Dieses bemerkenswerte Zeugnis journalistischen Totalversagens ist aus der Onlinepräsenz des Springer-Schlachtschiffs schon wieder verschwunden, aber ich habe es noch nicht vergessen. Es war Bestandteil eines ersten Versuchs, sich den neuen Schloßherren von Bellevue schönzutrinken; mittlerweile setzt man dort statt sinnentfremdeter Wahlkampfslogans auf die Kinderkarte:
Im Interview hatte Bettina Wulff bereits vorab verkündet, sie könne sich ein Spielzimmer im Schloss Bellevue gut vorstellen und Kanzlerin Angela Merkel verkündete auf der letzten Party vor der Wahl:"Ich stelle es mir wunderschön vor, wenn ein Kinderlachen durch Schloss Bellevue geht."
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Das eigentlich Bemerkenswerte daran ist, dass es von all den Versuchen, sich die 9-stündige Farce des gestrigen Tages schönzureden, noch immer der Beste ist. Wulffs Lebensumfeld spricht in der Tat für ihn. In einer rapide überalternden Gesellschaft, in der Familien mit Kindern fast schon auf die Liste der gefährdeten Arten gehören, könnte ein dreifacher Vater, der den Altersdurchschnitt seiner Vorgänger um gut 15 Jahre unterbietet, ein Symbol sein. Ich verkneife mir mal die Prognose, dass er mit Sicherheit auch nicht mehr sein wird als ein Symbol, generell gestehe ich ja Menschen die Fähigkeit zu, zu wachsen.
Die Vorraussetzungen dafür sind nicht schlecht: Wulff wird auf jeden Fall populär, da habe ich keine Zweifel. Wie er ins Amt gekommen ist, damit wird seine Gönnerin und ihre Traumkoalition noch einige Zeit zu kämpfen haben- aber bei ihm wird man ziemlich schnell vergessen, dass er eigentlich Symbol der schwarz-gelben Einheit und Handlungskraft sein sollte. Er muß sich nicht mal wirklich neu in seine Rolle einfinden- den stets lächelnden Sonntagsredner hat er bereits in seiner alten Funktion ganz hervorragend gegeben. Wir werden erleben, wie ein Volk von Gauck-Anhängern seinem exakten Gegenteil verfallen wird, schon weil er wenigstens nicht nervt.Und dass wir weiter genervt werden, hat sich gestern auch überdeutlich abgezeichnet.
Ich weiß nicht, ob es sich überhaupt noch lohnt, festzustellen, wie grandios peinlich der gestrige Tag für die Traumkoalition war- er hob sich so gesehen nicht sonderlich von den letzten 8 Monaten ab. Sicher war das After-Party-Geschwafel von der "deutlichen Mehrheit" und dem "klaren Sieg" schon mehr als befremdlich, aber auch diese Pointen nutzen sich langsam ab. Ich wundere mich bestenfalls darüber, wie sehr selbst der simple Überlebenswille dieser Koalition bzw. ihrer Abgeordneten erodiert- entgegen meiner Prognose. Es hat noch nicht für eine Katastrophe gereicht- aber der unbedingte Wille zur Macht sieht mal anders aus.
Das heißt natürlich nicht, dass die Opposition irgendwas zu feiern hatte. Das gestrige Durcheinander hat uns stattdessen unmißverständlich aufgezeigt, dass die Gemeinsamkeiten von SPD, Grünen und Linkspartei sich in der Gegnerschaft erschöpfen- gegen Merkel, gegen Wulff, dass die Alternativen im Zweifelsfall soweit auseinanderliegen wie Gauck und Jochimsen. Das sollte von allen Beteiligten eher als Aufgabe denn als willkommene Angriffsfläche begriffen werden, will man 2013 nicht eine bundesweite Wiederholung hessischer oder nordrhein-westfälischer Verhältnisse riskieren. Schon die Angst davor könnte Merkels bester Freund werden.
Bis dahin kommt aber noch eine Menge Wetter.
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