Zeit für einen kleinen Hausfriedensbruch - Verpackung hui, Inhalt pfui: "Tatort: Wer Wind erntet, sät Sturm"

Wenn man Henrick Paulsen (Helmut Zierl) anruft und er gerade keine Zeit oder Lust hat, den Anruf anzunehmen, dann ertönt auf seiner Mailbox folgende Abwesenheitsnachricht: „Wir sind gerade dabei, den Planeten zu retten.“ Paulsen ist Umweltschützer, aber Paulsen kann nicht mehr an sein Mobilfunkgerät gehen. Denn von Henrick Paulsen fehlt jede Spur. Für die gute Sache ist er auf eigener Faust in der Nordsee unterwegs gewesen – und nicht mehr zurückgekehrt. In einem Windpark ist er eingedrungen, hat „einen kleinen Hausfriedensbruch“ begangen und sich dabei gefilmt, wie er hoch oben auf einem der Windräder steht und dort einen Haufen toter Vögel gefunden hat. Denn in den Windpark verirren sich viele Vögel, leider verenden sie dort in den Rotorblättern massenweise. Der Strom ist nun blutrot statt grün. Darauf möchte er aufmerksam machen. Nur wer gegen den Strom schwimmt, gelangt zur Quelle – das ist sein Motto. Das wiederholt er gefühlte vierundzwanzig Mal. Und das ist nur eines von vielen Problemen dieses Windenergie-Tatorts, der immerhin gut aussieht.

But first, let me take a selfie...Helmut Zierl ist Henrick Paulsen! ©Radio Bremen/Jörg Landsberg


Das Buch für "Wer Wind erntet, sät Sturm" stammt von Wilfried Huismann, und der ist kein wirklicher Freund von Umweltorganisationen. Über den WWF schrieb er mal ein kritisches Buch und drehte sogar einen Aufsehen erregenden Dokumentarfilm. Unverkennbar ist dieses in „Wer Wind erntet, sät Sturm“. Der Windpark gehört Lars Overbeck (Thomas Heinze), früher mit Paulsen Castor-Gegner gewesen, heute Unternehmer in der Bedrouille. Finanziell steht er am Rande des Ruins, durch das Video des Verschwundenen wäre er wohl endgültig pleitegegangen. Seine Mitarbeiter in der Werkshalle kann er schon seit Wochen nur mit Ankündigungen bei Laune halten („Ein Overbeck, ein Wort!“), dass es demnächst dann doch wirklich vielleicht endlich so ein bisschen Lohnüberweisungen gibt. Gleich zweimal spricht er zu seiner Belegschaft. Hochnotpeinliche Momente. Genauso wie die Mehrzahl der Figuren aus der Mottenkiste des von Florian Baxmeyer inszenierten Tatorts.
Paulsen war irgendwie verbandelt mit der Chefin einer Umweltorganisation (Annika Blendl), die wiederrum mit Overbeck und einem windigen Hedgefonds-Manager (Rafael Stachowiak), dem größten Konkurrenten Overbecks, mauschelt. Gegen Spenden drückt sie ihre grünen Augen zu und verteilt Umweltzertifikate, wenn gleichzeitig ein paar Sachen so laufen, wie sie es gerne hätte. Sonst gibt’s Klagen wegen der Tötungsmaschinen auf hoher See – und die Insolvenz Overbecks. Es ist also genau Huismanns Thema. Umweltorganisationen, die sich gegen Geld mit der Industrie verbünden. Ist das verwerflich? Spielen die also in Wirklichkeit ein doppeltes Spiel und täuschen nur nach außen Wohltätigkeit vor? Nett gemeint, doof gemacht. Denn es hagelt nur so Phrasen. Overbeck sagt: „Ich möchte die Welt ein wenig besser machen.“ Die Natur- und Tierschützer werfen wiederum auf Dartscheiben, das Ziel: Ein Bild mit Overbecks Konterfei. Und der oberste radikale Aktivist (Lucas Prisor) wohnt logischerweise im Zelt, hasst solche Einlassungen mit der Industrie und ist einer der letzten Retter des Planeten. Weil: Nur wer gegen den Strom schwimmt, der gelangt zur Quelle! Ja ja. Genauso verrückt erscheint der spurlos Verschwundene. Diese Umweltschützer sind eben irgendwie alle ein wenig plemplem. Und Hedgefonds-Manager erst.
Morgens beim Sport telefoniert dieser mit seiner Oma, während er auf dem Bildschirm gegenüber die aktuellen Börsenzahlen vor sich flimmern sieht. Er raucht, fährt natürlich Taxi und trägt dauernd Anzug. Durch und durch ein Unsympath, Anzugträger eben. Kommissar Stedefreund (Oliver Mommsen) interessiert sein Herumgeblubber über die Vorteile der Energiewende dann auch kaum, also gähnt er vor sich hin.

"Ich will die Welt ein wenig besser machen!" (Postel, Mommsen, Heinze, v.r.) ©Radio Bremen/Jörg Landsberg


Aber schön ist es schon, dass sich er und Kollegin Lürsen (Sabine Postel) diesmal zurückhalten. Während der Fall mit seinen vielen Klischee-Figürchen im Vordergrund spielt, spielen die beiden die zweite Geige. Aber Lürsen und Stedefreund wollen nur den Mörder eines tot aufgefundenen Aktivisten finden und den Verbleib Paulsens aufklären. Das dürfen sie tun, ohne irgendwelche private Probleme lösen zu müssen und zusammen mit Schauspielkollegen, die aus ihren Rollen das jeweils Beste rausholen. Nur Prisor kann nichts mehr retten, der ist seiner Rolle dann wirklich schutzlos ausgeliefert. 
Wie dem auch sei, zu guter Letzt muss man unbedingt noch die Optik dieses Tatorts ansprechen. Peter Krause, der Kameramann, liefert eine ganz große Leistung ab. Nordsee-Panoramen, so fabelhaft, wie man sie im Tatort selten gesehen hat. Genauso wie sein Kollege Stefan Hansen, der für die Musik zuständig war. So verdienen sich die Macher hinter der Kamera eine Eins mit Sternchen.

Sieht gut aus, dieser Tatort. ©Radio Bremen/Jörg Landsberg

Die Verpackung stimmt also, der Inhalt hingegen überhaupt nicht. Und der Planet ist noch immer nicht gerettet.  
BEWERTUNG: 5,5/10Titel:Tatort: Wer Wind erntet, sät SturmErstausstrahlung: 14.06.2015Genre: KrimiRegisseur: Florian Baxmeyer
Darsteller: u.a. Sabine Postel, Oliver Mommsen, Thomas Heinze, Helmut Zierl

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