Wenn heute Stalin wieder als großer Führer gepriesen wird, als Patriot und Garant nationaler Stärke, dann kommt das nicht nur einer Verhöhnung der Millionen Opfer gleich, die ihr Leben im Stalinismus verloren haben. Ich sehe darin auch eine politische Gefahr für die Gegenwart. Solange die Verbrechen Stalins nicht als Teil der eigenen Geschichte anerkannt werden, ist der Weg zu einer wahrhaft demokratischen Gesellschaft in Russland nicht möglich. (Seite 184)
Mit dem oben zitierten Abschnitt endet das Buch. Und er sagt, worum es in dem Buch geht, weshalb Rudolf Leonard das Buch überhaupt geschrieben hat. Wer sein bekanntestes Werk, „Die Revolution entlässt ihre Kinder” kennt, wird so viel Neues nicht entdecken; wenn man zudem Rudolf Bahros „Alternative” gelesen hat, kommen einem etliche Argumente und Erklärungen Leonards doch sehr bekannt vor.
Nichtsdestotrotz ist das Buch unbedingt lesenswert, schafft es Leonard doch auf nicht einmal 200 Seiten (ich habe das Buch gestern gekauft und heut ausgelesen) schlüssig und logisch zu erklären, mit welchen Mitteln Stalin es erreichte, an die Macht zu kommen und diese zu halten.
Und – anders als vielleicht Wolfgang Leonard es wollte – halte ich das Buch auch sehr wichtig nicht nur für die Auseinandersetzung mit der aktuellen russischen Politik; sondern auch für die Bearbeitung der DDR-Geschichte. Denn wenn heute der sog. „Kommunismus des Ostens” ständig dafür herhalten muss, die (zufälligen) Bewohnern der Landstriche zwischen Elbe und Ural zu bevormunden; Leonard weist dediziert nach, dass das, was als „entwickelte, sozialistische Gesellschaft” in die Geschichtsbücher Eingang fand, wenig mit dem zu tun hat, was Marx und Engels (teilweise auch Lenin) unter der Idee des Kommunismus verstanden.
Das, was im „Ostblock” stattfand, war reiner Stalinismus.
Leonard weist genau das nach: Nachdem Leonard den Abweichungen (wenn man so sagen kann) der Stalin’schen Theorien von denen der Klassiker einzelne Abschnitte gönnte, fährt er fort:
Wie sehr sich Stalin in wenigen Jahren von den ursprünglichen Idealen des Marxismus entfernt hatte, wird auch daran deutlich, wenn man … betrachtet, welche Grundsätze von Marx und Engels im Stalinismus gar nicht mehr vorkamen. (Seite 108)
Anschließend listet er dann kurz auf, welche Uminterpretationen Stalin vornahm.
Es kann sein, dass das alles für Jemanden, der nicht in einer „entwickelten, sozialistischen Gesellschaft” aufgewachsen ist und für Jemanden, der sich weder mit der Theorie noch der Praxis der sozialistischen Ideen befasst hat völlig gleichgültig ist. Es mag ihm gar wie Fraktionskämpfe vorkommen.
Allerdings meine ich, dass, um zu begreifen, weshalb das System Kommunismus gescheitert zu sein scheint muss man sich damit auseinandersetzen und zumindest versuchen, aus der Geschichte und den Fehlern der Geschichte zu lernen.
Etwas aus dem Zusammenhang gerissen noch diese Zitate:
Stalin … proklamierte immer deutlicher die Sowjetunion als Beispiel und Modell für die Kommunisten aller Länder und verlangte die Unterordnung der ausländischen Kommunisten unter die Direktiven der Sowjetunion. (Seite 100)
Und während sich im Laufe der Jahre etliche Länder von der Vormundschaft Moskaus freimachten, blieb besonders die DDR der alten, stalinistischen Linie treu; war vermutlich 1989 das stalinistisch geprägteste Land des Ostens.
Umso mehr überraschte mich, wie die DDR auf den Tod Stalins reagierte. Üblicherweise hielt sich die SED-Führung sehr genau an den politischen Kurs, den die Sowjetunion vorgab. Jetzt aber ignorierte sie alle Signale, die aus Moskau kamen. Während man dort auf Stalins Tod verhalten reagierte, veranstaltete die DDR pompöse Trauerfeiern. (Seite 181)
Gut, das war etwas außerhalb des Zusammenhangs… Will Leonard doch eher warnen: davor, die Augen zu verschließen vor einem Wiedererstarken des nationalrussischem Stalinkults. Denn so beginnt das Buch:
In Putins Russland bahnt sich Unheilvolles an: Stalin kehrt zurück. Er kehrt zurück in die Köpfe der Menschen und in den Alltag. (Seite 9)
Nic
PS: ich musste die ganze Zeit auch an die Beschreibungen aus Cruz Smith’ Buch „Stalins Geist” denken…