als kämen sie vom Profi. Und wo schon jeder einen Computer besitzt, kann man doch gleich die Aufgaben, die früher ein Schalterbeamter zu erledigen hatte, auf die Kunden abwälzen. Eine Erleichterung für den Kunden? Auf den ersten Blick vielleicht schon, auf den zweiten Blick eine weitere Pflicht, die gefälligst perfekt zu erledigen ist. Jeder Vater, jede Mutter sollte alles können und zwar so, dass es sich sehen lässt. Nur wer das nötige Kleingeld besitzt, kann es sich leisten, die eine oder andere Aufgabe an einen Profi zu delegieren. 

Wenn mich die vergangenen Jahre etwas gelehrt haben, dann dies: Wir schaffen es nie und nimmer, all diesen Ansprüchen gerecht zu werden. Ja, wir haben es versucht, aber es hat uns in die Erschöpfung geführt, die von Experten jetzt endlich öffentlich thematisiert wird. Darum spielen wir nicht mehr mit in dem Theater mit dem Titel “Die tadellose Familie”, wir haben weder die Zeit noch die Kraft dazu. Wer damit leben kann, ist herzlich dazu eingeladen, mit uns unterwegs zu sein, wer Perfektion erwartet, muss anderswo suchen.

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