Seit 2 Tagen beobachte ich fasziniert, dass mein Blogbeitrag über die Krawalle in London oft und gern gelesen wird. Allerdings wird er von keinem Blog verlinkt, und es hat bislang nicht einen Kommentar dazu auf meinem Blog gegeben. Ich kann mich, nicht nur bezogen auf mein eigenes Blog, an ganz andere Zeiten erinnern und frage mich, warum auf gemäßigten Politblogs so wenig debattiert wird, und warum sie auch kaum bekannt sind.
Bei der Bundestagswahl 2005 gab es eine Vielzahl politischer Blogs. Auch 3 Jahre zuvor waren schon welche aufgetaucht, aber im Vergleich zum Hype des Sommers 2005 konnte man sie vernachlässigen. Ich selbst habe mich damals mit Begeisterung an politischen Diskussionen beteiligt, gerade die neu sich formierende Linke, der Populismus des Oskar Lafontaine und das Abrücken von der SPD wurde kontrovers debattiert. Neben diesen allgemeinen Themen ging es aber auch um Einzelfragen der Bildungs-, Sozial- und Steuerpolitik, und natürlich spielte immer auch die Königsdisziplin politischer Aktivitäten, die Außenpolitik, eine große Rolle. Damals verglichen viele Autoren das Aufkommen der Blogs mit einer demokratischen Revolution im Internet, redeten und schrieben eine neue Diskussionskultur herbei, wähnten die Demokratie durch eine “Graswurzelbewegung” der Netzgemeinde auf einem guten Weg. Es war eine Zeit, in der man auch als neuer Blogger, wie ich einer war, etwas bewegen konnte, oder zumindest konnte man mitdebattieren und sich bilden. Das Schwert des eigenen Wortes wird nämlich stumpf, wenn man es nicht ab und an gegen andere Meinungen antreten lässt. Für mich ist politische Toleranz und gepflegter Meinungsaustausch für eine funktionierende politische Kultur unverzichtbar.
Kurz nach den Wahlen waren viele der Wahlblogs wieder verschwunden. Das galt auch für die Blogs der Politiker, die in den Wochen zuvor wie Pilze aus dem Boden geschossen waren. Einige sind uns erhalten geblieben, z. B. “Mein Parteibuch” und der “Bembelkandidat“. Doch der Ton in der Blogosphäre veränderte sich, und ich spreche jetzt bewusst ausschließlich von der politischen Blogosphäre.
Als der kurze Frühling des recht toleranten Bloggertums vorbei war, begab man sich in einen Stellungskrieg mit rückläufiger Bekanntheit und Beteiligung, so meine persönliche Beobachtung, die ich auch bitte als solche verstanden wissen möchte.
Wenn ich heute politische Blogs lese, auch welche, die ich früher durchaus geachtet habe, dann fällt mir angesichts der großen gesellschaftlichen und politischen Probleme eine zunehmende Systementfremdung und Radikalisierung auf. Ich meine damit, dass die Grundwerte wie Demokratie, persönliche Freiheit und Menschenrechte immer mehr als nicht existente Vorspiegelungen des ungezügelten Kapitalismus dargestellt werden. Zunehmend geht man von der Kritik an Missständen dieses Systems über zur vollständigen Ablehnung dieser Grundwerte. Wer sich also heute politisch für die Demokratie im westlichen Sinne einsetzt, wird von vielen alteingesessenen Politaktivisten im Internet wie ein Faschist behandelt. Der Faschismus beginnt bei allem, was rechts von der Linken ist, und manchmal sogar bei der Linken selbst. Natürlich gibt es auch extrem rechte Blogs mit ihren ungezügelten Hasstiraden gegen Muslime und Linke. So ist zwischen diesen beiden Lagern, die im Tonfall mehr verbindet als trennt, ein Stellungskrieg entstanden. Das führt zum Beispiel nach meinen Beobachtungen dazu, dass es einige politische Blogs gibt, deren Kommentare auf meistens radikale Artikel im frenetischen Beifall, oder in wüster Ablehnung bestehen. Inhalt spielt selten eine Rolle, hauptsache man kann eine rechte Kommentarkeilerei vom Zaun brechen.
Als ich selbst mit dem Bloggen begann, gab es auf meine Beiträge auch immer wieder Kommentare. Dann habe ich mein Blog eine Weile wegen meiner Tätigkeit für den Ohrfunk massiv vernachlässigt. Als ich wieder einstieg, war es kaum noch möglich, mit einer gemäßigten Stimme Fuß zu fassen. Diskussionen über meine Kommentare fanden nicht mehr statt. Inzwischen gibt es sogar Blogs, die ganz bewusst keine Diskussionen wollen und die Kommentarfunktion ausschalten, bei denen es einzig und allein um die Verbreitung der systemfeindlichen Meinungen geht. Feindliche Meinungen gegen ein System übrigens, dass ihnen die Verbreitung dieser Meinungen noch gestattet. Ich weiß ja selbst, dass man die Blogger nicht als Gefahr sieht. Ich bin politisch nicht so naiv zu glauben, es sei in dieser Gesellschaft reiner Idealismus, der heute noch unterschiedliche Meinungen zulässt. Trotzdem bin ich jemand, der sich für die Veränderung des bestehenden Systems hin zu mehr Demokratie und Pluralismus, zu sozialer Verantwortung in der Marktwirtschaft und zu ausgleichender Gerechtigkeit, nachhaltiger Energie-, Umwelt- und Friedenspolitik einsetzt. Viele politische Blogs haben den Boden der berühmt gewordenen freiheitlich-demokratischen Grundordnung aber verlassen, was ich schade finde.
Eine gewöhnlich gut unterrichtete, engagierte junge Frau mittleren Alters, mit der ich immer mal wieder politische Diskussionen führe, war sich mit mir in dieser Beurteilung einig, als ich ihr erzählte, dass ich einen Blogbeitrag über dieses Thema schreiben wollte. Ihre Analyse der Situation viel persönlich und sehr knapp aus: Die Qualität und der Tiefgang der Blogbeiträge habe massiv nachgelassen, sachliche Analyse sei immer weniger erwünscht, im Gegensatz zur polemischen Meinungsmache, und außerdem gebe es auch im Bereich der Blogs inzwischen eine Reizüberflutung, seit es sehr viele Blogs gebe, die sich – überspitzt formuliert – mit der täglichen Verdauung des Bloggers befassten. “Viele nutzen ihre Blogs, um sich auszukotzen”, sagte sie. Ich glaube, da ist was dran.
Ich habe in den letzten 2 Jahren über viele Themen geschrieben, über die man hätte diskutieren können. Auch viele Themen, über die ich selbst gern diskutiert hätte. Aber die Beiträge wurden nicht mehr kommentiert. Das Interesse an Blogs, die kein unkontrolliertes Politikerbashing betreiben, scheint massiv nachgelassen zu haben. Wo ist der Aufbruch in eine Demokratisierung durch das Internet hin? Wo sind all die engagierten Demokraten, die mit kritischem Blick und wachem Verstand die Vorgänge in unserem Land und in der Welt verfolgen, sich informieren, ihre Meinung sagen und sich doch gegenseitig respektieren?
Ich selbst lese kaum noch Blogs. Das finde ich bedauerlich, aber Blogs, die ausschließlich dazu da sind, die Schlechtigkeit des gesamten politischen Systems darzustellen, ohne machbare Alternativen zu bieten, finde ich unsinnig. Blogs über erfolgreiche, sozusagen systemimmanente Projekte werden kaum bekannt. Meinungsblogs verstehen sich allzu oft als undifferenzierte Meinungsmacherplattformen, das finde ich schade. Bei den nächsten Wahlen beispielsweise wird es vermutlich nicht mehr viele interessante Blogs geben, die dazu aufrufen, tatsächlich wählen zu gehen, sich in den Parteien zu engagieren und deren Kurs mit einem Marsch durch die Institutionen zu verändern. Vielmehr wird der Leser dieser Blogs vermutlich denken, dass das ganze Wählen ohnehin keinen Sinn hat und nur eine Vorspiegelung wirklicher Demokratie ist. Selbst wenn das stimmt, hilft der Boykott nichts, ebenso wenig wie die Protestwahl für solche Gruppierungen wie die rechten Parteien, die jetzt in ganz Europa Fuß fassen. Aber demokratische Vernetzung, Engagement und sogar Hinwendung zu den Kräften der Marktwirtschaft, die selbst für ihre soziale Komponente eintreten, könnte nützlich sein.
Jedenfalls ist von der Aufbruchsstimmung, die ich miterlebte, als ich selbst mit dem Bloggen begann, nicht mehr viel zu spüren. Deshalb können Artikel über London oder Oslo veröffentlicht werden, zum Beispiel von mir, ohne einen einzigen Kommentar nach sich zu ziehen. Vielleicht haben die politischen Blogs den Reiz des Neuen verloren, jedenfalls haben Ihr Einfluss und ihre Bekanntheit spürbar nachgelassen, sieht man von radikalen Meinungsblogs einmal ab.