Vom kleinen Raum zur großen Weite – Christof Küster übers Inszenieren am Studio Theater
Gift ist gefunden worden: der Boden im Friedhof ist kontaminiert und so muss auch der Sarg eines Kindes nach zehn Jahren umgebettet werden. Am Grab treffen sich die geschiedenen Eltern: er versuchte nach dem Tod des Kindes in Frankreich ein neues Leben zu beginnen, sie blieb einsam im gemeinsamen Haus und hält an ihrer Trauer fest. Ist es nur der Schmerz, der beide trennt? Nach zahlreichen bejubelten Aufführungen feierte Lot Vekemans’ Erfolgs-Stück Anfang Mai im Studio Theater Premiere. Eine besondere Herausforderung bei dieser Inszenierung war das Bühnenbild, das sogar ein Dach bekam, um einen geschlossenen Raum darzustellen. Gerade bei einer kleinen Bühne kann so ein Plan knifflig werden.
Doch im Studio Theater sieht man ein paar Quadratmeter weniger nicht als Einschränkung, sondern als kreative Herausforderung: „Der kleine Raum ist auf jeden Fall reizvoll, weil das Publikum praktisch mitten drin sitzt. Wir hatten vor Kurzem zum Beispiel Maria Magdalena, ein sehr atmosphärisches Stück das in der Enge einer bürgerlichen Familie spielt. Da kann man das Publikum viel intensiver ins Geschehen ziehen als in einem großen Raum, wir haben dieses Gefühl der Enge sogar noch verstärkt“ so Christof Küster.
Grundsätzlich steht für Christof Küster die Arbeit mit den Schauspielern im Mittelpunkt, doch auch das Bühnenbild bekommt besondere Priorität: „Ich lege großen Wert darauf, dass die Bühnenbilder den Raum immer wieder stark verändern. Denn auch wenn der kleine Raum reizvoll ist, ist er natürlich nicht nur ein Segen. Aber wir haben Mittel und Möglichkeiten dass wir ihn groß wirken lassen können. Wir können beispielsweise hinten ein Fenster machen und die Garderobe mitbespielen.“ Auch Projektionen auf zwei große Leinwände lassen Weite entstehen. Das einzige, was im Studio Theater nicht optimal funktioniert und deshalb von anderen Bühnen abgedeckt wird, sind Performances. „Da braucht man Luft außen rum“, weiß Küster, der sich hin und wieder gezwungen sieht, aus der Not eine Tugend zu machen, was im besten Fall aber dazu führt, dass hier etwas Einzigartiges, Überraschendes entsteht.
Zwar sind sieben Schauspieler auf der Bühne das Maximum für Deutschlands bestes Off-Theater – so Adrienne Braun in der Theaterzeitschrift „Deutsche Bühne“ -, Angst vor großen Stücken hat das Team aber nicht. Selbst Wilhelm Tell oder der Prinz von Homburg werden hier gegeben: „Wir können bei größeren Stücken gut ein paar Rollen streichen oder ein Schauspieler übernimmt mehrere Figuren. Es hat sogar eine ganz besondere Qualität wenn man schaut, wie sich großes Drama in der Kammerspiel-Version verändert. Man muss eben ganz genau überlegen: was macht gerade der kleine Raum für das Stück aus? Bei Wilhelm Tell war es so, dass das Bühnenbild zuerst wie eine Landschaft wirkte, aus der sich dann Gegenstände heraus schälten, zum Beispiel ein Kühlschrank oder ein Gitterbett, so dass es am Ende fast eine Wohnung war.“
Um kleine Räume groß in Szene zu setzen, holt Christof Küster Licht, Leinwand, Beamer und Mikrofone aus seinem Zauberkasten und arbeitet eng mit den Bühnenbildnern zusammen. Man trifft sich, entwirft gemeinsam ein Modell, an dem sich die Inszenierung orientiert. Manchmal wird der Entwurf während der Proben angepasst: „Wenn wir beim Spielen bemerken, das Bühnenbild ist für den Raum so nicht stimmig, ändern wir das ursprüngliche Modell schon mal.“
Von seinen Inszenierungen an der Württembergischen Landesbühne oder von den Klosterfestspielen Weingarten, hat Christof Küster den direkten Vergleich zwischen großen und kleinen Bühnen. Obwohl er beide Dimensionen mag, ist es für ihn immer wieder schön, in den kleinen Raum des Studio Theater zurück zu kommen: „Das Entscheidende ist, dass man hier ganz reduziert, ganz pur sein kann. Die Schauspieler können fast flüstern und es kommt trotzdem alles an und rüber. Das setze ich gerne gezielt ein.“ Bei Maria Magdalena arbeitete Küster mit vier Richtmikrofonen, um die Überwachungssituation der Familie zu verdeutlichen, verstärkte Geräusche und das Einschenken des Kaffees zum Beispiel trat in dieser beklemmenden Situation überdeutlich hervor.
Auch bei Schiller kann der kleine Raum akustisch eine besondere Wirkung entfalten: „Die pathetische Sprache wird hier in diesem Raum von den Zuschauern neu erlebt, weil eben nicht so laut tönend gesprochen werden muss. Damit entfällt falsches Pathos und die Sprache beginnt plötzlich neu zu leuchten.“
Doch auch die große Bühne kann Christof Küster begeistern: „Wenn ich im großen Theater sitze, bin ich oft fasziniert von dem, was die machen und können. Plötzlich kommt da noch was angeschwebt oder bei Platonow raste ein Zug auf die Zuschauer zu. Sowas geht nur am großen Theater und ist einfach toll, da sitze ich dann und staune. Manchmal ärgere ich mich auch, wenn ich merke, die Mittel werden beliebig eingesetzt. Grundsätzlich kann ich es aber sehr genießen und denke nicht ständig: ach, hätten wir bloß auch das Geld. Wenn großes Theater zaubern kann und das sinnvoll ist, finde ich das gut. Wir zaubern eben mit unseren Mitteln.“