„wir sind keine kleinen amerikaner!!!“

wenn es nach der dame geht, von der dieser ausspruch stammt, dann müsste ich wohl noch ein paar mehr ausrufezeichen hinter ihren satz packen. wie ihr seht: heute wird’s politisch. die rolle der französischen sprache in kanada. und ich merke an dieser stelle einfach zur erinnerung an: québec ist nicht kanada!

mein chef hat mich auf eine demonstration geschickt. die technischen details vorab: mein aufnahmegerät hat mich im stich gelassen, wenn es funktioniert hat, dann war es so windig, dass es mir die o-töne versemmelt hat und schweinekalt war es obendrein. soviel zum erfolg meines einsatzes.

„wir sind keine kleinen amerikaner!!!“

montréaler herbst: protest gegen das gesetz 103

jetzt aber zum inhaltlichen: meine herren, ich hatte ja viel erwartet – aber das? was eigentlich ganz harmlos klingt, trifft den überzeugten québecer mitten ins herz. es ging um la loi 103 – das gesetz 103. das zu erklären ist nicht ganz einfach, ich versuche es aber trotzdem einmal.

die qua verfassung festgelegte landessprache québecs ist das französische. doch in der vergangenheit ist die französische dominanz stark ins wanken geraten. das englische hat in beruf und alltag immer mehr zugenommen. die wurzel allen übels sahen die stolzen québecer in einer ausnahmeregelung. die sprach-gesetze sahen vor, dass man der englischsprachigen minderheit in québec entgegenkommt, indem man folgendes zugesteht:

kinder dürfen auf eine staatlich finanzierte englischsprachige schule gehen, wenn

  • sie oder ihre geschwister bereits einen teil ihrer bildung an einer englischsprachigen schule erworben haben oder
  • mindestens ein elternteil des kindes anglophoner kanadier ist und seine bildung an einer englischsprachigen schule erworben hat.

soweit verstanden? gut. jetzt wird’s nämlich noch komplizierter.

immer mehr menschen haben diese regelung unterlaufen, indem sie ihre kinder für ein schuljahr (zum teil auch nur einige wenige monate) auf eine englischsprachige privatschule geschickt haben. damit hat das kind für sich und alle seine geschwister das recht auf eine weitere ausbildung an einer staatlich finanzierten englischsprachigen schulbildung erworben.

„wir sind keine kleinen amerikaner!!!“

montréaler herbst: das französisch muss bleiben

im klartext: die ausbildung wurde immer häufiger an einer englischsprachigen privatschule begonnen und von den eltern bezahlt. dann wurde sie aber an einer englischsprachigen, vom staat québec finanzierten schule fortgesetzt. was also ursprünglich als entgegenkommen für die anglophone minderheit gedacht war, hat auch immer mehr französischsprachigen und vor allem zugewanderten québecern gefallen und sie haben die regelung systematisch unterlaufen. die québecer wurden also immer mehr von englisch-sprechenden menschen unterwandert und haben das auch noch bezahlt.

deshalb wurde im jahr 2002 ein gesetz verabschiedet, das das unterlaufen der ursprünglichen regelung erschweren bzw. unmöglich machen soll, um so die rolle des französischen zu stärken. laut statistiken (bereitgestellt von den französisch-befürwortern) hat das französische in montréal stark abgenommen: war es 1986 noch für 59,9 prozent der montréaler die muttersprache, sprachen 2006 nur noch 49,8 prozent der montréaler französisch als erste sprache. im übrigen québec war der französisch-rückgang übrigens nicht so stark ausgeprägt – dort sanken die werte im gleichen zeitraum von 82,9 prozent auf 79,6 prozent.

am 22. oktober 2009 hat der oberste kanadische gerichtshof (wohlgemerkt: nicht der québecer, sondern der kanadische gerichtshof in der hauptstadt ottawa) den québecern ihre modifizierte sprach-gesetzgebung untersagt. man dürfe vereinfacht gesagt das englische nicht so stiefmütterlich behandeln.

außerdem hat der gerichtshof eine frist bis zur umsetzung eingeräumt: genau ein jahr. wer also rechnen kann, der stellt fest: 22. oktober 2009 plus ein jahr – das ist ja ganz bald.

deshalb hat die québecer regierung das gesetz 103 auf den weg gebracht, das mit dem urteil des obersten kanadischen gerichtshofs im einklang steht, den alten umweg über die privatschule wieder erlaubt – und weite teile der eigenen bevölkerung absolut empört.

als offizielles argument wird ins feld geführt, dass gerade reiche familien sich eine englische ausbildung ihrer kinder erkaufen können und damit eine zweiklassengesellschaft entstehe. in wahrheit geht es aber um viel, viel mehr. die québecer sind äußerst stolz auf sich, ihre herkunft, ihre identität und vor allem ihre sprache. sie sind schließlich die einzige französischsprachige gruppe in ganz nordamerika. und aus dieser perspektive schauen sie auch gerne auf den rest kanadas.

„wir sind keine kleinen amerikaner!!!“

montréaler herbst: "wir wollen keine kleinen amerikaner sein" - und wohl auch keine kanadier

so auch eine meiner gesprächspartnerinnen heute abend. sie hat mir erklärt: „die kanadier (man bemerke an dieser stelle die wortwahl! man versteht sich hier wirklich nicht als kanadier, sondern als québecer!) haben keine eigene identität. sie sind nur ‘kleine amerikaner’. wenn wir hier unsere sprache aufgeben, dann werden wir auch kleine amerikaner – und das wollen wir nicht!“

 

und so ging es bei der demo heute richtig rund: ich würde schätzen, dass bei ekelhaftem wetter rund 2000 menschen im montréaler stadtzentrum versammelt waren. alle ausgestattet mit protest-aufklebern, großen fahnen und protest-schildern, eingepeitscht von prominenten vorkämpfern der franzöischen sache. ich habe auch des öfteren „vive le québec libre!“ (es lebe das unabhängige québec!) gelesen und gehört.

irgendwann hat es sogar einfach ausgereicht nur den namen „jean charest“, amtierender ministerpräsident québecs und führer der québec liberal party, zu nennen, um die menge zum buhen zu bringen. die integrationsdebatte läuft also im moment nicht nur in deutschland auf hochtouren!

in so einem umfeld ist es für einen ausländischen journalisten dann gar nicht so einfach, zu arbeiten. dank meines akzents war natürlich jeder zunächst einmal skeptisch, ob ich nicht doch ein heimlicher „anglophoner spion“ sei. ich konnte dann aber immer glaubhaft versichern, dass ich für einen französischen sender arbeite. sobald das geklärt war, habe ich dann auch bereitwillig auskunft erhalten – ohne dass jemand ein blatt vor den mund genommen hätte. ich bin gespannt, ob mein aufnahmegerät das tatsächlich alles mitgeschnitten hat. ich bezweifle es.

als schließlich die batterien ihren geist aufgegeben haben und ich vollkommen durchgefroren war, hab ich mich auf den heimweg gemacht. aber nicht direkt. auf diesen kulturschock musste ich erst einmal etwas essen. ich bin dann unterwegs kurzerhand in einem ur-québer restaurant eingekehrt. seine tür zierte ein großes goldenes m…

ps: leider konnte ich keine besseren bilder machen – ich hatte nur mein handy dabei.



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