Wunder ausgeblieben, Trend bestätigt

Von Stefan Sasse
Das Referendum gegen Stuttgart21 ist gescheitert. Wegen des hohen Quroms war das ohnehin absehbar; Ministerpräsident Kretschmann sprach von einem "Wunder", dem ein Erfolg gleichkäme. Das finale Ergebnis aber lässt keine Fragen offen: nur 41,2% stimmten für den Ausstieg aus S21, 58,8% dagegen. Tanja Gönner, die Fraktionsvorsitzende der CDU Baden-Württemberg und als ehemalige Verkehrsministerin schwer involviert, freut sich natürlich wie Bolle über das Ergebnis und erklärt, dass man Recht gehabt habe: eine schweigende Mehrheit war immer schon für das Projekt, die Protestierenden eine wenn auch lautstarke Minderheit. Das Ergebnis gibt ihr Recht. Tatsächlich war die Frage um S21 offensichtlich eine Minderheitenposition. Abgestimmt haben zudem nur knapp 50% der Wahlberechtigten, was allerdings im Vergleich mit anderen Volksentscheiden inner- und außerhalb Baden-Württembergs eher im normalen Bereich liegt, so sehr man das auch bedauern mag. Bleibt die Frage, wie die Zahlen zu interpretieren sind. Fefe jedenfalls versteht die Schwaben nicht:
In der Volksabstimmung haben bloß 41,2% dafür gestimmt, S-21 abzubrechen. Wie jetzt? Er wählen sie den Mappus weg und einen Grünen hin und dann wählenwstimmen sie ab, dass der Grüne den Bahnhof bauen muss?! Sind die alle ein bisschen schizophren? 
Keinesfalls. Eigentlich ist dieses Ergebnis sogar eine gute Nachricht. Denn tatsächlich haben die Baden-Württemberger die CDU abgewählt, daran kann überhaupt kein Zweifel bestehen. Und während Tanja Gönner sich in der Bestätigung ihrer These der schweigenden Mehrheit für S21 sonnt, ist die viel schwerwiegendere Implikation dieses Wahlergebnisses offensichtlich noch bei niemandem angekommen. 

Tatsächlich zeigt diese Wahl, dass die Ausweichversuche von Schwarz-Gelb, ihr Wahldebakel allein auf S21 und Fukushima zu schieben, Unfug ist. Die Baden-Württemberger hatten schlicht die Schnauze voll von CDU und FDP. Es lag eben nicht nur an einer Lust am Protest oder dem Schutz von Bonatzbau und Borkenkäfer. Die waren nur Symptome, genauso wie die Konservativen das die ganze Zeít gesagt hatten. Dass sie Recht hatten, gereicht ihnen eher zum Nachteil. Der Bahnhof wird jetzt gebaut. Die CDU aber bleibt abgewählt. Baden-Württemberg ist noch immer von Deutschlands erster grün-roten Landesregierung regiert. Auch dieses Projekt wurde von einer schweigenden Mehrheit bestätigt. Vermutlich kommt es der Regierung Kretschmann-Schmid jetzt schwer entgegen, dass sie in der Frage S21 komplett gespalten war. Denn das Ergebnis wird ihren Stand nicht beeinflussen. Die Grünen sind etwas schwächer, die SPD etwas stärker, aber das Gewicht der Regierung gegenüber der Opposition insgesamt hat sich nicht geändert. Die CDU hat bisher noch keine Lehre daraus gezogen, stattdessen behandelt sie das Landtagswahlergebnis weiter als Betriebsunfall und sieht sich durch die Volksabstimmung bestätigt. Die Bürger waren hier aber schon schlauer als die CDU selbst, denn sie stimmten über einen Bahnhof ab und nicht über die Regierung. Dieser Fehlschluss könnte sich für die CDU in Baden-Württemberg 2016 so bitter rächen wie eine ähnliche Einstellung der Bundes-CDU 1972. 
Was aber bedeutet das Ergebnis für die Proteste? Die werden absterben. Ein guter Teil derer, die so unermüdlich gegen den Bahnhof protestiert haben, dürften das Ergebnis akzeptieren. Es ist so eindeutig, dass man eigentlich kaum dagegen argumentieren kann. Natürlich werden einige weiter protestieren. Aber das werden weniger werden, und wenn irgendwann der erste grüne Ministerpräsident die Polizei anrücken lässt, um die letzten Zelte und Plakate aus dem Schlosspark zu räumen, dann wird vermutlich kaum mehr ein Hahn danach krähen. Stuttgart21 war stets nur Symptom einer verbreiteten Unzufriedenheit, nicht ihre Ursache. Der Frust auf die CDU in Baden-Württemberg sitzt tief, und wenn Kretschmann seinen bisherigen Kurs weiterfährt, dann hat er gute Chancen ihn auch 2016 zu nutzen. Und wenn die CDU das nicht erkennt, könnte sich ihre Lage verfestigen. Und das sind doch gute Neuigkeiten.

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