Initialsprengstoff
Kennen Sie den Künstler Belá Farragó? Wenn ja, dann zählen Sie sich zu den Menschen, die seine nachdenklich stimmenden Werke schon kennen.
Belá Faragó und der deutsche Generalkonsul - vor einem der Bilder die ich besonders interessant fand
Wenn nicht, dann geht es mir wie vor einigen Wochen und Sie sollten Ihr Bildungsdefizit aufholen. Der Ungarisch-deutsche Zeichner Belá Farragó hatte gerade die Ausstellung „Totentanz“ in der Internationalen Jugendbegegnungsstätte, die uns regelmäßig mit frischen zu führenden Gruppen versorgt. Ich kann mich erinnern, seine Werke dort einmal flüchtig gesehen zu haben. Wer sich in der Stadt Oświęcim ansieht und sich für Geschichte interessiert, kommt um das Auschwitz Jewish Center nicht herum, und so war es nur eine Frage der Zeit, bis Belá Faragó und seine Begleiterin Barbara Kreß uns aufsuchten. Eine amerikanische Gruppe hatte sich zur selben Zeit angekündigt, war jedoch bereits über eine halbe Stunde zu spät, sodass ich beschloss den beiden soeben Hereingetretenen das Museum zu zeigen. Falls die Amerikaner dann doch irgendwann auftauchen sollten, würde sie eben meine allzeit bereite Kollegin Luisa übernehmen.
Schon während der Führung fiel mir auf, das beide mit einem speziellen Interesse „ausgestattet“ waren, das ich bis dato nur bei wenigen meiner „Schützlinge“ bemerkt hatte. So kam es dazu, dass wir uns nach der Führung noch etwas unterhielten. Über die Geschichte dieses Gebietes und was der jeweils andere von uns denn beruflich mache. In meinem Fall war es relativ offensichtlich – ich arbeite als Führer im Jüdischen Museum von Auschwitz. Mein Gegenüber offenbarte mir, dass er Künstler sei und gerade eine Ausstellung hier habe. Interessiert – speziell von Kunst, da ich versuche, mich mehr damit zu befassen – habe ich nachgefragt, wo ich diese Gemälde sehen könnte gab er mir zur Antwort, dass er in Kürze eine Ausstellung in Breslau hat. Ich wäre gerne eingeladen.
Initialzündung
Natürlich will ich Breslau sehen. Doch eine Wochenendfahrt organisiert man nur ungern, daher war es mir nur zu gelegen, die Einladung bekommen zu haben. Mündlich zumindest. Schriftlich gestaltete sich alles etwas schwieriger…
Durch irgendein Problem mit den Versand vom E-Mails erfuhr ich erst in der Nacht des 31. März‘ davon, dass die Ausstellung am 3. April in der Synagoge zum Weißen Storch in Breslau stattfinden würde. Die Fahrt von Auschwitz nach Breslau dauert ungefähr fünf Stunden, was eine Spaßfahrt wenig lustig erscheinen lässt. So sollte ich zumindest von Freitagabend bis Sonntagabend bleiben. Wo? Ich beschloss das internationales Netz der Freiwilligen zu benutzen und fragte Luisa, ob ihre Freunde in Wrocław (so heißt die Stadt auf Polnisch) möglicherweise auch meine Freunde seien. Seufzend – und genau wissend, dass Widerstand möglicherweise zwecklos ist gab sie mir die Nummer eines Freundes, der zwar selbst keinen Platz hatte, aber zumindest jemanden kannte, der Platz hätte. Sehr dankbar für die Vermittlung stieg ich in den Zug und fuhr ab.
In Österreich funktioniert das so:
- Man kauft sich ein Zugticket
- Steigt in den Zug und fährt bis zum gewünschten Ort
- Sollte es zwei verschiedene Verbindungen geben, so wird der schnelleren der Vorzug gegeben – sofern nicht explizit die Andere gewählt wird
In Polen funktioniert es so:
- Man kauft sich ein Zugticket (Aber nicht ins Ausland, das geht nur in größeren Städten)
- Wird gefragt, ob man die umständliche, lange Fahrt oder die schnellere Fahrt, die in 10 Minuten geht nehmen will (auf Polnisch)
- Man muss sich auch für den richtigen Zug entscheiden
Der Bahnhof Oświęcim: Auch hier gilt das Prinzip des polnischen Zuges
Während ich die „Fragestunden“ welchen Zug ich nehmen will noch recht souverän beantworten konnte (hatte mir die Daten zuvor in mein Notizheft geschrieben) gestaltete sich Punkt drei etwas schwieriger.
Kattowitz ist immer eine Reise wert
Initiative
In Kattowitz sollte ich umsteigen. Schon lange freute ich mich auf meinen ersten Aufenthalt seit Jahren. Die Stadt habe ich damals nicht gesehen – aber um die Stadt ging es mir auch gar nicht. Was ich sehen wollte war der hässlichste Bahnhof von ganz Polen. Bis heute bedaure ich, dass ich ihn damals bei meinem ersten Besuch nicht auf die Speicherkarte gebannt hatte. So war ich in freudiger Erwartung das Objekt, das mich bis heute so oft ob seiner Hässlichkeit schmunzeln ließ endlich zu fotografieren.
Die Tunnel des Bahnhofes Kattowitz - so hässlich, dass es schon wieder schön ist
Der Schock saß dann umso tiefer. Während die unterirdischen Gänge mich noch freudig zittern ließen verschlug mir der Anblick des Hauptgebäudes von außen komplett den Atem. Ich hatte gewusst, dass der Bahnhof umgebaut werden sollte. Ich hatte gewusst, dass mir nicht unendlich viel Zeit zur Verfügung stehen würde. Was ich nicht gewusst hatte war, dass der Bahnhof inzwischen… normal… aussah. Nach einigen Versuchen mithilfe einer anderen Perspektive oder einer anderen Einstellung noch das Maximum an Kommunismus herauszuholen gab ich mich tief betrübt geschlagen.
Der Bahnhof von Kattowitz wurde tatsächlich renoviert. Wie konnte man nur.
Ich frage euch: Ist das hässlich? Nein! Ist es nicht!
Was von der Erinnerung blieb ist ein Foto, das ich im Internet gefunden habe:
Der Bahnhof Kattowitz - in alter "Pracht". Ich vermisse sie... Quelle: http://commons.wikimedia.org/wiki/File:Train_station_in_Katowice_plac_Andrzeja_entry.JPG
Implementierung
Und weiter geht's - auch wenn der Bahnhof normal aussah
Innerlich fast schon zerstört von dieser Niederlage setzte ich meine Fahrt fort. Ich war überrascht, wie sauber der Schnellzug war. Er war nicht so stark frequentiert, wie ich es erwartet hatte – das überraschte mich etwas. Den Grund dafür sollte ich gleich darauf herausfinden. Der Schaffner kam herein, ich hielt im mein Ticket unter die Nase, worauf er mir zuerst in sehr schlechtem Englisch (bzw. englisch klingendem Polnisch), danach mithilfe meines Mitreisenden verständlich machte, das ich das falsche Billett hatte. Es gibt in Polen Schnellzüge und Regionalzüge. Ich hatte ein Regionalzugticket für einen Schnellzug. Da meiner Bitte, den Zug doch langsamer fahren zu lassen nicht stattgegeben wurde, entschloss ich mich eben die maximal 20 Złoty (<5 Euro) Aufpreis zu blechen. Die maximal 20 Złoty stellten sich als etwa 70 Złoty heraus, was zwar nicht so teuer war, aber da ich bereits ein Ticket hatte fiel es dem Ökonomen in mir schwer Geld für etwas bereits bezahltes auszugeben. Netterweise gestatte man mir, an der nächsten Station auszusteigen und mit dem Regionalzug weiterzufahren. Das Angebot nahm ich gerne an. Bis es soweit war unterhielt ich mich mit meinem Gegenüber, der mir erzählte, es gäbe hier in Polen mehrere Anbieter für Zugreisen – und es gehe mir wie allen. Man hat IMMER das falsche Ticket bei er Hand.
Der Regionalzug ist in Polen jedoch etwas schneller als in Österreich. Bereits etwa 7 Minuten nach Ankunft des Schnellzuges erreichte der Regionalzug die Ortschaft mit dem klingenden Namen Kędzierzyn-Koźle, die auch auf deutsch einen polnischen Geschmack auf der Zunge hinterlässt: Kandrzin-Cosel.
Kędzierzyn-Koźle: Die Stadt der Herzen in Oppeln
Doch auch dieser kurze Aufenthalt zeigte sich weitgehend von seiner katholischen Seite
Mein Aufenthalt hier war dann allerdings nur von kurzer Dauer – mit dem Regionalzug fuhr ich weiter. Vorher war ich überrascht, wie wenig Leute mit dem Regionalzug fuhren. Jetzt überraschte mich, wie viel Leute in einem Zug Platz haben. Nachdem ich einen Sitzplatz ergattert habe bangte ich schon, wie viel später dieser Zug wohl eintreffen würde. Jedoch unbegründet. Die Zeitdifferenz zwischen Schnell- und Regionalzug betrug lediglich eine halbe Stunde.
Inseldasein
Eigentlich ist Breslau bei Nacht eine wunderschöne Stadt...
Nachdem mich meine Gastgeberin empfangen hatte, nahm sie mich gleich auf die angesagteste Partylocation mit. Eine der Inseln in Breslau.
...doch bilden Orte an denen Alkoholleichen produziert werden die Ausnahme
Hier lagen betrunkene Studenten herum, die ihre Bierflaschen entweder in den Fluss (die Oder – oder auf Polnisch Odra) warfen oder direkt auf dem Rasen neben den angefallenen Alkoholleichen entsorgten. Ich hatte vorher zugesagt, die Inseln sehen zu wollen. Damit war jedoch nicht zwangsläufig gemeint, dass ich hierher will. Ein Missverständnis. Wahrscheinlich. Meine Vorstellung vom zweiten Teil des Abends war, dass wir jetzt möglicherweise in eine Bar o.Ä. gehen, um plaudernd bei ein paar Getränken den Abend ausklingen zu lassen. Gut, dass man mich nicht gefragt hat. Sonst wäre es bei der Wahl wieder zu einem Missverständnis gekommen. Ich fand mich in einer schäbigen Studentendisco wieder, deren „Musik“ sogar noch schlechter war als üblich. Auf herumhüpfen war ich ob des Arbeitstages und der langen Reise genauso wenig erpicht wie auf den schon im Vorhinein als gescheitert gesehenen Versuch brüllend eine Konversation zustande zu bringen. So ergab ich mich meiner Müdigkeit und schlief einfach weg (ja, in der Disco – die mich umgebenden Geräusche sind mir in diesem Fall relativ egal). Noch nicht wissend, dass auch der zweite Teil meiner Reise nicht ganz nach meiner Wunschvorstellung ausfallen würde.
Ich schätze Breslau sehr - weniger jedoch wegen dem Alkoholverbrauch
Das habe ich verpasst: Breslau bei Nacht in angenehmer Atmosphäre