Yeshe Lama und die Herzessenz der großen Weite

SonneMondADer Titel des „Yeshe Lama“ lautet in seiner vollen Länge „Aus der Herzessenz der großen Weite der Großen Vollkommenheit; ein Praxishandbuch für die Stufen des Pfades des Ursprünglichen Beschützers, genannt: Lehrer uranfänglicher Weisheit“ (tib.; rdzogs pa chen po klong chen snying thig gi gdod ma’i mgon po’i lam gyi rim pa’i khrid yig ye shes bla ma zhes bya ba bzhugs).
Das ist natürlich tibetische Dichtkunst, wie sie im Dharma üblich ist. Aber man sagt auch, dass durch das Verstehen des Titels Praktizierende mit überragenden Fähigkeiten den Inhalt des Werkes erfassen können. Praktizierende mit mittleren Fähigkeiten verstehen beim Hören des Textes und Praktizierende mit geringen Fähigkeiten verstehen das Werk bei den aufzeigenden Erklärungen oder zumindest durch das Praktizieren der Instruktionen. Ich habe den Titel extra auch in Wylie – der akademischen Transkription des Tibetischen – notiert, damit man auch die einzelnen Abschnitte besser nachvollziehen kann.

Dzogpa Chenpo – Große Vollkommenheit

Beginnen wir mit „rdzog pa chen po“ – der Großen Vollkommenheit. Man sieht also sofort, dass es sich um einen Text der Kategorie der Großen Vollkommenheit handelt. Diese Kategorie wird gemäß dem Nyingma-System der neun Fahrzeuge auch als Stufe des Atiyoga bezeichnet. Diese Stufe ist eine Praxisstufe, die von der höchsten Sicht, frei von Begrenzungen ist und sich völlig auf die Wurzel – nämlich die Natur des Geistes – bezieht.
Alle Phänomene in Samsara und Nirvana entspringen dieser Quelle. „Samsara“ ist ja ein häufig verwendeter Begriff. Der tibetische Begriff „‘khor ba“ (sprich: khorwa) beschreibt ein Kreisen, ein Rad ohne Anfang und Ende. Auf dieselbe Weise erleben die fühlenden Wesen beständig ihr Leben gleich einem Wasserrad, bei dem sie sich auf seinem Rand befinden. Redundantes Erleben geschieht jedoch durch das Festhalten an Auffassungen über persönliche Identität und an Merkmalen von Phänomenen. Doch der Buddha hat bereits mit seiner Lehre über Anatman (Nicht-Selbst bzw. Nicht-Ich) die Merkmalslosigkeit aller Phänomene gelehrt und auf die Abwesenheit einer persönlichen Identität hingewiesen. Da die Wesen aber beständig an Vorstellungen über sich selbst und den Dingen festhalten, leiden sie. Mit den Worten der westlichen Psychologie gesprochen, unterliegen die Wesen einfach neurotischen Zügen. Deshalb spricht man auch bei der zyklischen Existenz von einem Leidenskreis.
Im Dzogchen spricht man nicht von „Nirvana“, da dies einfach als friedlicher Zustand gesehen wird, sondern von „bde ba“ (Dewa) – Freude bzw. Seligkeit. Diese Glückseligkeit entsteht aus der Erkenntnis, die über die zyklische Existenz hinausführt. Deshalb nennt man beide auch „zyklische Existenz und ihre Transzendenz“. Ausnahmslos alle Phänomene sind in der Natur des eigenen Geistes enthalten. Da eben nichts hinzugefügt oder weggenommen werden kann oder muss, wird diese „Große Vollkommenheit“ genannt.

Herzessenz der großen Weite

Der Begriff „klong chen“ beschreibt die große Weite, die der Zustand ist, in dem alle Phänomene von Samsara und Nirvana enthalten sind. Dieser weite Raum ist die Weite ursprünglicher Reinheit frei von Ausschmückungen. Somit hat in dieser großen Weite alles (seinen) Platz.
Die Bezeichnung „snying thig“ – Herzessenz – besteht aus zwei Silben. Die Silbe „snying“ bezeichnet das Herz, aber auch den Geist bzw. einen Kern. Wie das Herz im menschlichen Körper das zentrale Organ ist und dem in verschiedenen spirituellen Traditionen nachgesagt, wird es sei der Sitz des ursprünglichen Geistes, so fungiert es hier als die Quelle der Lebendigkeit. Damit wird zum Ausdruck gebracht, dass es keinen Dharma gibt, der wichtiger ist als die Lehre der Großen Vollkommenheit.
Der Tropfen oder Kern – „thig“ genannt – ist die eigentliche Quintessenz, sozusagen das Butterschmalz, das aus der Butter extrahiert wird. Dieser Thigle – auch Tropfen/Bindu genannt – bezeichnet den kostbarsten Aspekt der Lehre. Um diese Kostbarkeit zu erkennen, ist ein Exkurs über die drei Dzogchen-Kategorien oder –Klassen notwendig, den ich in einem nächsten Post auf rangdrol’s blog machen werde. Aber soviel schon vorher gesagt, dieses „snying thig“ ist auch die allgemeine Bezeichnung für die Upadesha-Klasse des Dzogchen.

Uranfänglicher Beschützer

Als nächster Begriff im Titel folgt „gdod ma’i mgon po’i“. Dies ist eine andere Bezeichnung für den uranfänglichen Buddha Samantabhadra (tib.; kun tu bzang po). Der tibetische Name Kuntuzangpo (kun tu bzang po) bedeutet übersetzt „der All-Gute“ und dieser ist der Dharmakaya-Buddha. Dieser Zustand, frei von jeglichen Verschleierungen, immerzu vollkommen, ist eigentlich unsere wahre Seinsnatur.

Pfad zum höchsten König

Wie können wir nun diesen Zustand des All-Guten, der schon immer vorhanden ist, erkennen? Jigme Lingpa beschreibt dies als einen Stufenpfad, der in diesem Handbuch zur ursprünglichen Weisheit des Königs aller Instruktionen dargelegt ist (lam gyi rim pa’i khrid yig ye shes bla ma). Obwohl es sich vordergründig wie ein Stufenpfad dargestellt wird, da das Handbuch in fünf Kapitel wie grundlegende Übungen (‘khor bde ru shan), Trekchö (khregs chod), Thögal (thod rgal), Bardos (bar do) und Buddha-Felder eingeteilt wird, ist es eine Textsammlung, die offenen Weite und klar-deutliche Erscheinung von allem zu realisieren. Die verschiedenen in diesem Buch dargestellten Übungen und Anweisungen zielen im Grunde darauf ab, den natürlichen Zustand des Geistes zu realisieren.
Ausgehend von der ersten Aussage Garab Dorjes „direkt eingeführt“, bildet die Einführung in die Natur des Geistes die Grundlage für die weiteren Praktiken. Die Praktiken selbst sind dazu gedacht, Vertrautheit und Gewöhnung an den natürlichen Geisteszustand zu erlangen. Doch sind sie anders als die Praktiken im Vajrayana eben kein Stufenpfad, wo eine Praxis auf die andere aufbaut, sondern hier ranken sie sich mandala-artig um die Erkenntnis des natürlichen Zustandes.
Anders als das Ngöndro im Vajrayana sind hier die grundlegenden Übungen keine aufbauende Praxis, sondern jede einzelne ist dazu angetan, uns an diesen natürlichen Zustand des Geistes zu erinnern. Im Dzogchen sind die grundlegenden Übungen nicht als Vorbereitung gedacht, damit dann nach längerem Ansammeln endlich die Hauptpraxis bestehend aus Trekchö und Thögal ausgeführt werden kann. Jede dieser grundlegenden Übungen dient dazu, den diskursiven Geist zu erschöpfen und in dieser der Erschöpfung nachfolgenden Phase an einen kontemplativen Zustand, der im Grunde ein Weilen im natürlichen Zustand ist, zu gewöhnen. Aus diesem Grund werden diese Übungen hier als „grundlegend“ bezeichnet. Sie stellen ein Tor dar, durch das man in die Lehren des Dzogchen eintritt.
Die nachfolgenden Praktiken werden laut Jigme Lingpa nach den geistigen Fähigkeiten und der Auffassungsgabe der Schüler in höhere, mittlere und geringer eingeteilt. Zwar erweckt dies den Eindruck, dass auch hier wieder eine Abfolge stattfindet, doch bei genauerer Betrachtung versteht man, dass Trekchö nicht unbedingt die notwendige Vorstufe sein muss, um die vier Visionen von Thögal zu realisieren. Ist der Praktizierende bereit, dann tritt er durch das Aufzeigen der Natur des Geistes genauso in den ungetrennten Zustand ein, wie durch die Anwendung von Blick und Körperhaltung beim Thögal.
Betrachtet man diese Abfolgen von Trekchö, Thögal, Bardos und Buddha-Felder aus der Perspektive der Übergangzustände wie sie beispielsweise im Bardo Thödrol beschrieben sind, dann stellt sich heraus, dass diese im Grunde ganz natürlich vorkommen. Man muss sie bloß erkennen, als das, was sie sind – die ursprüngliche Reinheit, das spontane Erscheinen, Projektionen und Manifestationen des Geistes. Von diesem Standpunkt aus ist der natürliche Ablauf auch wieder ein Pfad, der durchlaufen wird, der aber in seiner Essenz immer präsent ist.
Und da sind wir wieder bei dem immerzu präsenten All-Guten, dem uranfänglichen Buddha Samantabhadra, der nichts anderes als unser natürlicher Zustand ist. Dieser Zustand kann nicht übertroffen werden. Deshalb wird er auch „ye shes bla ma“ (Yeshe Lama; Weisheitslehrer) genannt.
Die restlichen Silben des Titels sind „zhes bya ba bzhugs“ und meinen eigentlich, dass sich eben das alles in diesem Buch hier befindet.

Vom 30. Juli bis 4. August 2015 überträgt der Lopon Ogyan Tanzin Rinpoche im Rahmen des Ngakpa-Retreats diese kostbaren Lehren. read more>


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