Zerbrochen an der gesellschaftlichen Konvention

„The Dance Factory“ zeigte bei Impulstanz im Volkstheater „Swan Lake“ in der Choreografie der Südafrikanerin Dada Masilo. Eine Neuinterpretation von Tschaikowskys Ballettklassiker, in der kein historisch choreografierter Stein auf dem anderen blieb. Gerade deswegen ist diese Aufführung auch so unglaublich erfrischend. Wer darauf wartet, klassisches Ballett serviert zu bekommen, staunt nicht schlecht. Denn gleich im ersten Auftritt macht Masilo klar, dass davon zwar noch Rudimente vorhanden sind, ihr Fokus jedoch auf einer Weiterentwicklung des Tanzes liegt. Bewegungselemente aus der afrikanischen Tanztradition kommen darin ebenso vor wie solche aus dem contemporary dance. Kein Wunder, studierte sie doch nach ihrem Beginn an der Dance Factory in Johannesburg an Anne Teresa de Keersmaekers Schule P.A.R.T.S. in Brüssel.

Frauen und Männer in Tütüs

Zerbrochen an der gesellschaftlichen Konvention

Dada Masilo’s ‚Swan Lake‘ as previewed at the Dance Factory in Newtown, Johannesburg. (c) John Hogg.

Sechs Männer und sechs Frauen bilden das Corps de ballet, in dem Masilo selbst mittanzt. Ausgestattet sind alle, egal ob Frauen oder Männer, mit weißen Tütüs und einer kleinen Federkrone am Kopf. Damit gerät Masilo nicht in die Zitationsfalle der legendären Interpretation von Matthew Bourne, in der die männlichen Schwäne mit Federhosen gekleidet waren. Unweigerlich kommen jedoch Erinnerungen an unzählige männliche Laien-Schwanenballets in Tütüs in den Sinn, die jedes Mal wieder zu Lachstürmen hinreißen. Dieses Mal ist es aber anders. Obwohl die Hälfte der Schwäne männlich besetzt ist und obwohl deren Kostüme wirklich lachhaft sind, ist das Lächeln über diesen Auftritt bald verschwunden. Denn die Professionalität, mit der hier getanzt wird, ist außerordentlich. Selbstverständlich macht sich Dada Masilo mit dieser Idee über das klassische Ballett ein wenig lustig. Dazu kommt noch ein Eingangsstatement, in dem ein Artikel von Paul Jennings aus dem Sunday Telegraph Magazine zitiert wird. Darin verwundert er sich als Außenseiter, der keine Ahnung von Tanz hat, höchst humorvoll über das klassische Ballett.

Danach geht es erst richtig los mit der Geschichte, in welcher – wie könnte es anders sein – die Liebe im Mittelpunkt steht. Allerdings ist es nicht die Liebe zwischen dem Prinzen und dem verzauberten Schwan, sondern seine Liebe zu einem gleichgeschlechtlichen Partner, der ihn mit einem furiosen Tanzsolo komplett verzaubert. Zwar soll Siegfried – der Name des Prinzen wurde beibehalten – eine Schönheit heiraten. Es ist aber nicht eine selbst gewählte, sondern eine verkuppelte Liebe, der er sich beugen soll. In mehreren Szenen verdeutlicht Masilo den inneren Kampf des jungen Mannes, der letztlich aber so unter dem gesellschaftlichen Druck leidet, dass es ihm nicht möglich ist, zu seiner wahren Liebe zu stehen.

Von überschäumender Lebensfreude zu tiefer Trauer

Masilo ist nicht die erste, die den Prinzen mit homoerotischen Gefühlen ausstattet. Der leider schon verstorbene Choreograf Bertrand d`At schuf ebenfalls eine solche Interpretation mit tragischem Ausgang. Dada Masilos kluge Choreografie lässt die klassischen Ballett-

Zerbrochen an der gesellschaftlichen Konvention

The Dance Factory, Newtown, Johannesburg.
‚Swan lake‘ by Dada Masilo. (c) John Hogg

Elemente, je weiter die Geschichte voranschreitet, nach und nach beiseite. Verwendet sie schon kurz nach Beginn Bewegungen und Schritte aus dem afrikanischen Folklorebereich – herrlich wie sich die Prinzessin mit Hüftschwung und Pogewackel umsonst um ihren Prinzen bemüht – nähert sich das Tanzvokabular im Laufe der Vorstellung immer stärker dem europäisch geprägten, zeitgenössischen Tanzstil. Bis schließlich, im letzten Akt, das Brüsseler Studium von Masilo greifbar wird. Ganz in schwarzen, weiten Hosen tanzen nun alle Beteiligten ihren Abschiedstanz. Es ist ein Abschied von der Liebe, ein Abschied vom Leben, aber auch ein Abschied vom klassischen Ballett. Nichts davon ist zu den Klängen von Avo Pärts „Spiegel im Spiegel“ mehr geblieben. So ausgelassen und fröhlich es über weite Strecken in der Choreografie zuvor auch zuging, so feurig sich das Ensemble mit lauten Rufen präsentierte, die ihren Tanz begleiteten, so still, ruhig und traurig fallen sie nacheinander um und bleiben regungslos am Boden liegen. Die nun dunkle Bühne tut ein Übriges, um den Schmerz und die Trauer zu versinnbildlichen, welche übrig bleiben.

„Swan Lake“ in Dada Masilos Version ist ein Tanzfeuerwerk, das nicht nur eine traurige Liebesgeschichte erzählt. Es ist nicht nur der gelungene Versuch, gänzlich unterschiedliche Tanzstile zu einem neuen Bewegungsuniversum zu verschmelzen. Es ist vor allem auch die aktuelle, südafrikanische Aneignung einer europäischen Tanztradition, deren Fortbestand gerade durch diesen Blick von außen und diesen außereuropäischen Input eine neue Legitimation bekommt.

Das Ensemble: Nadine Buys, Zandile Constable, Nicola Haskins, Dada Masilo, Ipeleng Merafe, Khaya Ndlovu, Thabani Ntuli, Henk Opperman, Steven Thibedi, Thami Tshabalala, Llewellyn Mnguni, Tshepo Zasekhaya

Mit einer neuen Interpretation des Ballett-Klassikers „Giselle“ tritt die Dance Factory noch einmal bei Impulstanz auf.


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