Wresłau – der Samstag: Darum organisiere ich lieber selbst

 

Gegen vier Uhr morgens kamen wir in einem Außenbezirk von Breslau an. Ich hatte es relativ eilig ins Bett zu gehen, da ich mir meinen Weg durch die Stadt möglichst früh bahnen wollte. Irgendwie befürchtete ich, dass meine Kollegen hier andere Pläne hatten.

Meine Erwartungen wurden bestätigt. Doppelt und beide Male überschatten das jeweils Vorhergehende.

Zuerst stand ich um kurz nach 11 auf. Meiner Meinung nach etwas spät, aber es blieb noch genug Zeit, um die Stadt in Ruhe anzuschauen und sich für Sonntag noch einen Gutteil aufzusparen.

Da plötzlich jeder aus der WG mitwollte und auch davor duschen, bzw. Sonstiges erledigen musste gingen wir gegen 15:00 weg. Die Stadt erreichter wir gegen 15:30. Um 19:00war die Oper „Lá Boheme“ von Puccini. Da ich diese Chance nicht verstreichen lassen wollte blieben mir effektiv zwei Stunden und dreißig Minuten für ganz Breslau. Eine der WG-Bewohnerinnen meinte auf meine etwas missmutige Bemerkung, dass wir etwas spät seien salopp „In Breslau gibt es ohnehin nichts zu sehen“. Bis heute stoßt mir dieses destruktive Zitat sauer auf.

Das Rathaus - man geht am Besten schnell vorbei, damit man es nicht sieht

Das Rathaus - man geht am Besten schnell vorbei, damit man es nicht sieht

Das Wetter war nicht sonderlich schön, blieb jedoch stabil. Wir gingen über den Rynek – den Hauptplatz, der im schlesischen Stil erbaut wurde. Trotz des nicht sonderlich anregenden Wetters leuchteten mir die bunten Fassaden entgegen. Ich meinte, solche Häuser würde man nur in alten Städten finden, die nicht zerstört wurden – und dort auch nur vereinzelt – selbst dann, wenn die Stadt wieder aufgebaut worden ist.

Der Breslauer Hauptplatz (Rynek) - aber hier gibt es nichts zu sehen (lt. meiner Gastgeberin)

Der Breslauer Hauptplatz (Rynek) - aber hier gibt es nichts zu sehen (lt. meiner Gastgeberin)

Breslau war bis 1945 eine deutsche Stadt, das heißt, sie war es auch schon in der Zwischenkriegszeit. Nachdem die Nationalsozialisten bemerkt hatten, dass der Lebensraum im Osten für andere Völker bestimmt war – da konnte der Führer noch so wettern – und die Russen den Deutschen gaben, was sie wollten – nämlich den totalen Krieg.

Breslau hat und hatte eine keine besonders gute kriegsstrategische Lage. Da kann man die Stadt noch so oft zur Festung erklären. Der Gauleiter Karl Hanke befand es dann noch für eine gute Idee, diesen Festungsstatus auch zu demonstrieren. Mit katastrophalen Folgen für Bevölkerung und Stadt. Der Kampf war von vornherein aussichtslos und damit blanker Selbstmord. Hanke war sich dessen scheinbar bewusst und ließ die Stadt untergehen – wohlbemerkt: Die Stadt. Er selbst floh noch vor der Kapitualtion – spät genug, um nicht von seinen eigenen Leuten aufgrund des Anklagepunktes „Feigheit vor dem Feind“ zum Tode verurteilt zu werden. Ein Schicksal, das viele deutsche Soldaten erlitten haben, die im Gegensatz zu ihrem Vorgesetzten die Situation richtig eingeschätzt hatten. So kam es, dass auch die „Festung“ fiel.

In den darauffolgenden Jahren machen die Sowjetrussen von der neuen Curzon-Linie Gebrauch. Noch während des Krieges hatte Stalin mit den Alliierten eine Verkleinerung Polens verhandelt. Da Lemberg nach dem Zweiten Weltkrieg Russisch war hatte man genug Polen, um Breslau zu repatriieren. Wobei „Repatriierung“ hier (bewusst) falsch verwendet wird. Breslau war nicht polnisch. Lemberg schon. Ab sofort sollte es umgekehrt sein. Obwohl der Krieg, in dem viele Polen ihr Hab und Gut verloren hatten und umgesiedelt wurden vorbei war hörte die Umsiedlung nicht auf. Sie bekam nur andere Vorzeichen. Die noch verbliebenen Deutschen (die großteils schon vor dem Krieg hier gelebt hatten) wurden vertrieben und statt ihnen repatriierte Sowjetrussland Polen. Und schaffte damit neue Fakten.

Heute ist Breslau polnisch. Lemberg ukranisch.

Polen vor und nach dem Zweiten Weltkrieg. Quelle: http://carl-orff-gym.de/homepage/seite_889.html

Polen vor und nach dem Zweiten Weltkrieg. Quelle: http://carl-orff-gym.de/homepage/seite_889.html

Nichtsdestotrotz behielt die Stadt ihr deutsches (bzw. schlesisches) Aussehen bis heute. Man könnte stundenlang am Hauptplatz flanieren und sich an den herrlichen Häusern ergötzen. Meine Reisegruppe führe mich -da es hier ohnehin nichts zu sehen gab- weiter zum so genannten Panorama. Einem der größten (in jeglicher Hinsicht) Kunstwerke in Polen. Nicht wirklich wissend was mich erwarten würde, standen wir vor verschlossenen Türen. Man hatte zwar dran gedacht, diese Sehenswürdigkeit anzusehen (immerhin hatte sie kaum einer der Anwesenden je von Innen gesehen), nicht aber, dass es so etwas wie Öffnungszeiten gibt.

Katyń-Denkmal von der Seite

Katyń-Denkmal von der Seite

Also begnügten wir uns mit dem Katyń-Denkmal vor dem Panorama. Katyń ist – ein in Russland liegendes Dorf mit einem Wäldchen, in dem sowjetische Soldaten 1940 etwa 22.000 polnische Intellektuelle und Offiziere ermordet hatten. Als die NS-Deutschland Polen am 1. September 1939 überfiel zerbrach die polnische Gegenoffensive relativ rasch an der deutschen Blitzkrieg-Strategie. Zum Rückzug genötigt und teilweise von polnischen Staatsbürgern deutscher Herkunft beschossen in den Städten beschossen* versuchte die polnische Armee noch zu retten, was zu retten war.

Katyń-Denkmal

Katyń-Denkmal

Was man damals noch nicht wusste, war der geheime Inhalt des Hitler-Stalin-Paktes. Nachdem der polnische Staat bereits am 17. September zerschlagen war griff auch die Sowjetunion den Rest Polens an und erzählte den flüchtenden Soldaten entweder, dass man Nazi-Deutschland gemeinsam stoppen werde oder die Wahrheit: Dass sie sich in sowjetischer Kriegsgefangenschaft befanden. In beiden Fällen transportiere man sie in einer manchmal Wochen dauernden Reise in verschiedene Lager in Russland und der heutigen Ukraine. Doch waren unter den Inhaftierten auch Ärzte, Richter, Polizisten, Anwälte und andere „Kontrarevolutionäre Aktivisten“ (auch Zivilisten). Was die Polen nicht wussten war der genaue Zweck dieses Unterfangens. Es handelte sich um die biologische Ausrottung der polnischen Intelligenz. Während die Deutschen Polen zurück in die Steinzeit bombten und seltsame Gesetze mit dem selben Zweck erfanden und polnische Exponenten teilweise über Jahre in den Vernichtungslagern dahinsiechen ließen, gingen die Russen „russisch“ vor. Alles, was nicht dem Proletariat entsprach wurde erschossen. Vergraben hatte man die Leichen in Katyń. Als die Wehrmacht das Gebiet -für die Sowjets unplanmäßig- eroberte und den grausigen Fund fand leugneten die Genossen zuerst. Ebenso unplanmäßig stimmten die Deutschen jedoch einer Untersuchung des Internationalen Roten Kreuzes und der polnischen Exilregierung in London zu und veranlasste Stalin die polnische Exilregierung der Komplizenschaft mit Hitler zu beschuldigen. Die NS-Propaganda ließ sich den Fund nicht zwei Mal unter die Nase reiben und schlachtete die Leichen auf, um gegen die Roten im Osten aufzustacheln. Dies wiederum konnten sich die Propagandisten der SSSR nicht bieten lassen und stellten eine eigene „unabhängige“ Kommission auf, die „eindeutig“ bewies, das die „Deutschfaschisten“ die wahren Schuldigen seien. Sogar nach dem Krieg verurteilten sowjetische Gerichte deutsche Kriegsgefangene zum Tode, da sie am Massaker von Katyń beteiligt waren.

Katyń

Katyń

Dieses Massaker war einer der schlimmsten – wenn nicht der ärgste der vielen Schläge, die das junge Polen im Zweiten Weltkrieg einstecken musste. Zwischen polnischem Nationalmuseum und dem Panorama findet sich ein besonders beeindruckendes Denkmal, das an diese Tragödie erinnern soll.

 

Breslauer Nationalmuseum

Breslauer Nationalmuseum

Das Nationalmuseum stellte auch unsere nächste Station dar. Ich befürchtete, dass wir für das ganze Museum möglicherweise Tage benötigen könnten, allerdings war ich im Unrecht. Das Nationalmuseum von Breslau fällt etwas kleiner aus, als man es gewohnt ist. Hauptsächlich finden sich darin eher fantasielose christliche Kunstwerke, eine Jungfrau mit Bart und ein skurriles Gemälde, das auch als Uhr verwendet wurde. In einer darauf folgenden Pause in der Kantine begrüßte mich plötzlich eine bekannte Gruppe. Im ersten Moment etwas irritiert drehte ich mich um. Verstand im ersten Augenblick nicht, dann doch – vor mir saßen Belá Faragó, sowie seine Begleiter Barbara und Martin Kreß.

Etwas skurriles Gemälde (animiert)

Etwas skurriles Gemälde (animiert)

Ungläubig starrte ich die Gruppe an, die glücklich zurückschaute – das letzte gesendete Mail war also tatsächlich angekommen. Vor ihnen stand ein verdutzter Mario, der es bis nach Wrocław geschafft hatte. Auch sie hatten sich das Nationalmuseum angesehen und sich eine Pause genehmigt. Da unsere beide Parteien nicht so viel Zeit hatten – sie mussten weiter und auch ich hatte eine Oper zu sehen beschlossen wir, uns nach der Oper nochmals zu treffen. Zuerst gegen 20:00, dann doch lieber um 22:00 – man weiß ja nie, was kommt. Belá Faragó war so nett und überließ mir sein Ticket vom Panorama (sie hatten es rechtzeitig dahin geschafft), mit dem ich mir noch kostenlos die temporäre Ausstellung der Fotokünstlerin Natalia LL ansehen konnte. Im Nachhinein betrachtet bin ich froh darüber, dass ich es am nächsten Tag nicht verwendet habe, um noch in Panorama zu gehen. Die Kontrollen sind dort stärker als man denkt.

Die Oper von Breslau (außen)

 

Opernbesuch - kulturelles Interesse ist nie ein Fehler :)

Opernbesuch - kulturelles Interesse ist nie ein Fehler :)

Die Oper bildete den vorletzten Teil des Abends. Es war meine erste Oper. Gesungen in altem Italienisch, übertitelt auf Polnisch. Zwei Sprachen, die ich nicht oder nur schlecht beherrsche. Aus Handlung und Gesang konnte ich nicht zu viel herauslesen. Meine neuen Freunde, die mit gekommen waren (andere Freiwillige, die ich kurz zuvor kennen gelernt hatte) wussten nicht so viel mehr als ich. Ein Spanier meinte zwar, er hätte einige Worte verstanden, konnte damit aber genauso viel anfangen wie ich, der immer wieder ein „Grazie“ heraushörte. Meine verzweifelten Versuche, in der Pause noch mitzubekommen, was im vorherigen Akt passierte wurden von einer Polin griechischer Herkunft, die derzeit in Deutschland lebt bemerkt und war so freundlich, mir zu erklären, was passiert sei. Plötzlich ergab alles Sinn. Der Alte, den man zuerst mit Wein umsorgte war nicht der Erbopa, den man glücklich stimmen wollte, sondern der Vermieter, von dem man Geheimnisse erfahren wollte, um ihn zu erpressen. Die Dame, die am Ende des ersten Aktes aufgetreten war, war nicht die Mutter des Hauptdarstellers, sondern seine künftige Freundin (die möglicherweise von einer zu alten Schauspielerin dargestellt wurde), aber die hübsche Eigenbrötlerin im zweiten Akt, die die ganze Zeit die Aufmerksam auf sich zog und ihren reichen Liebhaber beschiss – und hier hatte ich richtig getippt – hatte wider erwarten keine tiefgehendere Rolle zu tragen. Ich war verwirrt.

Das Programm gab es nicht auf Englisch und erst recht nicht auf Deutsch – auch wenn die Inhaber der teureren Plätze fast ausschließlich Deutsche waren. Ihr Polnisch war zwar noch schlechter als meines, aber sie waren voraussehend genug, sich daheim ein Programm auszudrucken. Glücklicherweise auch so nett, es mir in der Pause kurz zu leihen, damit ich wieder wusste, worum es geht.

 

Das Ende von La Bohème

Das Ende von La Bohème

Wie gesagt – es handelte sich hierbei um meine erste Oper. Ich bin beeindruckt. Von der Stimme und von den Protagonisten. Zwar verstand ich nichts davon, aber mein Horizont wurde erweitert. Gelernt habe ich zwei Dinge: Auch, wenn ich mir bei einem Film niemals die Handlung vorher durchlesen würde, ist dies bei einer Oper kein Fehler – wenn nicht sogar hilfreich. Zweitens hatte meine hochgeschätzte Freundin Ilse Gerhardt recht, als sie sagte, sie benötigte 15 Opern, bis sie danach süchtig wurde. Ich stimme ihr voll und ganz zu.

Breslauer Oper von innen

Breslauer Oper von innen

Als wir ausgemacht hatten, dass 22:00 eine bessere Zeit wäre als 20:00 hätten wir gar nicht besser liegen können. Kurz vor 10 war die Oper aus. Ich fand mich am verabredeten Treffpunkt ein und wir unterhielten uns angeregt bis in die Morgenstunden. Über Israel, das Leben, schlechte Hotels und… Zufälle.

So lernte ich Belá Faragó als Zuhörer im Museum, als Gesprächspartner und als Menschen kennen. Am kommenden Tage sollte ich seine Werke zum ersten Mal persönlich zu Gesicht bekommen und ihn als Künstler zu schätzen wissen. Im Bus auf der Rückfahrt dachte ich darüber nach, warum ich wohl eine Nacht in einer Disco und einen halben Tag in einem Randgebiet von Breslau verschwenden musste um eine derart interessante Konversation zu führen. Möglicherweise genau deshalb. Beide Ereignisse hoben sich auf – und Zweiteres überwog.

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Der Breslauer Salzmarkt bei Nacht - hier kann man immer Blumen kaufen. Mit "immer" meine ich "immer"

Die schlesischen Fassaden am hinteren Teil des Salzmarktes - sehen auch bei Nacht schön aus

Die schlesischen Fassaden am hinteren Teil des Salzmarktes - sehen auch bei Nacht schön aus

Eine der vielen Kirchen in Breslau - wie sie am Tage aussieht: Beim nächsten Mal

Eine der vielen Kirchen in Breslau - wie sie am Tage aussieht: Beim nächsten Mal

*Vgl. „Jan Karski. Einer gegen den Holocaust. Ein Kurier in geheimer Mission“ von E. Thomas Wood und Stanislaw M. Jankowski

 


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