Wissenschaftliches Tor Deutschlands nach Böhmen

15 Jahre Bohemicum Regensburg: Das „Tschechien-Zentrum“ an der Universität Regensburg hat sich seit seiner Gründung zum wichtigsten wissenschaftlichen Tor Deutschlands nach Böhmen entwickelt. Auch Tschechiens ehemaliger Präsident Václav Havel hat die Nachwuchs-Akademiker bereits mit einem „Staatsbesuch im Hörsaal“ geadelt.
Regensburg (obx - internet-zeitung) – Heute ist Osteuropa in aller Munde. Die Chancen auf neue Märkte und neue Allianzen locken die Unternehmen, viele Touristen zieht es in die böhmischen Weltbäder, nach Prag, ins königliche Krakau und ins romantische Budapest. Vor 20 Jahren war das noch anders: Damals, ganz kurz nach dem Fall des Eisernen Vorhangs, wagten sich ganz vorsichtig erste Pioniere über die Grenze, um den „Wilden Osten“ zu erkunden. Die Slawisten an der Universität Regensburg gehörten dazu: Schon 1992 hatten sie die Idee, Deutschland und Tschechien auch wissenschaftlich stärker zu vernetzen. Ende 1996 fand die Initiative auch beim bayerischen Kultusministerium Gehör und es entstand ein in dieser Form bis heute deutschlandweit einzigartiges universitäres Forschungs- und Ausbildungszentrum, das sich ausschließlich mit der Kultur, Geschichte, Sprache und Wirtschaft Böhmens beschäftigt. In diesem Jahr feiert das Bohemicum seinen 15 Geburtstag.
„Tschechisch ist an der Universität Regensburg längst kein Exot mehr“, sagt Professor Marek Nekula. Der tschechische Sprach- und Kulturwissenschaftler mit Auslandserfahrung in Harvard, steht seit mehr als einem Jahrzehnt an der Spitze des Bohemicums. Jetzt, im Jahr des 15-jährigen Jubiläums der Einrichtung, sind für die zweisemestrige, studienbegleitende Zusatzausbildung in tschechischer Sprache, Kultur, Geschichte und Wirtschaft mehr als 100 Studenten aus allen Fakultäten eingeschrieben.
In den Kursen lernen die Studenten so ziemlich alles über das Nachbarland: von der „Transformation zur Marktwirtschaft“, über die „Rolle der Frau in der tschechischen Geschichte“ bis hin zu „Prager Monumenten“ und der „Interkulturellen Kommunikation zwischen Deutschen und Tschechen“. Die Studenten hätten es inzwischen begriffen, dass es ein Vorteil ist, eine kleinere besondere Sprache zu lernen, sagt Marek Nekula. „Tschechisch ist dann ein Mehrwert, der die Türen öffnen kann“, erklärt der Professor.
Das Bohemicum ist zwar eine akademische Einrichtung, wirkt aber beinahe seit dem ersten Tag weit über die Mauern der Universität hinaus und hält engen Kontakt mit der Wirtschaft. So mündeten die Ergebnisse einer Untersuchung von Sprachsituationen in internationalen Unternehmen in wichtige Empfehlungen für das deutschsprachige Management in den Betriebsstätten deutscher Firmen in Tschechien.
Die höchstmögliche Anerkennung erhielt das Bohemicum allerdings nicht aus der Wirtschaft, sondern aus der Politik: Im Jahr 2000 hat der damalige tschechische Staatspräsident Václav Havel das Tschechien-Zentrum an der Universität Regensburg mit einem Staatsbesuch im Hörsaal geadelt. Havel war begeistert von der Regensburger Einrichtung: „Das ist meiner Meinung nach eine unglaublich gute Sache, eine unglaublich wichtige Sache, die dabei hilft, das lang andauernde und über Jahrtausende bestehende Zusammenleben und in einigen Aspekten symbiotische Zusammenleben des deutschen und tschechischen Elements zu erneuern und wieder zu beleben“, sagte Havel damals. Die Absolventen des Regensburger Bohemicums sind heute nach Worten des Leiters auf dem Arbeitsmarkt sehr gefragt und arbeiten inzwischen in Brüssel, in Ministerien, in Anwaltskanzleien, in Vertretungen von internationalen Unternehmen oder Botschaften.
Seit der Schaffung des Bohemicums hat die Universität Regensburg ihre Tschechien- und Osteuropa-Kompetenz kontinuierlich weiter ausgebaut. Ende 2007 folgte ein weiterer Meilenstein: In Kooperation mit der renommierten Prager Karls-Universität entstand der erste und bisher einzige binationale Studiengang „Deutsch-tschechische Studien“, der in drei Jahren Studenten aus beiden Ländern zu einem Doppeldiplom führt. Nach dem Vorbild des Bohemicums entstand mittlerweile auch eine fachspezifische Ausbildung für die Slowakei.
Mit einem anderen Osteuropa-Projekt machte die Regensburger Universität in den vergangenen Jahren europaweit Schlagzeilen: den Ost-West-Studien. Bei diesem in seinem Konzept ebenfalls einzigartigen Masterstudiengang erforschen junge Leute aus ganz Europa Kulturen, Mentalitäten und Stereotypen: Was hat die russische Einstellung zum Eigentum mit der Weite der Steppe zu tun? Warum ist es so schwierig, Vertrauen zwischen Ost und West zu schaffen? Wieso werden Rechtsnorm und Rechtsempfinden in Ost und West so unterschiedlich gewertet? Organisiert und koordiniert wird das Studienprogramm vom Europaeum der Universität Regensburg, dem zentralen Ost-West-Zentrum, das 2010 seinen 10. Geburtstag feierte. Neuestes Vorzeige-Projekt ist das bundesweit einmalige Forschungs- und Kontaktzentrum für Osteuropa „Bayhost“.
Auch die bayerische Staatsregierung setzt auf die Bündelung der Osteuropa-Kompetenzen in Regensburg. Bereits im Jahr 2002 beschloss das Kabinett, das Institut für Ostrecht, das Osteuropa-Institut und das Südost-Institut aus München nach Regensburg zu verlagern. Während die Institute in München zuvor ein bisweilen vernachlässigtes, finanziell wie personell vielfach ausgezehrtes Anhängsel gewesen waren, erfahren sie jetzt in der Ostbayern-Metropole an der Donau eine neue Blüte: als wichtiges Kompetenzzentrum für den viel beschworenen Brückenschlag in den Osten.

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