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Die Predigt ist entstanden auf der Grundlage der Predigt von Pfarrer Gerson Raabe, Erlöserkirche München/Schwabing (14.09.2008)
Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserm Vater, und dem Herrn Jesus Christus.
Richtig streiten, das kann man ganz unterschiedlich verstehen, also entweder „so richtig streiten, bis die Fetzen fliegen“ oder „richtig streiten“ im Sinne von: „eine gute Streitkultur pflegen“ – beides ist möglich und beides ist gemeint im heutigen Predigttext der im Brief an die Epheser im Kapitel 4 in den Versen 1-6 steht:
„So ermahne ich euch nun, ich, der Gefangene in dem Herrn, dass ihr der Berufung würdig lebt, mit der ihr berufen seid, in aller Demut und Sanftmut, in Geduld.
Ertragt einer den andern in Liebe und seid darauf bedacht, zu wahren die Einigkeit im Geist durch das Band des Friedens: ein Leib und ein Geist, wie ihr auch berufen seid zu einer Hoffnung eurer Berufung; ein Herr, ein Glaube, eine Taufe; ein Gott und Vater aller, der da ist über allen und durch alle und in allen.“
Der Herr segne sein Wort an uns. Amen!
Sie merken schon, liebe Gemeinde, heute geht es richtig zur Sache. Und um es in aller Deutlichkeit zu sagen: Ich stehe hier nicht, um ihnen zu erzählen, wie das so geht mit dem richtigen Streiten, nein, in das Thema bin ich natürlich selbst verwickelt. Also, denken Sie bitte zu keinem Zeitpunkt: Jetzt meint er den oder die – nein, ich meine schon auch mich selbst, ganz persönlich!
Aber fangen wir vorne an, beim Hintergrund unseres Predigttextes; da ist das Thema „richtig streiten“ in der Gemeinde in Ephesus aufgekommen, und der Verfasser des Predigttextes mahnt die dortigen Kirchenglieder ganz grundsätzlich: „So ermahne ich euch nun, dass ihr der Berufung würdig lebt“ – und ich ergänze das mal – „auch bei den Auseinandersetzungen, die ihr untereinander austragt!“
Das ist doch mal eine Steilvorlage, um uns selber zu fragen: kommt das vor, dass wir uns in Streitigkeiten „unwürdig“ verhalten? Doch, ja, ich denke schon, dass das vorkommt.
Ich will natürlich in Rechnung stellen, dass die Temperamente durchaus verschieden sind: Der eine neigt dazu laut zu werden, der andere wird schnell persönlich verletzend usw., usw. Und es ist dann nicht immer gleich unwürdig, wenn die Fetzen fliegen und es mal persönlich wird, aber es geschieht eben leider Gottes, dass im Streit die Temperaturen so hoch kochen, dass man überhitzt.
Und dann ist man schnell bei der inneren Verletzung des Gegenübers: „Du Depp!“ denkt man. Meistens können wir uns soweit beherrschen und sprechen die Beleidigung des anderen nichts aus, aber ich möchte gar nicht in die Herzen der Streithähne sehen können, die sich wutschnaubend die letzten Wahrheiten aus vermeintlichem Anstand gegenseitig dann doch lieber vorenthalten – ich kenne ja mein eigenes Herz in solchen Streitigkeiten zur Genüge…
Denn bei mir ist es manchmal nicht anders: vom „du Depp!“ im Inneren bis zu den anderen Etikettierungen erreicht man dann schnell eine Bandbreite, die nah an der Grenze der Aberkennung der Würde des Anderen vorbeischlittert – und manchmal eben auch darüber hinaus.
Und dann wird daraus ein Streit, der – um es mit unserem Verfasser zu sagen – die Würde unserer Berufung verleugnet. Denn diese Würde gewinnt Gestalt in der Würde des Nächsten, den – wie es in den alten Texten heißt – Gott sich zum Bilde geschaffen hat. Merken wir uns an dieser Stelle: Der „würdevolle Umgang“ miteinander orientiert sich an der Würde, die jedem Einzelnen auch im Streit entgegen gebracht wird.
Also Vorsicht mit vernichtenden Grundsatzurteilen über die Menschen, mit denen wir es zu tun haben und mit denen wir streiten. Denn bitte lassen sie uns immer im Auge behalten: Wie verhält sich mein Urteil zur unveräußerlichen und einmaligen Würde, die jedem Menschen eigen ist?
Nur wenn ich diese wahre, dann streite ich würdig. Und glauben sie mir, meine Erfahrungen in den letzten Wochen haben mir das mulmige Gefühl gegeben, dass vor allem wir bei „Kirchens“ in einer besonderen Weise begabt sind, gerade in diesem Sinne unwürdig zu streiten. Aber müssten nicht gerade wir die Würde unseres Gegenübers heiligen?
Wir suchen also nach dem „würdigen Streiten“. Fragen wir doch den Predigttext, welche Tugenden dies verlangt: tatsächlich, da steht, was in Auseinandersetzungen nicht verloren gehen sollte, was uns auch bei unseren Streitereien bestimmen sollte: es ist Demut, Sanftmut, Geduld und Liebe.
Und diese Tugenden lassen Sie uns näher anschauen:
Da ist die Demut, konkret das „Mensch, nimm dich nicht so wichtig!“ Demut ist, dass ich mich hinten anstellen kann. Und dabei hat Demut nichts mit „kriechen“ zu tun, nichts mit Resignation, nicht mit dem Durchwinken von Meinungen, weil man ja sowieso nichts dagegen tun kann. Ein demütiger Mensch ist alles andere als ein „kriecherischer“ Mensch. Aber er streitet eben nicht für seinen Eigennutz, er stellt sich nicht in den Fokus der Auseinandersetzung.
Und mal ehrlich, ist es nicht so, dass viele Probleme damit zusammenhängen, weil das Motto unserer Streitkultur in der Regel lautet „ich, meiner, mir, mich“.
Und umgekehrt, ist uns dieser Eigennutz im Streit nicht schon so zu eigen, dass wir häufig dem Gegenüber leichtfertig unterstellen, er handle ja nur aus selbstsüchtigen Motiven – besonders dann, wenn wir seine Meinung in der Sache nicht teilen? Vermeintliche Selbstsucht als willfähriges Totschlagargument jeder sachlichen Diskussion. Die persönliche Fehde mit dem Ziel, die Sachargumente ignorieren zu können.
Überlegen Sie mal: wann haben sie das letzte Mal wahrgenommen, dass jemand nicht an sich gedacht, sondern sich zurückgenommen hat, demütig war. Kein versteckter Egoismus, der sich unter einem – oftmals auch noch mit großem Pathos vorgetragenen – scheinbar selbstlosen Altruismus versteckt. Tatsächlich jemand, der sachlich seine Auffassung vertritt, egal, ob sie ihm oder seinen Seilschaften nützt, sondern nur deswegen, weil er sie für richtig hält.
Und, haben sie denjenigen dann auch so wahrgenommen, so angenommen? Und zwar auch dann, wenn sie seine Meinung nicht geteilt haben, ja, wenn seine Meinung ihnen sogar weh getan hat? Oder haben sie ihn einfach zum persönlichen Feind erklärt, um sich nicht mit seinen Sachargumenten auseinander setzen zu müssen?
Ja, wir sind zu wenig demütig. Wir haben die Demut verlernt, vergessen. Wenn wir sie wieder entdecken, einüben, lernen und verinnerlichen würden, dann wären die meisten unserer Probleme gelöst. Wir müssten nur einmal akzeptieren, dass andere nicht nur aus Selbstnutz streiten, und wir müssten ein bisschen weniger für uns selbst und ein bisschen mehr für die Sache eintreten, dann kämen wir dem würdigen Streiten näher.
Und dann brauchen wir noch die nächste Tugend aus unserem Predigttext: die Sanftmut. Verstehen Sie die aber auch nicht falsch: damit ist keine softihafte Weichzeichnermentalität gemeint, Sanftheit müssen wir schon wörtlich nehmen, denn in dem Wort steckt nicht nur „sanft“, sondern eben auch „Mut“.
Unsere Aufmerksamkeit muss also beiden Seiten dieser Tugend gelten, wenn wir mit anderen Menschen umgehen, wir sollen unsere Meinungen „sanft“ und „mutig“ austauschen, auch in kontroversen Auseinandersetzungen.
„Mutig“ sein fällt uns dabei in der Regel leichter, nicht wahr! Allerdings, manchmal sind wir auch ganz schön feige: „Ich sag mal lieber nichts, soll die oder der doch vorpreschen!“ Aber wenn es dann ums Draufhauen geht, sind wir auch wieder nicht gerade zimperlich, wobei am liebsten über Bande, indirekt, hintenrum, versteht sich. Wie wäre es, wenn wir einmal den Mut hätten, sanft einzubringen, was uns umtreibt. Oder einfach mal mutig zugeben, dass auch der andere gute, sachliche Argumente hat. Warum vertreten wir nicht einfach mal unseren Standpunkt, ohne den Standpunkt des anderen um jeden Preis zerstören zu wollen? Mutig in der Sache, sanft im Umgang mit dem Gegenüber. Sanftmütig eben.
Aber vielleicht funktioniert das alles nicht ohne die nächste Tugend, vielleicht die Tugend, die mir ganz persönlich am meisten fehlt: die Geduld!
Bitte, verwechseln wir Geduld nicht mit Zaudern, welches die klare Entscheidung scheut und lieber erst mal alles auf die lange Bank schiebt – also mit der bösen Schwester der Geduld. Diese „Das-sitzen-wir-schon-aus-Variante“, die jeder unter dem Stichwort des „Regierens mit der ruhigen Hand“ auch aus der Politik kennt, und die ich seit Monaten in kirchlichen Gremien im erdrückenden Übermass antreffe. Mich kann diese böse Schwester der Geduld zur Weißglut bringen, weil der Schaden, der mit dieser Taktik angerichtet wurde und wird, unübersehbar ist.
Aber auch als Reaktion auf dieses Zaudern wird die Geduld benötigt, die wir im Predigttext finden: die wirkliche und echte Geduld, die eben auch den Mut, ja sicher sogar den Sanft-Mut hat. Die immer wieder das Sachargument vorträgt und den Gegenüber dabei würdig behandelt. Und die auch oft Demut braucht, wenn der Gegenüber dann persönlich verletzend und herabwürdigend wird.
Realismus braucht diese Geduld auch, genau so wie ein außergewöhnliches Maß an Scharfblick. Man muss abschätzen können, wie lange man warten kann. Ich gebe zu, gerade dieses Warten, das fällt mir so schwer, denn es ist eben meistens viel angenehmer, die Dinge unter Dach und Fach zu haben. Erledigt! Weiter! Klappe zu! Affe tot! Aber geduldig ist das dann oft nicht.
Dabei kennen wir alle doch die Situationen, in denen es sich absolut gelohnt hat zu warten, Geduld zu haben – gut, man merkt das meistens erst hinterher so richtig, und manchmal hat man sogar zwischendurch das Ziel irgendwie zumindest zeitweise aus den Augen verloren.
Doch dann – nach einer mitunter ewig währenden Zeitspanne – ist etwas, womöglich völlig unverhofft, wirklich gut geworden. Wer hätte das gedacht! Und manchmal auch das: Hab’ ich mir’s doch gedacht!
Geduld ist wirklich eine Kardinaltugend, die die Temperatur unserer Auseinandersetzungen deutlich abkühlen kann. Ja, nur leider nicht die Tugend, die bei mir sehr ausgeprägt ist.
Aber eine Tugend haben wir noch, nämlich die Liebe. Und die ist die Zusammenfassung und Vervollständigung aller bisher benannten Tugenden, denn durch sie gerät das Klima, das Umfeld und die Rahmenbedingungen eines Streits in ein neues Licht: Auseinandersetzungen in einem Klima der Liebe, nicht in einem des Hasses.
Sie glauben das nicht? Doch! Es gibt diese Art der Auseinandersetzung, auch wenn ich ehrlich gesagt bei vielen Streitigkeiten gerade in Kirche in den letzten Wochen selbst daran zweifle, so, wie mir von dem ein oder anderen Entscheidungsträger mit Hass im Blick begegnet wird!
Aber es gibt sie, die Auseinandersetzungen bei denen es nicht um Rechthaberei geht, nicht um „ich, meiner, mir, mich“, Auseinandersetzungen, die die Würde des anderen wie selbstverständlich nicht hinterfragen, eben Streit in Liebe – und gerade deswegen vielleicht der Streit, bei dem etwas Konstruktives entsteht.
Nun haben wir sie zusammen, die Tugenden des würdigen Streitens aus unserem Predigttext: Demut, Sanftmut, Geduld und Liebe. Aber damit nicht genug: „Seid darauf bedacht, zu wahren die Einigkeit im Geist durch das Band des Friedens“ , so werden wir ermahnt, denn nur ein Streit, der mit „Bedacht“ geführt wird, ist ein würdiger Streit.
Eine wichtige Ermahnung, denn davon sind wir häufig meilenweit entfernt, wir „bedenken“, nichts bei Streiten. In der Regel geht es da ganz anders zu: Ziel anvisieren, Verstand ausschalten, Augen zu und durch. Nach einer Weile blinzeln wir: „Wo stehe ich jetzt eigentlich?“ und dann entweder weiter, oder – was auch vorkommt – zurückrudern … von „Bedacht“ jedenfalls kann da keine Rede mehr sein.
So entgleitet uns die „bedachte Art“, wir verlieren aus dem Blick, dass uns der gleiche Geist einen und das Band des Friedens verbinden sollte.
Wir aber zerreissen dieses Band des Friedens, und schon bleiben Sanftmut, Geduld, Demut und Liebe auf der Strecke.
In der Tat: es scheint für uns alle eine Menge Nachholbedarf zu geben bezüglich des „würdigen Streitens“, im Kirchenvorstand, ganz besonders in den Gremien des Kirchenkreises, aber auch in unserer Gemeinde und selbstredend weit über sie hinaus: in unseren Beziehungen und Partnerschaften, zwischen Eltern und Kindern, Lehrern und Schülern, Arbeitskollegen, von der sogenannten grossen Politik mal ganz zu schweigen.
Das muss allerdings nicht so bleiben, auch wir können „würdiges Streiten“ lernen, dies lehrt uns der Predigttext, denn er nennt den wahren Grund aller Verbundenheit:
„Es ist ein Leib und ein Geist, wie ihr auch berufen seid zu einer Hoffnung eurer Berufung; ein Herr, ein Glaube, eine Taufe; ein Gott und Vater aller, der da ist über allen und durch alle und in allen.“
Lassen sie unsere Auseinandersetzungen mit diesem Geist füllen, um richtig streiten zu lernen! Denn das ist für uns alle ein Segen!
Amen!
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