“Bloss keine Troika in Madrid - dann müssten wir knallharte Sparauflagen erfüllen!” – Das ist der Witz der Woche in Spanien, dessen Sinn sich ausserhalb der Landesgrenzen vielleicht nicht sofort erschliesst. Der Hintergrund: Seit Monaten redet Regierungschef Mariano Rajoy davon, man müsse alles tun, damit das Land nicht unter den Rettungsschirm schlüpfen muss, denn sonst kämen die mit den schwarzen Anzügen aus Brüssel und würden Spanien harte Sparauflagen auferlegen. Das Volk begegnet dem inzwischen mit grinsendem Sarkasmus: Noch härtere Sparauflagen als die, die Rajoy längst verkündet hat? Wer sollte denn noch Angst davor haben?
Es ist doch längst alles ausgeschöpft. Küzung der Beamtengehälter, der Arbeitslosengelder, dramatische Erhöhung der Mehrwertsteuersätze, der Lohnsteuer und ein langer Rattenschwanz von Massnahmen – ausschliesslich die Renten blieben bisher verschont. Kein Mensch hat mehr Angst vor der Troika und das ist auch gut so. Denn spätestens Mitte September wird Spanien das Geld ausgehen, dann ist nationaler “Rettungs”tag angesagt. Die Regierung könnte es nur vermeiden, indem sie weitere Staatsanleihen druckt, doch bei den aktuellen Zinsen von mehr als sieben Prozent verbietet sich das von selbst.
Kein Wunder, dass sogar der “unzuständige Aussenminister José Manuel García-Margallo soeben das Wort ergriff und auf Mallorca de Europäische Zentralbank attackierte. Die EZB hätte seit Monaten keine spanischen Anleihen mehr gekauft, wetterte er ungewohnt scharf. Es könne „nicht viel länger so weitergehen“, dass sich Länder wie Deutschland gratis verschulden könnten, während anderen wie Spanien das Wasser bis zum Halse steht, betonte er. Draghi antwortete kurz und bündig: Die EZB sei für Staatenfinanzierung nicht zuständig.
Danach kam es noch dicker. Die Region Valencia, seit 1995 regiert von Rajoy´s Partido Popular, beantragte als erste den “nationalen Rettungsschirm” und beantragte Gelder aus dem soeben geschaffenen spanischen Rettungsfond FLA, weil es ernsthafte Liquiditätsprobleme hat. Und als hätten andere Regionen nur auf diesen Startschuss gewartet, liessen auch sechs andere Autonomías wissen, dass sie bald Hilfe brauchen. Das sind Katalonien – das Land, das sich immer brüstet, “der Wirtschaftsmotor Spaniens” zu sein -, Castilla La Mancha, Murcia, Andalusien, die Balearen und Kanaren. Alle stehen kurz vor der Pleite und können ihre Gehälter und Lieferanten nicht mehr bezahlen.
Während all das passiert, bleibt Regierungschef Mariano Rajoy “verschollen”. Selbst bei der fünfstündigen Situation vor der Abstimmung über die brettharten Kürzungsmassnahmen mittels derer 65 Milliarden eingespart werden sollen, hielt er seine Anwesenheit im Parlament für unnötig und erschien danach gerade fünf Minuten, um seine Stimme abzugeben. Erklärungen hält er nicht für nötig und überlässt seinen Ministern die Bühne. Die wissen schon längst nicht mehr, was sie sagen sollen. Vize-Regierungschefin Saenz de Santamaría beschränkt sich auf solche Platitüden wie: “Jetzt gilt es, daran zu arbeiten, dass die Finanzschulden der Banken nicht die Staatsschulden vergiften.“
Es braucht ein regelrechtes Wunder, wenn Spanien in den kommenden Wochen nicht unter den Rettungsschirm schlüpfen müsste – und wer glaubt in dieser Krise noch an positive Wunder? Danach wird es Italien an den Kragen gehen, die Voraussage fällt leicht. Noch liegt die Risikoprämie Roms zwar hoch aber deutlich unter der spanischen. Das wird sich bald ändern, wenn Spanien erst endgültig den Pleite-Stempel aufgedrückt bekommt; “die Märkte” werden dafür sorgen. Wenn das erledigt ist, geht es Frankreich an den Kragen und dann ist Euro-Endspiel und Elfmeterschiessen, bevor “Rettung” zum Unwort des Jahres gewählt wird.
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