Zeitungen mit Haltung und Geist sind zurück im Spiel

Während die jungen Revolutionäre das Web bereits nutzen, um nichtsnutzige Regierungen zum Teufel zu jagen (Motto in Tunesien: "Haut ab!"), entdeckt das deutsche Bürgertum die Kommentarfunktionen seiner Onlinezeitungen.
Bei der WELT postet man anonym, deshalb wird es da immer sarkastischer. Bei der FAZ meldet man sich mit "bürgerlichem" Namen an. Anfangs zögerlich, fließt den Bürgern der Zorn inzwischen nur so aus den Fingern. Aus der früheren Scheu, mein Kunde oder Personalchef könnte mich hier finden, wurde eine Haltung, aus der heraus man dabei gewesen sein will, wenn die Fürsten zu Fall gebracht werden. Nicht mehr lange, und man wird scheel angesehen, wenn über einen online gar nichts zu finden ist.
Entgegen kam den Bürgern ihr wieder gewachsenes Vertrauen, ihr gestiegener Respekt vor gutem Journalismus. Und zwar vor beiden Spielarten: Dem investigativen, der auf die lange Distanz geht, um einem Verdacht nachzugehen (SPIEGEL). Als auch die, die die Befunde hauptsächlich analysieren, vergleichen und bewerten - und dabei sehr treffende Wort finden (FAZ). Auch manche Blogger -wie Sprengsatz, oder Don Alfonso- stehen inzwischen auf den Favoritenlisten.
Allen voran die FAZ hat das Terrain zurückerobert, dass sie an die Guttenplag und Vroniplag Plattformen bereits im Begriff war zu verlieren. Strategie: Nicht nur die Daten, sondern auch deren Deutung sind im politischen Diskurs wichtig.
Die schwarz-gelbe Gurkentruppe hat eine so schlechte Vorstellung abgegeben, dass sie den Intellekt der "gebildeten Stände" (Alfonso) beleidigt hat. Linke Intellektuelle zögern nicht, in arabischer Manier (übrigens die einzige authentische deutsche Geste der Sympathie und des Respekts gegenüber dem arabischen Frühling) mit Schuhen nach Mitgliedern der Regierung zu schmeissen.
Die Karrieristen, die Hochstapler, die Absahner und die Vollkaskoroulettespieler haben beim Bürger "verschissen" (Kubicki).
Und das, obwohl es so vielen materiell und beruflich so gut geht, wie schon lange nicht mehr. Das kann aber nicht das Verdienst dieser Regierung sein, denn die hat so gut wie nichts getan. Fast wie in Belgien, und übrigens wie bereits in der ersten Phase der letzten großen Koalition, läuft es in Deutschland am besten, wenn die Regierung sich einfach raushält. Das gibt Selbstbewusstsein.
Trotzdem: Verraten fühlen muss sich aber nicht nur das Großbürgertum, sondern auch der sozialliberale Aufsteiger, der sich mal auf den einen oder anderen Bildungsweg aufmachte, um mehr zu verstehen, mehr zu gestalten und mehr zu genießen als seine Eltern. Mag es von ihnen so viele integre Repräsentanten geben wie es will. Ihr Ansehen wird von den krankhaft Ehrgeizigen in Mitleidenschaft gezogen, wenn es heißt: Schröder, Wulff, Maschmeyer, Fischer, Schrempp, Grube etc. kamen aus "einfachen Verhältnissen" und haben sich "nach oben gearbeitet". Diese Aufsteiger haben die Werke ihrer Vorkämpfer verbraten und kannten dabei weder Grenzen noch innere Distanz.
Man entschlüsselt deren Persönlichkeiten nicht über ihre Lebensläufe auf ihren Webseiten oder Biographien. Man entschlüsselt sie besser über Kinderpsychologen wie Alice Miller. Sie hat erkannt, dass alle Formen des Kindesmissbrauchs, wozu sie auch vorenthaltenen Respekt, Geborgenheit, Elternliebe zählte, dazu führen, dass Menschen bis ins hohe Alter der vermissten Anerkennung nachrennen. Sei es das "Lob des Vorgesetzten", das mehr als "alles" zählt (Bahnchef Grube im Handelsblatt), die -vorgetäuschte- Aufnahme in den Kreis der Bosse, die Schaffung der Welt AG oder der Einzug ins Schloss Bellevue.
Bei Wulff bin ich mir nicht so sicher, ob es ihm selbst so lebenswichtig ist, im Schloss zu bleiben, oder nicht eher seiner Frau. Der biedere Wulff selbst machte früher eher den Eindruck eines Belegesammlers, Schnäppchenjägers, der andere eher dazu bringt, ihn zu unterschätzen statt zu bewundern. Der aber Wert auf eine reine Weste legt, um sich in Kompliziertheiten nicht zu verheddern. Aber seine Bettina hat ihn völlig umgekrempelt, und daraus bezieht er heute seine Energie und Identität. Sie zeigt ihm die Genüsse, die er sich selbst jahrelang selbst versagte. Sie beansprucht und verteidigt aber ihren Platz an der Sonne. Man schaue sich nur ihr Foto am Präsidentenschreibtisch auf der BP-Website an sowie die Bestellseite für ihre Autogrammkarten.
Im DRadio berichtete die SZ-Journalistin Franziska Augstein, einer von Wulffs ersten Anrufen im BP-Amt sei an Gerhard Schröder gegangen: Auch er habe sich nun einen Maßanzug zugelegt und man fühle sich darin wirklich wie ein anderer Mensch.
Die Story über seine Halbschwester der WELT wollte Wulff um jeden Preis vermeiden und lud schon kurz nach seiner Präsidentschaft den verantwortlichen Journalisten vor. Man muss sich wohl im Kreise einer doppelmoralischen CDU bewegen, um zu verstehen, was daran so schmerzhaft sein soll. Wulff wollte die hundertprozentig weiße Weste, jedenfalls was er darunter versteht. Das er selbst mit dem Austausch seiner ersten Ehefrau durch eine jüngere gerade gegen die orthodoxe christliche Lehre verstoßen hatte, sah er nicht - bzw.: das machen in der CDU doch alle.
Die "exklusive vorweihnachtliche Ansprache von Wulff auf der Mailbox von Kai Diekmann" (Spreng) könnte mit der Enthüllung seines "Kredits-von-Edith" (FAZ) begründet sein. Sie könnte aber auch auf eine Story hindeuten, die nicht mal in der CDU "alle machen". Die aber wiederum nur in christlich-orthodoxen Kreisen für Furore oder Entsetzen sorgen würde.
Es ist naiv, die Viktoria-Anspielungen als Spinnerei christlicher Extremisten abzutun. (Die gibt es, und sie wühlen sich inzwischen auch durch das Internet.). Der Clou läge vielmehr darin, die CDU hier mit ihren eigenen Mitteln zu schlagen. Nicht eine Vorgeschichte a la Viktoria wäre anrüchig, sondern die heuchlerische Empörung der CDU-Klientel darüber.
Wulff droht nicht nur ein Statusverlust. Ich glaube, auch seine Ehe steht auf dem Spiel und das lässt ihn krampfhaft und stur am Amt festhalten.

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